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2019, Edel / Unisono Records

Schon 2011 hatte Regisseur und Produzent Marc Böttcher mit dem großartigen Film »Sing, Inge, sing!« und dem dazugehörigen Album an die deutsche Jazzsängerin Inge Brandenburg erinnert. Zum 90. Geburtstag und 20. Todestag der Sängerin legte er auf dem Album »I Love Jazz« 18 weitere bis dahin unveröffentlichte Aufnahmen aus den Jahren 1959 bis 1971 nach. Darunter sind einige Schätze wie »Summertime« mit dem Klaus Doldinger Quartett, »Cry Me A River« mit Erwin Lehns Südfunk-Tanzorchester, »Stella By Starlight« mit Kurt Edelhagens WDR Orchester mit Dusko Gojkovich, »On The Sunny Side Of The Street“ mit Paul Kuhns SFB Tanzorchester und »Round Midnight« mit dem Michael Naura Quartett. Hier erweist sich Inge Brandenburg als einfühlsame Interpretin, die bestens swingen kann. Der Titel »Zähle nicht immer die Stunden« ist allerdings wohl eher für Fans des deutschen Schlagers der 60er Jahre von Interesse. Ansonsten überwiegen exzellente swingende Arrangements für Big Bands und kleinere Gruppen. Interessant auch, einige amerikanische Standards mit deutschen Texten zu hören, etwa »Makin‘ Whoopee« mit Paul Kuhns Text oder »You Don’t Know What Love Is«. Auf jeden Fall unterstreicht das Album einmal mehr, dass Inge Brandenburg eine exzellente Jazzsängerin war, die auch heute noch das Anhören lohnt. Wie passend, dass sie das Album mit »I Love Jazz« abschließt.

Text: Hans-Bernd Kittlaus

Klaus Vater

Unser wöchentlicher Podcast über das Leben, die Musik und alles, was dazugehört.

30. Folge: Jochen Axer im Gespräch mit dem Politiker, ehemaligen stellvertretenden Regierungssprecher und Autor Klaus Vater

 

Eine Jazz-Ballade voll purer Romantik – und eines der ersten Meisterwerke des Komponisten und Bandleaders Billy Strayhorn, der eine Vielzahl großartiger Songs ab 1940 schuf. Eine jahrzehntelange enge Freundschaft mit dem Alt-Saxophonisten Johnny Hodges führte zur Erstaufnahme 1940. 1962 veröffentlichten Johnny Hodges und Billy Strayhorn mit seinem Orchester den Song erneut, wie hier an den Anfang gestellt.

Johnny Hodges Karriere in der Duke Ellington Bigband führte dazu, dass er auch hier immer wieder »Day Dream« spielte. Hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1968.

Was wäre Romantik ohne Sprache. Die von mir am meisten geliebte Version ist deshalb diejenige von Ella Fitzgerald aus dem Jahr 1957 mit dem Duke Ellington Orchestra.

Dazu der Text im englischen Original von John Latouche und in einer nicht autorisierten deutschen Übersetzung:

Funny the way I feel now
Can’t keep my feet on the ground
Everything seems unreal now
When you’re not around

Why do you haunt me so?
Deep in a rosy glow
The face of my love you show

I walk along on air
Building a castle there
For me and my love to share

Don’t know the time
Lordy, I’m in a daze
Sun in the sky
While I moon around, feeling hazy

Don’t break my reverie
Until I find that he
Is day dreaming just like me

Why do you haunt me so?
Deep in a rosy glow
The face of my love you show

I walk along on air
Building a castle there
For me and my love to share

Don’t know the time
Lordy, I’m in a daze
Sun in the sky
While I moon around, feeling hazy

Don’t break my reverie
Until I find that he
Is day dreaming just like me

Komisch, wie ich mich jetzt fühle
Ich kann meine Füße nicht auf dem Boden halten
Alles scheint jetzt unwirklich
Wenn du nicht da bist

Warum verfolgst du mich so?
Tief in einem rosigen Glühen
Das Gesicht meiner Liebe zeigst du

Ich schwebe auf Luft
Ich baue dort ein Schloss
Für mich und meine Liebe zu teilen

Ich weiß nicht, wie spät es ist
Herrje, ich bin ganz benommen
Die Sonne steht am Himmel
Während ich herumtaumle und mich benebelt fühle

