In den Liner Notes sinniert Mark Lockheart über seine Lebenszeit, 20.711 Tage zum Zeitpunkt der Aufnahme im Dezember 2017. Diese Tage hat er offenbar gut genutzt, denn mit »Days On Earth« ist ihm ein Meisterwerk gelungen, ein Opus Magnum in sieben Stücken, aufgeführt von einem Jazz-Sextett und einem 30-köpfigen Orchester mit Streichern, Harfe und Bläsern. Die Kompositionen sind für das Orchester komplett ausgeschrieben, die Arrangements lassen dem Sextett und seinen Solisten aber Raum zur Improvisation. Das Ergebnis ist eine zeitgemäße Verbindung von symphonischer Neuer Musik und Modern Jazz mit punktuellen Pop-Einflüssen, die man in dieser Qualität und überzeugenden Integration seit Gunter Schuller’s Third Stream Experimenten in den 1950er Jahren selten gehört hat. Neben seiner langjährigen Mitwirkung in britischen Bands wie Loose Tubes oder Polar Bear hat Tenorsaxofonist Lockheart auch vielfältige Erfahrungen in der Kombination von Jazz und Klassik, die sich in Days On Earth auszahlen. Die Musik bleibt über die gesamte Laufzeit von 50 Minuten hochspannend und belohnt mehrmaliges Anhören mit immer neuen Entdeckungen.
Text: Hans-Bernd Kittlaus
Diese Stück ist eines aus der großen Zeit der Jazz Messengers unter Leitung von Art Blakey. Die Schwarzweiß -Aufnahme stammt von einem Konzert 1963 in San Remo. Ich füge eine colorierte Fassung des gleichen Konzerts bei, fast lustig in der Ansage…bitte nicht entgehen lassen …… und hier merkt man, wie sich die Welt verändert hat.
Sechs absolut großartige Musiker, jeder von ihnen heute eine Ikone. Widmen möchte ich den Lieblingssong diesmal gerne Freddie Hubbard, nicht zuletzt deshalb, weil wir diese Woche im King Georg Jeremy Pelt erwarten, der in der Nachfolge und Weiterentwicklung des Hardbop von Lee Morgan und Freddie Hubbard spielt.
Hubbards Karriere begann 1958 in New York City. und wurde durch sein Zusammenspiel mit Art Blakey und dessen Jazz Messengers 1961 bis 1964 bekannt. Die meisten seiner acht Einspielungen aus dieser Zeit gelten heute als Klassiker. Seine melodische Improvisation und phänomenale Technik machten ihn zu einem der führenden Trompeter seiner Zeit. Sein Stil entwickelte sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte aus dem Hard Bop zum Fusion-Lager mit seinem elektrischen Sound (Wichtiges Album: The Hub Of Hubbard ).
Mit Wayne Shorter (Sax), Herbie Hancock (p), Ron Carter (b) und Tony Williams (dr), den Mitgliedern des berühmten zweiten Miles Davis Quintetts, bildete er seit 1976 die Gruppe V.S.O.P., die mehrere Alben einspielte, darunter »Tempest in the Collosseum« 1977.
Eine Video-Aufnahme zur Wiederbegegnung des Quintetts in der Besetzung Freddie Hubbard, Joe Henderson(ts),Herbie Hancock,Ron Carter und Tony Williams lässt sich aus dem Jahr 1986 finden:
Wer Lust hat, noch mehr Freddie Hubbard zu hören, dem kann ich noch zwei Aufnahmen aus Jazz-Clubs anbieten: 1985 aus dem Subway in Köln (mit Kenny Garrett (as), Mark Templeton (p), Ira Coleman (b) und Carl Allen (dr)
Und eine Aufnahme aus dem Village Vanguard in New York in einer der Besetzung mit Ron Carter, Cedar Walton und Lenny White
Jochen Axer, Unterstützer des King Georg und über die Cologne Jazz Supporters Förderer vieler weiterer Jazz-Projekte, stellt hier jeden Sonntag einen seiner Favoriten vor.
Der New Yorker Chris Potter zählt schon seit 25 Jahren zu den führenden Saxofonisten im Jazz. In dieser Zeit hat er mit einem Who is Who der Jazzszene gespielt und unter eigenem Namen ein weites stilistisches Spektrum von Straight Ahead bis Avantgarde und Elektronik abgedeckt. Nach mehreren Jahren bei ECM liegt hier seine erstes Album auf dem englischen Edition Records Label vor – und es erweist sich als Meisterwerk von unbändiger Kraft und musikalischer Kreativität. An seiner Seite steht Schlagzeug-Virtuose Eric Harland, der Potter den jungen Keyboarder James Francies empfahl, der wie Harland aus Houston kommt und erst im Herbst 2018 sein Debüt auf Blue Note vorlegte. Potter beginnt »Invocation« mit schönem Bassklarinetten-Sound fast wie einen englischen Choral. Francies lässt sein Keyboard wie eine Orgel klingen. Doch mit »Hold it« wird es dann funky und groovy mit eingängiger Melodie vom Tenorsaxofon, hartem Rhythmus von Harland und einer Unterlage aus tiefen Tönen und elektronischen Effekten von Francies. »Koutomé« beginnt Potter wieder an der Bassklarinette ganz melodiös, bevor afrikanische Elemente von Harland ins Spiel gebracht werden und Potter ausdrucksstark am Tenorsaxofon soliert. Der Titelsong »Circuits« bringt kraftvolles Tenorsaxofon, aber auch groovendes Powerplay von Harland, sehr vielfältige elektronische Sounds von Francies und rhythmischen E-Bass von Gast Linley Marthe. »Queens of Brooklyn« lässt den Zuhörer mit Potters schönem Sound am Sopran kurz zur Ruhe kommen. Dann geht mit Potters »Exclamation« und Francies’ »Pressed for Time« nochmal die Post ab. Harlands rhythmisches Feuerwerk inspiriert auch Potter und Francies zu äußerster Funkyness. Eindrucksvoll!
