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Hip to be Hipp

Die Geschichte einer Frau, die ein Star hätte werden können. Einer Jazz-Musikerin, die mit Legenden – deutschen wie US-amerikanischen – zusammenspielte.

Jutta Hipp

Sie werden nicht in der Lage sein, dies zu verstehen, weil Sie in Amerika geboren sind. Für uns war Jazz eine Art Religion. Wir mussten wirklich dafür kämpfen.“ So formuliert Jutta Hipp ihre fast schon spirituelle Verhaftung mit dem Jazz gegenüber dem US-amerikanischen Musikkritiker Marshall Stearns. Der Brief stammt aus dem Jahr 1956 – und findet sich in Auszügen in der aktuellen Biografie über die deutsche Pianistin Jutta Hipp wieder: »Plötzlich Hip(p)«, geschrieben von der Jazz-Saxofonistin Ilona Haberkamp.

Dass es einer solchen Biografie benötigt, steht außer Frage. Noch immer gehört das Wissen um Jutta Hipp und ihre Karriere nicht zum Kanon; obwohl sie in den 1950ern eine der wichtigsten europäischen Musikerinnen überhaupt war. Man nannte sie »Europe’s First Lady of Jazz«, sie veröffentlichte drei LPs auf dem legendären Label Blue Note, sie war der Star des Zweiten Deutschen Jazzfestivals – und doch wissen heute nur die interessierteren Jazzheads, wer Jutta Hipp war. Woran das liegt, das versucht Ilona Haberkamp auf etwas über 200 Seiten herauszuarbeiten. Denn die Vita der 1925 in Leipzig-Connewitz geborenen Jutta Mathilda Lina Toni Hipp ist nicht bloß als Erfolgsgeschichte zu erzählen; ganz im Gegenteil: Es geht um die NS-Zeit, den Krieg, Chauvinismus, Armut, Flucht, Verfolgung, große und geplatzte Träume, Verlust, Neuanfänge und abrupte Enden … Um das vorwegzunehmen: Man erhofft sich, dass dieses Buch verfilmt wird. Denn jede/r – zumindest jede/r Jazz- und Musikgeschichtsinteressierte – sollte von Jutta Hipp erfahren.

Haberkamp hat Jutta Hipp 1986 das erste Mal in New York besucht. Zu dem Zeitpunkt hatte sich Hipp schon fast 30 Jahre nicht mehr in einem Jazz-Kontext präsentiert. Und auch dieser Besuch aus ihrem Geburtsland ist ihr nicht wirklich geheuer, obwohl sie die beiden (neben Haberkamp ist auch die Jazz-Trompeterin Iris Krames mit an Bord bei dieser Entdeckungstour) sehr sympathisch findet.
Wie man aber im weiteren Verlauf des Buches lernt, ist die Vita der Frau, die mit 35 Jahren ihre Karriere beendete, keine, die sie gerne erzählt. Dass die Autorin Haberkamp diese tragischen Momente nicht verschweigt, ihnen gleichzeitig genau das richtige Maß an Aufmerksamkeit zukommen lässt, ist bereits einer der wichtigen und äußerst positiven Punkte dieses Buchs, das beim Wolke Verlag erschienen ist.