Unterbrich nicht meine Träumerei
Bis ich merke, dass er
genau wie ich träumt

Warum verfolgst du mich so?
Tief in einem rosigen Schimmer
Das Gesicht meiner Liebe zeigst du

Ich spaziere durch die Luft
Und baue dort ein Schloss
Um mich und meine Liebe zu teilen

Ich weiß nicht, wie spät es ist
Herrje, ich bin ganz benommen
Die Sonne steht am Himmel
Während ich herumtaumle und mich benebelt fühle

Unterbrich nicht meine Träumerei
Bis ich merke, dass er
Genauso träumt wie ich.

Da wir gerade bei großartigen Jazz-Sängerinnen sind, hier auch noch die wunderbar individuellen Versionen von Sarah Vaughan aus dem Jahr 1979

und Betty Carter aus dem Jahr 1993 (Royal Festival Hall, London mit Geri Allen • piano, Dave Holland (bass) und Jack DeJohnette (drums)). Allein die Länge der Aufnahmen verblüfft: Carter mit 9:24 gegenüber 5:04 bei Sarah Vaughan.



Jochen Axer, Unterstützer des King Georg und über die Cologne Jazz Supporters Förderer vieler weiterer Jazz-Projekte, stellt hier jeden Sonntag einen seiner Favoriten vor.

Dizzy Gillespie (Trompete) José Manguel (Bongos), Gilberto Valdez (Flöte), Rafael Miranda (Schlagzeug), Rene Hernandez (Klavier) Ubaldo Nieto (Timbales)

Con Alma« ist ein Jazz-Standard, der von Dizzy Gillespie geschrieben wurde,  Bebop-Jazz im lateinamerikanischen Rhythmus und bekannt für seine häufigen Wechsel der Tonarten (alle zwei Takte). So wurde die oben wiedergegebene Originalversion im Sextett 1954 in New York eingespielt, dabei drei Personen allein für den Rhythmus, zusätzlich Klavier, Flöte und natürlich Dizzys Trompete.  

Als einem Bigband-Liebhaber gefällt mir die Version mit der genialen Kenny Clarke – Francy Boland Bigband noch besser…. und nicht nur deshalb, weil deren Wurzeln 1961 in Köln liegen. Hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1970 eines Auftritts in Dänemark. Eine schlicht phantastische Besetzung: 

Dizzy Gillespie (trumpet & vocal); Dusko Goykovich, Art Farmer, Benny Bailey, Idrees Sulieman (trumpets); Nat Peck, Ake Persson, Erik Van Lier (trombones); Billy Mitchell, Ronnie Scott, Tony Coe (tenor saxes);, Derek Humble (alto sax); Sahib Shihab (baritone sax); Francy Boland (piano); Jimmy Woode (bass); Kenny Clarke (drums) Kenny Clare (drums)

Ich verehre Dizzy Gillespie. Er war einer der größten Jazztrompeter aller Zeiten,  der eine harmonische Komplexität erreichte, die im Jazz zuvor unbekannt war. Nicht zuletzt er setzte den Bebop durch. Gillespies Markenzeichen war ein Schalltrichter, der sich in einem 45-Grad-Winkel nach oben wölbte, statt wie üblich geradeaus zu zeigen. Was auch immer der Ursprung von Gillespies hochgezogener Trompete sein mag – dazu gibt es unterschiedliche Versionen – ,  ab Juni 1954 benutzte er ein professionell hergestelltes Horn, das für den Rest seines Lebens zu seinem Markenzeichen werden sollte.

Nochmals eine Bigband-Aufnahme des Songs mit seiner eigenen Band einige Zeit später (1988) beim Songs North Sea Festival.

Und wer auf den Geschmack gekommen ist, der mag das Konzert in voller Länge genießen:



Jochen Axer, Unterstützer des King Georg und über die Cologne Jazz Supporters Förderer vieler weiterer Jazz-Projekte, stellt hier jeden Sonntag einen seiner Favoriten vor.

Svenja Reiner, Sonja Lewandowski

Unser regelmäßiger Podcast über das Lesen und Gelesenwerden. Was haben die Bücher mit dem Leben zu tun?