Text: Hans-Bernd Kittlaus
April in Paris« ist ein Klassiker von Vernon Duke 1932 zu einem Text E.Y. Harburgs für das Musical »Walk a Little Faster …« Count Basie hat ihn ab 1955 zum Jazzstandard gemacht. Zuvor war die Resonanz zunächst durchwachsen, dann nahmen Ende der 1940er Jahre Coleman Hawkins, Thelonious Monk und Charlie Parker den Song in ihr Repertoire auf. Parker auch auf seinem Album With Strings 1949.1952 sang Doris Day den Song in dem gleichnamigen Film mit Ray Bolger. Erst 1955 gelang dem Count Basie Orchestra der Sprung in die Hitparade und in die Grammy Hall of Fame, so dass April in Paris fortan als Erkennungsmelodie gespielt wurde. Deshalb auch an den Start eine Aufnahme aus 1965 in einer Show of the Week der BBC.
Wer diese Show gerne komplett genießen will: Hier ist sie (»April in Paris« ab 24:33):
Und der großartige Sound des Count Basie Orchestra dann auch 1979 auf dem North Sea Festival in Den Hague. John Clayton am Bass und Butch Miles spielten einen Monat vor dem 75. Geburtstag von Count Basie gemeinsam mit diesem groß auf.
Es ist immer wieder verblüffend, welche Versionen sich bei Melodien letztlich durchsetzen. Denn meine Lieblingsinterpretationen sind diesmal durchaus nicht die BigBand-Versionen, sondern diejenigen mit Text und Stimme, zum einen von Ella Fitzgerald und Louis Armstrong, zum zweiten von Sarah Vaughan. Romantik pur !!!
Dazu gehört dann selbstverständlich der Text (deutsche Übersetzung nicht autorisiert)
April in Paris
April in Paris, chestnuts in blossom
Holiday tables under the trees
April in Paris, this is a feeling
No one can ever reprise
I never knew the charm of spring
Never met it face to face
I never new my heart could sing
Never missed a warm embrace
Till April in Paris, whom can I run to?
What have you done to my heart?
April in Paris, chestnuts in blossom
Holiday tables under the trees
Baby, April in Paris, this is the feeling
No one can ever reprise
I never knew the charm of spring
Never met it face to face
I never new my heart could sing
Never missed a warm embrace
Till April in Paris, whom can I run to?
What have you done to my?
I never knew the charm of spring
Never met it face to face
I never new my heart could sing
Never missed a warm embrace
Till April in Paris, whom can I run to?
What have you done to my heart?
April in Paris, blühende Kastanien
Festtagstische unter den Bäumen
April in Paris, das ist ein Gefühl
Keiner kann es je wiederholen
Ich kannte nie den Charme des Frühlings
Bin ihm nie von Angesicht zu Angesicht begegnet
Ich wusste nie, dass mein Herz singen kann
Ich vermisste nie eine warme Umarmung
Bis zum April in Paris, zu wem kann ich laufen?
Was hast du mit meinem Herzen gemacht?
April in Paris, blühende Kastanien
Urlaubstische unter den Bäumen
Baby, April in Paris, das ist das Gefühl
Keiner kann es je wiedergeben
Ich kannte nie den Charme des Frühlings
Habe ihn nie von Angesicht zu Angesicht getroffen
Ich wusste nie, dass mein Herz singen kann
Ich vermisste nie eine warme Umarmung
Bis zum April in Paris, zu wem kann ich laufen?
Was hast du mit mir gemacht?
Ich kannte nie den Charme des Frühlings
Bin ihm nie von Angesicht zu Angesicht begegnet
Ich wusste nie, dass mein Herz singen kann
Ich vermisste nie eine warme Umarmung
Bis zum April in Paris, zu wem kann ich laufen?
Was hast du mit meinem Herzen gemacht?
Haben Sie zugehört? Ich wiederhole mich: Romantik pur……
Jochen Axer, Unterstützer des King Georg und über die Cologne Jazz Supporters Förderer vieler weiterer Jazz-Projekte, stellt hier jeden Sonntag einen seiner Favoriten vor.
