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Veronica Swift: »Confessions«/ Jazzmeia Horn: »Love & Liberation«

2019, Mack Avenue

Nach vielen Jahren des Nachwuchsmangels im weiblichen amerikanischen Jazz-Gesang ist etwas Bewegung in die Szene gekommen. Das begann mit der inzwischen weltweit beachteten Cécile McLorin Salvent, 2019 rückten die beiden Twenty-somethings Jazzmeia Horn und Veronica Swift mit neuen Alben in den Blickpunkt. Beiden wurde der Jazz in die Wiege gelegt, was sich bei Ms. Horn schon im Vornamen ausdrückt. Ms. Swift ist die Tochter des Jazz-Pianisten Hod O’Brien und der Jazz-Sängerin Stephanie Nakasian. Horn und Swift kennen beide die Historie des amerikanischen Jazz-Gesangs bestens und schöpfen aus ihr. Während Jazzmeia Horn auf ihrem Debüt »A Social Call« noch vorrangig Standards sang, ist das neue Album von ihren erstaunlich reifen Eigenkompositionen und ihrer etwas tiefer gewordenen Stimme geprägt. »Out The Window« ist ein Swinger mit brilantem Scat-Gesang, mitreißendem Walking Bass von Ben Williams und ausdrucksstarkem Saxofonsolo von Stacy Dillard. Der expressive Protestsong »No More« wird getragen vom Gospel-geprägten Piano Sullivan Fortners. Das kurze »When I Say« gibt Pianist Victor Gould Gelegenheit zu einem swingenden Solo zu Horns Rhythmus-Wechseln à la Betty Carter. »Still Tryin‘« bietet Horn als schönen altmodischen Blues mit Sullivan Fortner auf den Spuren von Gene Harris und Trompeter Josh Evans mit stimmungsvollen Growl-Tönen. Das Album endet mit dem einzigen Standard »I Thought About You« als Duo von Horn und Bassist Ben Williams.

2019, Concord

Während Ms. Horn auf ihrem Cover afroamerikanische Symbolik und afrikanisch inspirierte Mode darbietet, geriert sich Veronica Swift als Diva im langen Abendkleid. Ihr Album beginnt mit dem prophetischen Statement »You’re Gonna Hear From Me« mit viel Swing, brillanten Einlagen von Pianist Emmet Cohen und seinem Trio und verblüffend souveränem Gesang zwischen Jazz, New York Cabaret und Broadway. In Pete Rugolos »Interlude« begleitet Pianist Benny Green mit Bassist David Wong und Schlagzeuger Carl Allen die Sängerin einfühlsam, die sich ganz auf die Melodie im Stil der 1950er Jahre konzentriert. Der Höhepunkt kommt mit »Forget About the Boy«, mit inspiriertem Solo Cohens über dem Walking Bass von Russell Hall und rhythmisch und melodisch perfektem Gesang Swifts getrieben von Schlagzeuger Kyle Poole. Pearl Baileys »Confession« kombiniert Ms. Swift mit »The Other Woman«, nicht so bissig wie die große Nina Simone, sondern eher melancholisch reflektierend. »No Not Much« singt Ms. Swift im Duo mit Russell Hall. »I’m Hip« lebt von dem wirklich lustigen Text Dave Frishbergs und trickreichen Rhythmuswechseln. Ja, das ist altmodischer als Ms. Horns Eigenkompositionen, aber musikalisch stehen beide Sängerinnen fest in der Tradition und beleben diese mit frischen Arrangements, ausdrucksstarker Performance und einigen der führenden amerikanischen Jazz-Musiker als Begleiter. Wir haben hier gleich zwei heiße Kandidaten auf den nächsten Vocal Jazz Grammy.

Text: Hans-Bernd Kittlaus