Ein Gespräch mit dem Saxofonisten Julius van Rhee über musikalische Klischees, die Musikstadt Köln und den Traumberuf Musiker.
Julius van Rhee ist einer der faszinierenden Musiker*innen, die in der Kölner Szene gerade ihre ersten und zweiten Schritte machen. Das King Georg begleitet diese mit der »Young Talents«-Reihe – und van Rhee hat Mitte Februar ein ganz wunderbares Konzert an Ort und Stelle gespielt. Der 26-jährige, der in Köln geboren und in Waldbröl, im Oberbergischen, aufwuchs, landete über den Umweg Essen wieder in der Domstadt an der HfMT. Saxofon spielt er bereits seit seinem achten Lebensjahr, auch wenn er gerne Schlagzeug gelernt hätte. Aber was ist eigentlich »Stress-Jazz«?
Wann hast du entschieden aus der Berufung Musik deinen Beruf zu machen?
Ich hatte den Traum schon meine ganze Jugend hindurch – so ab 12/13. Nur hatte ich nach der Schule Angst, das in die Tat umzusetzen. Ich dachte, ich sei nicht gut genug und der Beruf sei zu unsicher. Ich hatte aber auch keinen alternativen Plan, weswegen ich nach der Schule erstmal gearbeitet habe und viel gereist bin. Ein Saxofon hatte ich nicht dabei. In Perth, in Australien, bin ich dann durch Zufall an ein altes Saxofon gekommen und habe dort drei Monate lang Straßenmusik gemacht. Ich stand einfach jeden Tag von morgens bis abends in der Fußgängerzone und habe Jazz-Standards gespielt. Dabei habe ich gemerkt, dass ich mir nichts Schöneres vorstellen kann, als den ganzen Tag Musik zu machen. Ich wusste, dass ich, wenn ich wieder in Deutschland bin, wenigstens versuchen muss, den Weg des Musikers einzuschlagen.
Du hast erst in Essen angefangen mit dem Studium und bist dann später nach Köln an die HfMT gekommen. Was waren die Gründe? Und welche Unterschiede hast du zwischen den Standorten ausgemacht?
Der Jazz-Studiengang an der Folkwang Universität ist toll, aber die Stadt bietet nicht so viele Möglichkeiten, Jazz zu spielen wie Köln. Dort gibt es nicht so viele Jazz-Musiker*innen auf engem Raum. Nach zwei Jahren in Essen wurde es mir also ein bisschen zu eintönig. Mich dann nochmal in Köln zu bewerben war eine relativ kurzfristige Entscheidung, die ich aber nicht bereue. Ich wäre auch gerne in Essen geblieben. Es gibt dort wunderbare Dozent*innen, Studierende und an der Folkwang eine besondere Atmosphäre, da in diesem kleinen Dorf (Essen-Werden) so viele verschiedene Kunstformen passieren (Theater, Tanz, Musical, Klassische Musik, Jazz) und auch viel Begegnung zwischen den einzelnen Studiengängen möglich ist. Der Wechsel nach Köln hat mir nochmal viele neue Türen eröffnet. Das besondere hier ist, dass der Jazz-Studiengang sehr groß ist, und dass die Schule stark mit der Szene vernetzt ist. So begegnet man seinen Kommiliton*innen abends auf Konzerten und man kann sich seine Dozent*innen live anhören. Das Niveau in Köln ist zudem sehr hoch und man lernt sehr viel durch den Austausch mit seinen Kommiliton*innen.
Ich möchte eigentlich schon, dass möglichst viele Menschen meine Musik hören und genießen können, ohne eine akademische Ausbildung oder ein lebenslanges Selbststudium in Musik abgeschlossen zu haben.
Julius van Rhee
2021 hast Du die Platte »Engine of Growth« aufgenommen, die dann letztes Jahr erschienen ist. Wie war es für Dich – auch als junger Künstler, der jede Sekunde auf der Bühne gebrauchen kann – während Corona zu arbeiten, zu musizieren?
Es war eine sehr komische Erfahrung. Die Band habe ich bereits kurz vor Beginn der Pandemie gegründet, da haben wir auch erste Demos gemacht, und ich war total stolz und voller Tatendrang, ein eigenes Projekt zu starten. Dann wurde man ausgebremst. Dadurch konnte natürlich über lange Zeit gar kein Bandgefühl aufkommen. Auch das Album aufzunehmen, ohne vorher je ein Konzert zusammen gespielt zu haben war ein komisches Gefühl. Dazu kamen noch kurzfristige Corona-bedingte Besetzungsänderungen kurz vor der Aufnahme. Ich bin aber trotzdem sehr glücklich mit dem Ergebnis und bin allen sehr dankbar, die daran mitgewirkt haben.