Enzirado ist ein Wortspiel mit den Vornamen der drei Band-Mitglieder. Es klingt fröhlich, spannend und eun wenig lateinamerikanisch – also wie die Musik auf diesem Album des italienischen Abeat Labels. Pianist Dado Moroni zählt seit Jahrzehnten zu den herausragenden europäischen Straight Ahead-Pianisten. Gemeinsam mit Basslegende Ira Coleman und dem im deutschsprachigen Raum weniger bekannten Schlagzeuger Enzo Zirilli erinnert er daran, wieviel Möglichkeiten noch immer im guten alten Klaviertrio stecken. Der überwiegende Teil der neun Stücke stammt von Moroni, so auch der Titelsong, der elegante Melodieführung mit rhythmischer Finesse verbindet. Moroni brilliert mit inspirierten Läufen, Coleman findet genau die richtigen Töne und Zirilli sorgt für den richtigen Swing, ohne sich zu sehr in den Vordergrund zu spielen. Gershwins »Isn’t it a pity« wird nah an der Komposition interpretiert, Moronis »Black Forest Blues« beginnt verhalten am Rhodes, bevor die Band in den rechten Groove kommt. Das Album endet mit Tom McIntoshs Quasi-Standard »The cup bearers« höchst swingend. Diese Musik ist auf angenehme Weise altmodisch, hat Stil und macht Spaß.
Text: Hans-Bernd Kittlaus
Musiker*innen, Künstler*innen, DJs und andere Kulturschaffende unterhalten sich anhand von zehn ausgewählten Platten über ihre Musikleidenschaft und ihr Leben.
Vierte Folge: Hermes Villena im Gespräch mit Flame
Ein wunderbares Stück Musik, eine sensationelle Interpretation von Slide Hampton. In der vergangenen Woche am 03. November 2021 spielte in unserem King Georg Jazz-Club Andy Hunter, Posaunist der WDR Bigband mit seinen wunderbaren Kollegen aus der Band Andy Haderer und Paul Heller und der jungen Rhythmusgruppe um Jerry Lu, Caris Hermes und Niklas Walter als Opener im Rahmen einer mehr als tollen Jam Session ein Slide Hampton- Programm. Nicht zuletzt diese Erinnerung an Slide Hampton-Kompositionen ist Anlass für den diesmaligen Lieblingssong.
Slide Hampton, geb. 21. April 1932, ist ein US-amerikanischer Jazzposaunist, Komponist und Arrangeur, in allen Kategorien machte er Karriere. Slide spielte Posaune, Tuba und Flügelhorn. Er ist einer der wenigen Linkshänder-Posaunisten: Als Kind erhielt er eine Posaune, um als Linkshänder oder rückwärts zu spielen; und da ihn nie jemand davon abhielt, spielte er weiter so. Er spielte mit nahezu allen Größen der verschiedenen Generationen. Etliche Ehrungen und Funktionen begleiten seinen Weg. Genießen Sie aus dem Jahr 2017 eine Aufnahme aus dem Wilbur Ware Institute New York City, mit Slide Hampton (und Kamau Adilifu, trumpet, – Kenny Barron, piano – George Coleman, tenor sax – Rufus Reid, bass – Steve Turre, trombone – Steve Davis, trombone -Victor Lewis, drums – Peter Lin, trombone)
Und wer mehr von Slide Hampton erfahren möchte, der möge ihm doch gerne selbst zuhören in seinem Gespräch mit Monk Rowe 2003 über seine Musik, seine Karriere und seine Art, die Posaune zu spielen – ernsthaft, souverän, klug und spannend:
Jochen Axer, Unterstützer des King Georg und über die Cologne Jazz Supporters Förderer vieler weiterer Jazz-Projekte, stellt hier jeden Sonntag einen seiner Favoriten vor.
Omer Klein zählt zu den herausragenden in Deutschland lebenden Pianisten. Der gebürtige Israeli legt mit »Radio Mediteran« sein achtes Album vor, das zweite beim Warner Music Label. Er setzt seinen mit der Vorgänger-CD »Sleepwalkers« angedeuteten Weg fort, anspruchsvollen Jazz mit eingängigen Sounds und Rhythmen aus dem Pop- und Rock-Bereich zu verbinden. Der Reigen von neun Eigenkompositionen beginnt mit »Our Sea«, geprägt von einer kurzen melodischen Sequenz mit Ohrwurmqualität, die Klein als Ausgangspunkt für einen solistischen Ausflug über dem rockigen Rhythmus von Bassist Haggai Milo-Cohen und Schlagzeuger Amir Bressler nutzt. Am Ende legt Klein eine schwere Synthesizer-Wolke darüber. Besonders gelungen ist das Titelstück, in dem sich das Trio geradezu in einen Hochgeschwindigkeitsrausch spielt. Während »Sofia Baby« und »Desert Trip« näher am Sound des klassischen akustischen Klaviertrios liegen, wird »Solois« rockiger mit elektronischen Elementen. Trotz dieser stilistischen Wechsel wirkt das Album wie aus einem Guss und zeigt ein bestens eingespieltes Trio, das den Jazz Fan ebenso ansprechen will wie ein jüngeres von der Pop-Musik kommendes Publikum.
Text: Hans-Bernd Kittlaus