Fünfte Folge: Wolfgang Frömberg im Gespräch mit Svenja Reiner und Sonja Lewandowski, den Künstlerischen Leiter*innen bei »Insert Female Artist – Literaturfestival für feministische Stimmen«

Fotos: Sandra Stein

2019, FLOATmusic

Seit der Saxofonist Johannes Ludwig vor einigen Jahren aus dem Frankenland nach Köln kam, hat er sich zu einer der führenden Stimmen in der Kölner Jazzszene entwickelt. Dazu hat seine Band Immigration Booth ebenso beigetragen wie seine Mitwirkung im Subway Jazz Orchestra. Dieses Album seines Fearless Trio mit Meisterpianist Simon Nabatov und Schlagzeuger Fabian Arends zeigt ihn als Saxofonist wie auch als Komponist erfreulich gereift. Schon die erste seiner acht Eigenkompositionen »Uphill« liefert einen fulminanten Auftakt mit Ludwigs höchst inspirierten Altsaxofonläufen über Arends‘ schnellem treibendem Schlagzeugspiel und Nabatovs treffsicher gesetzten Akkorden. Nabatov nimmt sich in seinem folgenden Solo genau das rechte Maß von Freiheit innerhalb des von der Komposition gegebenen Rahmens. »Fearless #1« gefällt mit ansprechender Melodie, die Ludwig mit lyrischem Sopranklang darbietet. Nabatov spielt dazu die perlende zweite Stimme zu Arends‘ perkussiven atmosphärischen Tupfern. »Presenting Alternative Facts« besticht durch eine angesichts des Titels fast unpassend schöne Melodie, »Snow Picture« verbreitet Melancholie. Das Highlight des insgesamt starken Albums ist das schnelle »Collective Disorder« mit Arends‘ nervösem Rhythmus, Ludwigs wahnwitzigem Solo und Nabatovs dichtem Spiel am Fender Rhodes. Gruppenimprovisation vom Feinsten, exzellent eingefangen von Toningenieur Stefan Deistler im Kölner Loft.

Text: Hans-Bernd Kittlaus

Eine legendäre Aufnahme des Jahres 1945 mit einem Starensemble – aus heutiger Sicht – zum Niederknien: Charlie Parker (alto sax), Miles Davis (trumpet), Dizzy Gillespie (piano), Curly Russell (bass), Max Roach (drums). Auf dem Album „Charlie Parker Rebeboppers/ The Bebop Boys.“ 

Charlie Parkers Komposition »Now’s The Time«  wurde auf der legendären Koko-Session im Dezember 1945 (»The Charlie Parker Story«) aufgenommen und schnell zu einer in der Bebop-Szene populären Jamsession-Nummer. Das Stück wurde eine der bekanntesten Kompositionen Charlie Parkers und gehört seit mehr als fünfzig Jahren zum Basis-Repertoire aller Bopper und Blueser.

Es wurde von etlichen Musikern eingespielt und genutzt. Als Videoaufnahme füge ich deshalb eine ganz eigenständige und geradezu lustige Version von Bobby McFerrin & Chick Corea  aus dem Jahr 2012 bei einem Freiluftkonzert in Wien bei.



Jochen Axer, Unterstützer des King Georg und über die Cologne Jazz Supporters Förderer vieler weiterer Jazz-Projekte, stellt hier jeden Sonntag einen seiner Favoriten vor.

2019, LafayetteGilchristMusic

David Murrays langjähriges Black Saint Quartet mit dem Pianisten Lafayette Gilchrist gehörte zu den besten Bands in der langen Karriere des Saxofonisten. Der Pianist aus Baltimore brachte ein Gospel-getränktes spirituelles Element in die Musik. In der Zwischenzeit experimentierte Gilchrist mit eigenen Bands zwischen Jazz und Hiphop. Mit »Dark Matter« legt er ein akustisches Solo-Album vor, das im September 2016 live in Baltimore aufgenommen wurde. In den elf Eigenkompositionen demonstriert er seine tiefe Verwurzelung in der Jazz-Tradition. Er beginnt »For the go-go« mit Stride-Anklängen, geht dann sehr perkussiv zu modernerer Harmonik und lässt seine rechte Hand abenteuerlich laufen. Das Titelstück zeigt seine Verbundenheit mit Monk mit vertrackter Harmonik und Blues-Basierung. „Spontaneous combustion“ kombiniert spannende Melodie mit perkussiver Rhythmik. Für »Old whale bones« wählt Gilchrist einen leichteren Anschlag, »Happy birthday sucker« verbindet bluesige Töne mit schnellerem mitreißendem Rhythmus. Die 55 Minuten Spieldauer des Albums vergehen im Fluge mit diesem Pianisten, der seinen Stil gefunden hat und doch für viel Abwechslung sorgt.

