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Designers (dto)

We Jazz Records 2022

Eine Fotografie: Ein Gewerbekomplex, Blech auf Stahlskeletten. Von unten nach oben sieht man einen Unterstand; eine Halle, die ein U formt; eine Gangway; ein Lüftungsrohr vermutlich; ein weiteres, diesmal in Blau; links postmodern-brutalistische Beleuchtungs- und Belüftungslöcher; wieder eine Gangway und ein Dach … Die Fotos des belgischen Fotografen Filip Dujardin sind bisweilen architektonische Verwirrspiele gegen die das Centre Pompidou in Paris wie ein Einfamilienhaus wirkt. Mithilfe digitaler Technik baut Dujardin in seinen andauernden Serien »Fictions« und »Impossible Architectures« solche, durchaus an M.C. Escher erinnernden, Gebäude aus Versatzstücken alter und neuer Industrie- und Gewerbebauwerke. Es entstehen Vexierbilder: Ist das nun real und möglich; oder doch nur eine surrealistisch-verstellte Fantasie und Fiktion?
Dujardins belgischer Landsmann Joachim Florent nahm sich in den letzten Jahren diese Fotografien immer wieder zum Anlass – vielleicht sogar zum Beispiel – um kleinere, geometrische Piano-Figuren am Klavier zu komponieren. Florent ist nicht nur ein Europa-bekannter Kontrabassist, sondern auch Physiker, was ihn in das französische Nantes verschlagen hat. Er sagt: »Ich bin zwar vergleichbar schlecht am Klavier, aber ich sitze trotzdem jeden Tag da und komponiere.« Bei diesen Übungen entstand das Material, das sich heute auf »Designers«, dem Debütwerk des gleichnamigen Trios, wiederfindet.
An Joachim Florents Seite stehen bei Designers der australische Drummer Will Guthrie, der ebenfalls in Nantes wohnt, und der finnische Pianist Aki Rissanen. Beide ließen sich auf das Experiment ein:
»Es war 2019 als ich anfing diese kleinen Studien zu produzieren, die eben eine geometrische Qualität besaßen«. Florent empfand eine einerseits mathematische, andererseits architektonische Songstruktur als interessante Herausforderung.
Hört man in »Engrenages«, dem Nabelstück des Albums, rein, fallen einem gleich die Pagoden-haften Piano-Arpeggios und -Ostinati auf, die in der Manier der Minimal Music hochsteigen und runterfallen, dabei markante Dach-Formationen (um in der Sprache der Architektur zu bleiben) bilden. Doch das ist nicht alles, was wir hören: Plötzlich befreit sich das Piano aus der Wiederholung und löst Akkorde hochdekorativ auf. Ganz klar: Das ist nicht geschrieben, sondern improvisiert.
Die Vermutung bewahrheitet sich, denn Florent hat nicht ganz ohne Hintergedanken Guthrie und Rissanen mit an Bord geholt, gelten beide doch als exzeptionelle Improvisateure.
Bevor man sich zu lange mit dem Spiel aus Komposition und Improvisation auseinandersetzen kann, geht es doch in fast halsbrecherischer Geschwindigkeit weiter; die Pause währt nur kurz. Ab jetzt spielen alle drei mit ordentlich Druck los. Nicht nur das Piano hetzt von Note zu Note, Guthrie trommelt fröhlich-wild und besenschwingend auf Hi-Hat und Snare rum, während der Kontrabass in Florents Händen Kapriolen schlägt.
Auch hier löst sich das Spektakel bald in »Luft« auf: Kontrabass und Schlagzeug teilen sich jetzt das Spotlight, gehen Hand in Hand in die Tiefe des Tracks. Mit ordentlich Swing auf der Führhand begleitet Will Guthrie formidable Kontrabass-Linien. Nach einem letzten Aufruhr endet das Lied erstmals … es könnte gleichwohl immer so weiter gehen.
Klar, das erinnert stark an Steve Reich – und Minimal Music spielt hier eine große Rolle. Florent schmiegt sich mit seinen Songs an die innovative E-Musik an; dass er sich ihr vollständig ergibt, das sucht man dennoch vergeblich. Das Fundament bleibt ein moderner Europäischer Jazz, kreativ und teilimprovisiert.
Das hört man deutlich bei „Moulindjek“, das seine Verwandschaft im Piano zu Vince Guarraldi kann nicht verstecken kann und will; dabei von Drums und Kontrabass wunderbar gerahmt wird. Wenn Florent vom pizzing zum con arco-Spiel übergeht, entsteht ein erstaunlicher Effekt: Zwischen dröhnenden/dronigen Momenten und Folklore changierend, verdüstert sich der Song. Langsam fällt er in sich zusammen. Aber keine Sorge: Was sich alles ein wenig verkopft anhört, ist auch geschmacklich sehr sicher und gefällig.
So wie alles hier auf dieser riskanten Platte, die auf dem grandiosen finnischen Jazz-Label We Jazz erschienen ist und sowohl digital als auch in CD- und Vinyl-Form erhältlich ist.

Text: Lars Fleischmann.