Ein Bandgefühl stellt sich eigentlich erst jetzt richtig ein, drei (!) Jahre nachdem wir die ersten Aufnahmen gemacht haben. Letztes Jahr hatten wir schon die Möglichkeit viele Konzerte zu spielen, eine kleine Tour zu machen und ein zweites Album aufzunehmen, an dem gerade gearbeitet wird. Aber jetzt, nach der größeren Tour, fühlt es sich erst richtig so an, dass die Musik Sinn macht und dass die Band nach einer Band klingt.
Gab es Momente, wo du die Karriere auch in Frage gestellt hast?
Generell hat mich die Pandemie schon viel zweifeln lassen an diesem Berufsweg. Natürlich habe ich auch viel Zeit zum Musik schreiben und üben nutzen können, aber keine Konzerte zu spielen, genau in der Zeit, wo es eigentlich so richtig losgehen könnte, ist schon ein ziemlicher Dämpfer. Ich hatte eh immer viele Zweifel an diesem Weg, weil ich mich erst relativ spät entschieden habe, professioneller Musiker zu werden. Mein Vorteil war bis zur Pandemie, dass ich immer sehr fleißig war. Aber diesen Fleiß aufrecht zu erhalten, ohne sich ab und zu mit einem Konzert belohnen zu können, ist nach einer Weile schon sehr schwierig gewesen. Im Lern- und Erfahrungsprozess kann das Live-Erlebnis auch nur begrenzt ersetzen. Das spüre ich jetzt schon, wenn ich auf der Bühne stehe.
Dazu kam, dass die Pandemie genau zu dem Zeitpunkt anfing, als ich das Gefühl hatte in Köln langsam Fuß zu fassen, Leute kennenzulernen und häufiger spielen zu können. Das ging dann natürlich auch nicht mehr so richtig, hat mich verunsichert und demotiviert.
Ich konnte nicht realistisch einschätzen, wie man sich künstlerisch verortet und wie es karrieremäßig läuft und weitergehen kann. Das ist gegen Ende des Studiums schon bitter, weil es in dieser Zeit eigentlich speziell um diese Fragen geht. Man hatte keine Jobs und keine Gigs – wusste aber nicht wie es ohne Pandemie gelaufen wäre: Liegt es jetzt also an mir oder an der Pandemie, dass ich nichts zu tun habe? Diese Ungewissheit zu haben fand ich und finde ich immer noch sehr anstrengend.
Die Musik deines Quartetts (in der Besetzung mit Yannis Anft an den Keys, Calvin Lennig am Bass und Karl-F. Degenhardt an den Drums) verortest du im Modern Creative Jazz. Was bedeutet das Label/das Genre für Dich? Welche Freiheiten gibt es Dir?
Ich schreibe einfach meine Musik und spiele sie mit Musiker*innen, die ich bewundere und die ich für diese Musik geeignet finde. Ich habe keinen Anspruch an meine Musik, außer, dass sie immer ehrlicher wird, also näher an dem ist, was ich ausdrücken möchte. Sei es ein Gefühl, ein Gedanke oder eine musikalische Idee.
Natürlich bin ich sehr geprägt durch die intensive Beschäftigung mit der Jazz-Stilistik, was man in der Musik, die ich bis jetzt geschrieben habe, auch hört. Ebenso ist Improvisation ein wesentlicher Bestandteil meiner Musik, da ich es liebe, wenn eine Komposition im Moment eine ganz neue Form annimmt und wenn mehrere Personen auf der Bühne einander zuhören, spontan reagieren und gemeinsam etwas kreieren.
Dieses Label habe ich irgendwo mal aufgeschnappt und bis jetzt keines gefunden, das die Musik, die wir machen, besser beschreibt. Man könnte natürlich auch genauer sein und sagen:
»Teils komponierte, teils improvisierte Musik, die auf traditioneller Bebop-Spielart beruht, die in den Kompositionen Elemente aus anderen Stilistiken vorweist und Raum für spontanes Kreieren im Moment lässt«. Das finde ich aber weniger elegant und kommt dem Klang der Musik auch nicht näher.
Was man sowohl auf dem Langspieler, als auch beim Konzert im King Georg gemerkt hat: Viele Deiner Kompositionen haben einen romantischen – im umgangssprachlichen Sinne – Kern. Du bist der Ballade alles andere als abgeneigt. Gibt es dafür Vorbilder? Am Saxofon und auch abseits davon?
