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Die Geister des Jazz einfangen

Die Ausstellung »Chargesheimer fotografiert Jazz« im Kölner Stadtarchiv ehrt den künstlerischen Außenseiter, dessen Bilder weitaus mehr zeigen als Musiker*innen bei der Arbeit.

Chargesheimer: Jazz, Köln

Erst in den letzten Jahrzehnten entdeckte man den Schatz, den der Fotograf Karl Heinz (oder Carl Heinz) Hargesheimer, genannt: Chargesheimer, hinterlassen hat. Bis zu seinem frühen Tod rund um das Neujahr 1972 und noch einige Zeit danach, beachtete man das fotografische (und skulpturale) Werk des Künstlers wenig. Es gab sogar Stimmen, die seine Darstellungen des Nachkrieg-Kölns, zwischen Pauperismus und Trümmerfrauen, zwischen Volks- und Brauchtum, zwischen Katholizismus und klandestinen Mauscheleien, für Schandtaten hielten. Viel Kritik musste Chargesheimer zeitlebens einstecken. So wollte sich die Stadt am Dom nicht dargestellt wissen.
Chargesheimer war ein Außenseiter, nicht unbedingt ein Intellektueller, aber einer, der um Diskurse und die aktuellen Trends und Entwicklungen Bescheid wusste; einer der auf die Weiterentwicklung hoffte und dabei einen künstlerischen Lebensentwurf pflegte. Das städtische Wirrwarr im Schatten des Doms wertete er als Zeichen einer Stadt, die von der Neuzeit in die Moderne Welt eben nicht schnellte, sondern eher humpelte.

Die Kölner Pfiffigkeit

Und überall da, wo es wiederum den Stadtobersten nicht flott genug gehen konnte, entstanden in der Regel eben keine kosmopolitischen Wunderwerke, sondern große Probleme und Verwerfungen. Wo man die pfiffigen Kölner*innen einfach machen ließ, da wartete das Besondere. Nicht immer schön, aber herzlich und lebendig.
Chargesheimer selbst war in einer selbstgewählten Zwitterrolle als Fotograf gefangen: Nicht ganz neutraler Chronist oder Archivar, der versuchte möglichst genau darzustellen, wie es um die Kölner*innen bestellt war. Er war kein Typograf, der wie sein bekannter Vorgänger August Sander die Berufe der Stadt durchfotografierte. Er war aber auch kein stilistischer Vollästhet, dem es um die perfekte fotografische Allegorie ging. Er war aber einer, der Zeitzeugenschaft hochhielt – ihr stets eine subjektive (oder gar eigene) Note hinzufügen wollte und dies auch vermochte.
Vortrefflich lässt sich das nicht nur in den längst wiederaufgelegten und bereits vergriffenen Fotobänden wie »Cologne intime« oder »Unter Krahnebäumen« erkennen, sondern auch in der derzeit laufenden Ausstellung im Neubau des Kölner Stadtarchivs: »Chargesheimer fotografiert Jazz«.

Chargesheimer: Gigi Campi und Freunde

Der Titel verrät es: Die Bildwelten sind jene des Jazz. Fotograf wie Künstler*innen lebten und wirkten unter ähnlichen Zuständen. Die Nachkriegsgesellschaft empfand sie als laut, provokant – irgendwie schick, aber nicht artgerecht für die Zeit des Vergessens und des Wiederaufbaus. In die Phase des Wirtschaftswunders passten weder die Bilder des Lumpenproletariats noch die aufmüpfige Musik jener, die nun von Besatzern, KZ-Überlebenden und Widerständlern gespielt wurde. Aber wie so oft, boomte gerade bei der jüngeren Generation alles, was den Rest der Gesellschaft störte. Aus dieser Gemengelage ergibt sich eine Liasion, die innig war, aber nie zur amour fou wurde. Chargesheimer knippste viel und häufig, wenn Jazz gespielt wurde. Seine Bilder zeigen trotzdem eine gewisse Distanz: Er war nicht verzaubert aber dennoch in den Bann gezogen. 

Nichtsdestotrotz ist die Eröffnung des Stadtarchivs im Schatten des Amtsgericht an der Luxemburger Straße durch diese Ausstellung – der Neubau des Archivs ist schon länger in Betrieb, »Chargesheimer fotografiert Jazz« aber die erste öffentliche Präsentation – eine späte Ehre, die neues Licht auf die bis dato selten gezeigten Fotografien wirft. Für uns als King Georg-Besucher*innen und Jazz-Fans kommt das Sujet der Fotografien natürlich entgegen: Die ausgestellten Bilder gehen aber weit über eine bloße Darstellung von Jazz-Musiker*innen bei der Arbeit hinaus.