Eine gewisse Aufmüpfigkeit

Statt Energie in große dramatische Gesten zu stecken, bleibt Haberkamp vor allen Dingen bei dem Menschen Jutta Hipp. Das, was nicht erzählt werden soll, das bleibt wohl auch im Geheimen – und was zu sehr schmerzt, wird nicht zu tief angebohrt. Dementgegen geht der Blick immer in Richtung Karriere und musikalische Leistungen. Derer gibt es reichlich: Ausschweifend und doch nie im Übermaß erzählt sie die Geschichte der Jugendlichen, die trotz Verbot im NS-Regime Jazz-Platten hört und sich sogar zum Spielen trifft – keck die Herzen auf die Strumpfhose gefärbt.
Diese »Aufmüpfigkeit« legte sie auch in ihrer Kunst-Ausbildung an den Tag: Haberkamp arbeitet immer wieder die außermusikalischen Leistungen heraus, haben ihre Bilder, Karikaturen und Gedichte doch auch Anteil am Leben der Jutta Hipp gehabt. Doch am talentiertesten und verbissensten zeigte sich Hipp immer noch als Musikerin – zumindest bis die Karriere zu Ende ging.
Man lernt einiges über die Jazz-Szene in der jungen BRD und wie sich amerikanische GIs und deutsche Jazz-Musiker*innen immer wieder ausgeholfen haben … und beizeiten auch mehr gemacht haben. Nicht unerwähnt bleibt Hipps eigenes Kind, das sie als eines der sogenannten »Brown Babies« (so wurden damals Kinder von deutschen Frauen und afro-amerikanischen GIs genannt) nicht umsorgen konnte und durfte. Ja, die biografischen Narben finden ihren Platz und werden im nötigen Maß erforscht, jedoch nie ausgeschlachtet.


Danach geht es in die Erfolgsgeschichte: Die ersten Triumphe mit dem Hans Koller New Jazz Stars, ihre Hochzeit mit dem Drummer Attila Zoller, später dann ihr eigenes Quartett und der Ruhm, den sie damit einheimste. Wir erfahren von den Übergängen: Von Swing zu Bebop, von Cool zum Jump, von Hard-Bop zur Abneigung gegenüber den Free-Jazz-Ausflügen. Manche wurden von Hipp gefeiert, andere später verflucht. Im weiteren Verlauf wird es dann richtiggehend aufregend: Die Umstände, die sie nach New York brachten, sind spannend wie tragisch. Das Kapitel USA nimmt daraufhin den größten Teil des Buches ein – immerhin hat Hipp insgesamt drei LPs beim legendären Blue Note Label veröffentlicht. Wie könnte man das verschweigen – selbst wenn die Storys hinter den Platten nicht immer nur positive Aspekte beinhalten?

Von Swing zu Bebop, von Cool zum Jump, von Hard-Bop zur Abneigung gegenüber den Free-Jazz-Ausflügen.

Natürlich kann man an dieser Stelle ein paar Kritikpunkte anbringen: Ob es nötig war, all die Verspottungen und Herabwürdigungen zu reproduzieren? Vermutlich nicht. Ob man auch die kruderen Zeichnungen und Karikaturen, die Hipp in den Jahrzehnten angefertigt hat, so platzfüllend hätte abdrucken sollen? Wohl eher nicht. Aber es sind Entscheidungen, mit denen man leben kann.
Zu spannend wird hier die Geschichte einer Frau erzählt, die ein Star hätte werden können, die mit Legenden – deutschen wie US-amerikanischen – zusammengespielt hat, die in einem Atemzug mit diesen Legenden genannt wurde, und doch vergessen wurde. Über diese Tilgung aus der Jazz-Geschichte mutmaßt Haberkamp ausgiebig und meist sehr treffsicher: Äußere Umstände, problematische Figuren mit zu viel Macht und auch Hipps eigene Handlungen standen ihr im Wege. Derweil ist dieses Scheitern alles andere als unsympathisch; Hipp war eine Musikerin, die ihre eigenen Grenzen gesetzt hat und sich selten verbogen hat. Das war nicht ausschließlich hilfreich, wie man in der zweiten Hälfte lernt.


Aber das Menschliche, Allzumenschliche macht Hipp umso interessanter und faszinierender. Auch wenn klar wird, dass Hipp sich eher nicht als Feministin bezeichnet haben wird, so ist sie doch aus heutiger Sicht eine Ikone der feministischen Musikgeschichte. Was 20 Jahre nach ihrem Tod zumindest so etwas wie ein Happy End bereithält, obgleich ihre letzten Jahre von tausenden Stunden in der Fabrik, im kleinen New Yorker Apartment, vom US-amerikanischen „Gesundheitssystem“ und schwerer Krankheit geprägt waren. 
Wo man das alles nachlesen kann?

Ilona Haberkamp »Plötzlich Hip(p)«, Wolke, 28 Euro

Text: Lars Fleischmann