Text: Hans-Bernd Kittlaus

Keshav Purushotham

Unser wöchentlicher Podcast über das Leben, die Musik und alles, was dazugehört.

29. Folge: Wolfgang Frömberg im Gespräch mit dem Musiker Keshav Purushotham

Foto: Niclas Weber

Joao Gilberto, 1958

Desafinado« ist ein weltbekannter Bossa nova-Titel des brasilianischen Komponisten Antônio Carlos Jobim aus dem Jahr 1958 (Text: Newton Mendonça) . 

Das Stück war eine ironische Antwort Jobims auf seine Kritiker, die nach dem Hören der Single »Chega de Saudade« im Sommer 1958 der Ansicht waren, dass der Bossa nova – ein Begriff, der dort erstmals verwandt wurde – insgesamt »verstimmt«, »unmusikalisch«, eben portugisisch »desafinado« sei.

Deshalb macht es Sinn, den ironischen Text in Portugiesisch und in deutscher Übersetzung hier mit zu benennen. 

Desafinado

Se você disser que eu desafino, amor,

Saiba que isto em mim provoca imensa dor.

Só privilegiados têm o ouvido igual ao seu,

Eu possuo apenas o que Deus me deu.

Se você insiste em classificar

Meu comportamento de anti-musical,

Eu mesmo, mentindo, devo argumentar,

Que isto é Bossa Nova, que isto é muito natural.

O que você não sabe nem sequer pressente,

É que os desafinados também têm um coração.

Fotografei você na minha Rolley-Flex,

Revelou-se a sua enorme ingratidão.

Só não poderá falar assim do meu amor

Ele é o maior que você pode encontrar, viu?

Você com a sua música esqueceu o principal…

Que no peito dos desafinados, no fundo do peito bate calado,

Que no peito dos desafinados também bate um coração.

Unmusikalisch

Wenn du mir sagst, meine Liebe, dass ich unmusikalisch bin,

Musst du wissen, das schmerzt mich sehr.

Nur Privilegierte haben ein Gehör wie du,

Ich habe lediglich was Gott mir gegeben hat.

Wenn du darauf bestehst mein Verhalten

Als anti-musikalisch zu klassifizieren,

So muss ich, auch wenn ich lüge, argumentieren,

Dass dies hier Bossa Nova ist, das ist sehr natürlich.

Was du nicht weisst und auch nicht ahnst,

Ist, dass die Unmusikalischen auch ein Herz haben.

Ich habe dich mit meiner Rolleiflex fotografiert,

Und es ist deine riesige Undankbarkeit erschienen.

Aber so kannst du nicht von meiner Liebe sprechen

Es ist die größte, die du finden kannst, weisst du?

Du mit deiner Musik hast das Wichtigste vergessen…

Dass in der Brust der Unmusikalischen

Ganz tief in der Brust schlägt leise,

Dass in der Brust der Unmusikalischen

Auch ein Herz schlägt…

»Desafinado« wurde zu dem ›leisen‹ Bossa nova schlechthin. Sehr rasch folgten weitere Aufnahmen, die berühmt wurden, so bereits 1961 von Herbie Mann: 

1962 wurde  die Einspielung von Stan Getz und Charlie Byrd auf ihrem Album »Jazz Samba« sehr schnell zu einem Hit, viele andere Künstler mit ihren Versionen folgten. Hier zunächst das Original aus 1961, sodann eine Video-Aufzeichnung in identischer  Besetzung mit Tom Jobin.

Und schließlich nochmals Stan Getz, diesmal wieder mit dem berühmten Joao Gilberto in einer Audio-Aufnahme 1963:



Jochen Axer, Unterstützer des King Georg und über die Cologne Jazz Supporters Förderer vieler weiterer Jazz-Projekte, stellt hier jeden Sonntag einen seiner Favoriten vor.