Chargesheimer, Jazz, Köln

Im Foyer des in Holz, Glas und Beton gehüllten und ganz ansehnlichen Neubaus geht es durch einen kleinen Parkour an Abzügen, Original-Exponaten wie Kamera oder Schallplatten-Cover und historischen Einordnungen. Mit Einleitungen, Erklärungen und Geschichten wird nicht gegeizt. Kaum mal kommen die Foto-Abzüge alleine zum Wirken. Das brauchen sie auch gar nicht. Mit sanfter Hand verknüpft die Ausstellung nämlich die Geschichte der Stadt Köln nach dem Zweiten Weltkrieg, die ansässige Jazz-Szene und ihr Wirken in den 50er und 60er Jahren und eben die bisweilen eigenwillige Arbeitsweise und Motivfindung des Kölner Fotografen. Wer so viel zeigen möchte, der muss auch viel erklären.
Das Publikum wird herangeführt an die großen Stars des Jazz (Louis Armstrong, Ella Fitzgerald, Billie Holliday etc.), aber auch an die kleineren wie Hans Koller oder Attila Zoller, die für die deutsche Jazz-Szene unfassbar wichtig waren, zugegeben aber vor allen Dingen Jazz-Afficinados ein Begriff sind.
Und selbstverständlich taucht auch der große Pierluigi Gigi Campi auf. Wie auch sollte eine Ausstellung über Jazz in Köln ohne den Sohn italienischer Auswanderer auskommen; ohne den feingeistigen Geschäftsmann, der den Spagat zwischen Eis- und Milchdiele auf der einen Seite, und einer international beachteten Jazz-Bar andererseits, meisterte – und Köln zu einem Zentrum des Cool Jazz machte.

Der findige Campi

Der findige Campi ist nicht bloß Motiv, sondern auch Anlass zahlreicher Fotografien. Er verstand, dass Chargesheimers Ansatz und Auge seinesgleichen suchte, und mit den verehrten Fotografien von Francis Wolff locker mithalten konnten. So buchte er ihn das ein oder andere Mal für Konzerte oder Studioaufnahmen für das Campi-Label »Mod Records«.
Denn Chargesheimer fotografierte nicht bloß Jazzer beim Jazz-Spielen; das vermochten viele. Nein, er suchte eine Essenz dessen, was die Künstler*innen ausmachte. Und neben einigen Fotomontagen, erkennen wir vor allen Dingen eine Isolations-Technik, die Chet Baker oder Sidney Bechet immer wieder aus dem Dunkeln des Hintergrunds wie leuchtende Geister auftauchen lässt. Den vornehmlich in Schwarz-Weiß gehaltenen Bilder kommt immer wieder etwas Unheimliches zu. Nicht der Akt, sondern der Moment der Verausgabung wird hier eingefangen – auf und hinter der Bühne. So werden viele Bilder zu Kippfiguren: Hier der Ruhm, die Ehre und der schöne Schein; da die Einsamkeit, die Dämonen und kaputte Seelen. 
Das ist aber nicht alles: »Chargesheimer fotografiert Jazz« ist keine Begräbnis-gleiche Veranstaltung. Sie lebt eigentlich eher durch ihre lichten Momente.

Begeisterung und Zukunftsgläubigkeit

Nämlich dann, wenn sich eben darstellen lässt, wie Köln es nach dem Krieg schaffte – ganz ohne amerikanische Besatzung, die einen enormen Markt- und Talentvorteil mit sich brachte, wie Wolfram Knauer in seinem Buch »Play yourself, man!« beweist – eine Jazz-Stadt von Rang und Namen zu werden. Mit virtuosen Einzelgänger-Figuren, die Eisdielen besaßen; solchen, die als Fotokünstler in der Heimat vergleichsweise wenig zählten; und anderen, die einfach nur im Bohéme auf dem Eigelstein oder dem Tabu auf den Ringen spielen wollten, also das tun, was ihnen mehr als 12 Jahre lang im NS-Regime verwehrt wurde.

Wenn man dann aus den Bildern eine Begeisterung und eine Zukunftsgläubigkeit ablesen kann, die damals in der Stadt geherrscht haben muss, dann geht eben nicht nur Jazz-Fans das Herz auf, sondern auch jenen, die Köln eng an ihrer Brust tragen. Gerne auch in inniger Hassliebe verbunden.
Sentimental ist die Ausstellung dennoch nicht, sondern stets den Bildern und ihrer Genese und Geschichte verpflichtet. Es ist eine fotografische Präsentation, alles ganz still und kein einziger Jazz-Ton zu hören. Das macht es umso spannender, wenn man erst der mittlerweile fast vergessenen Jutta Hipp tief in die Augen schaut und später in den eigenen vier Wänden eine Platte (oder bei Bedarf auch ein Internet-Video) anwirft. Wenn Bild und Klang wieder zusammen kommen.

»Chargesheimer fotografiert Jazz«, Historisches Archiv der Stadt Köln, Di, Do, Fr 9-16 Uhr, Mi bis 19.30, Eintritt Frei, bis 4. September

Text: Lars Fleischmann/ Fotos: Rheinisches Bildarchiv, Chargesheimer