Ich mag tatsächlich gerne einfache, »romantische« oder vielleicht manchmal auch kitschige Ideen. Ich habe keine Scheu davor, Klischees zu bedienen und trotzdem eigen zu klingen. Das Umschiffen vom Offensichtlichen führt für mich häufig dazu, dass ich etwas umständlicher ausdrücke als ich es gerne würde. Vorbilder am Saxofon sind natürlich die üblichen Verdächtigen: Sonny Rollins, Joe Henderson, Cannonball Adderley, Coleman Hawkins, Lester Young, Charlie Parker, John Coltrane um nur ein paar zu nennen.
Abseits vom Saxofon bewundere ich Ella Fitzgerald, Sarah Vaughn, Billie Holiday, Miles Davis, Herbie Hancock, Bill Evans, Keith Jarret oder Kurt Rosenwinkel für ihre Balladen.
Im King Georg wurde das Quartett um Lucy Liebe an der Gitarre erweitert – wie kam es dazu?
Lucy gehört zum festen Kern der Band, die eigentlich ein Quintett ist, und war nur während der Tour bei ein paar Terminen nicht dabei. Ich bewundere sie für ihre Musikalität, die Art wie sie spielt, ihre musikalischen Entscheidungen im Moment, ihre Experimentierfreude und ihrem Verständnis von Gitarre als Instrument, das klanglich aus verschiedensten Richtungen geprägt und sehr vielseitig ist. Mittlerweile haben wir schon viel zusammengespielt und einen gemeinsamen Sound für meine Stücke entwickelt.
Du hast gleich das zweite Stück als »Stress-Jazz« angekündigt. Was meinst Du damit?
Ich versuche häufig meine Musik aus der Perspektive jener zu sehen, die eigentlich nicht viel über Musik in dem Sinne, wie es zum Beispiel an Hochschulen gelehrt wird, wissen. Ich bin selber der einzige Musiker aus meiner Familie und werde deswegen häufig auch mit dieser Sichtweise konfrontiert.
Obwohl ich es natürlich toll finde, dass Musik sich stetig weiterentwickelt und Musiker*innen hohe Ansprüche an den künstlerischen Gehalt ihrer Musik haben, finde ich es superspannend, wie sehr Hörgewohnheiten unser Urteilsvermögen bei Musik beeinflussen. Etwas, das für jemanden, der zum Beispiel viel Jazz hört und alles Mögliche kennt, spannend und frisch klingt, kann für eine andere Person überfordernd und stressig klingen.
Ob die Musik jetzt wirklich spannend und frisch, oder einfach nur wirr und unangenehm ist, kann man also eigentlich gar nicht richtig beurteilen.
Beim Spielen und Schreiben also ab und zu mal die Sichtweise zu wechseln und sich zu fragen, wie könnte die Musik auf verschiedene Menschen mit verschiedenen Hörgewohnheiten wirken, finde ich persönlich sehr inspirierend und hilft mir, mich nicht zu verrennen.
Ich möchte eigentlich schon, dass möglichst viele Menschen meine Musik hören und genießen können, ohne eine akademische Ausbildung oder ein lebenslanges Selbststudium in Musik abgeschlossen zu haben. Das steht für mich nicht im Widerspruch dazu, meine Musik so zu schreiben oder spielen zu können, wie ich möchte, sondern ergänzt sich sehr gut.
Interview: Lars Fleischmann.
Erste Kooperation mit Judy Carmichael’s Jazz Inspired in Europa: Regelmäßig spannende Podcasts mit weltbekannten Künstlern. Diese Woche: Chris Hopkins, live bei uns mit den Jazz Kangaroos am 06. März 2023
Die Legende der Ella Fitzgerald – was hinter einer der prägenden Stimmen des 20. Jahrhunderts und ihrem Gebrauch des bee-bop-bop-bah-ooo-bee-doo-bee steckt.
Das amerikanische Musik-, Pop- und Rock-Magazin Rolling Stone hat vor wenigen Wochen eine Liste der wichtigsten 200 Sänger*innen aller Zeiten veröffentlicht. Diese Zusammenstellung wurde heftig diskutiert; einige Entscheidungen sind nachvollziehbar. Den großen Stimmen der afro-amerikanischen Musikgeschichte wird Ehre zu Teil; Aretha Franklin läuft – ganz sicher nicht zu Unrecht – auf Platz 1 ein. Derweil protestierten viele in den Online-Foren mit der gleichen Berechtigung über den Platz 45: Auf diesem fand sich nämlich die 1918 in Newport News (Virginia) geborene Ella Fitzgerald wieder. Ein Unding eingedenk der Tatsache, dass die Stimme Fitzgeralds die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt hat, wie kaum eine andere.
Mary Lou Williams, selbst eine der wichtigsten Komponist*innen des Jazz und des Great American Songbooks, berichtete einst von einer durchtanzten Nacht im Harlemer Savoy Ballroom. »Eine Stimme, die mir einen Schauer den Rücken rauf- und runtergehen ließ.« Weiterhin heißt es bei ihr, dass sie gar buchstäblich zur Bühne rannte, um herauszufinden, wem die Stimme gehörte.
Natürlich war es Ella Fitzgerald, die Band dazu Chick Webbs Swingband. Der Bandleader Chick Webb, der damals einflussreiche Swing-Bandleader, entdeckte Fitzgerald 1934 bei einem Gesangswettbewerb im Apollo; ebenfalls in Harlem befindlich. Der legendäre Club rühmt sich bis heute damit der Ort zu sein an dem »Ella« entdeckt wurde. SO will es jedenfalls die Legende.
Tatsächlich hat Webb die in den Anfangstagen oft schüchterne Fitzgerald erst ein Jahr später kennen gelernt; und sollte sie gar erst nach einigen Probemonaten fest engagieren.
Nichtsdestotrotz überzeugte sie schnell mit ihrer jugendlichen Stimme, die auch Jahrzehnte später klang, als wären die Stimmbänder in einen Jungbrunnen gefallen oder hätten einen Vertrag mit dem Teufel gemacht. Wie zum Beispiel diese Aufnahme aus dem Jahr 1968 – als sie bereits 50 Jahre alt war – der Gershwin-Ballade »Summertime« beweist:
Die Version kommt ihnen bekannt vor, liebe Leser*innen? Das ist ein bekanntes Phänomen im Zusammenhang mit Fitzgeralds Karriere. Als wichtigste Interpretin unzähliger Kompositionen – befeuert im übrigen durch ihr Engagement beim Label Verve, für welches sie etliche Songbooks eingesungen hat – könnte man behaupten, dass Fitzgerald diese Lieder »gehören«. Auf jeden Fall prägen ihre Interpretationen die Songs bis heute.
Mit Chick Webb sollte sie den Swing, der in der Prä-Weltkriegs-Ära die Staaten zum Tanzen brachte, anführen und zum Singen bringen. Nach Webbs Tod im Jahr 1939 übernahm sie dessen Band für einige Monate, was leider nicht aufging: Sie hatte als Autodidaktin nie Notenlesen gelernt und war als Arrangeurin vergleichsweise ungeeignet. Noch vor dem Tod feierten Webb, Fitzgerald und die Band einen Nummer-1-Hit in den Billboard Charts. »A Tisket A Tasket« war der große Durchbruch.
Zwar begeisterte ihre Stimme und so sehr sie mit ihrer jugendlichen Art das Publikum verzauberte, könnte vor allen Dingen eine bestimmte Technik besonders bedeutend im großen Bild der Musikgeschichte sein: Fitzgerald hob die Scat-Vokalisation, die ohnehin sehr wichtig war in der Emanzipation der Stimme als eigenes Instrument, auf ein neues Level.
Carmen Lundy erläutert in Joachim-Ernst Berendts »Das Jazz-Buch«: »Viele Scatsängerinnen verwenden die Silbe dwee sehr oft. Ella Fitzgerald benutzt demgegenüber nicht gerade oft das dwee. Sie gebraucht mehr das bee-bop-bop-bah-ooo-bee-doo-bee.«
Dieser Formenreichtum und die Vielfalt an Lauten war äußerst wichtig. Scat, der hier unter anderem das klanglich recht verwandte Saxofon ämuliert, wird vom Lückenfüller zum komplexen System aus verschiedenen Klangkomponenten.
Das erkennt man etwa hier:
Dadurch wurde Fitzgerald zur wichtigsten Vokalistin des Be-Bops, konnte sie doch besser als die meisten Kolleg*innen den neuen Ansprüchen an die Harmonik und an die Vokal-Improvisation genüge leisten. Der Rest ist Geschichte: Im Laufe der 50er wurde sie einem größerem Publikum bekannt – trotz Segregation in den Südstaaten und Auftrittsverboten. Anteil daran hatte auch Marilyn Monroe, vor allen Dingen aber ihr wunderbares Timbre, das zeitlebens Augen und Münder öffnete.
Und wie bereits erwähnt: Fitzgerald sammelte durch ihre ikonischen Interpretationen Songs, wie andere Menschen Briefmarken. Nach einer ereignisreichen Karriere starb sie 1996 in Los Angeles – überhäuft mit Würdigungen und Medaillen. Vielleicht sollte die Redaktion des Rolling Stone die Platzierung in ihren Top 200 nochmal gründlich überlegen.
Text: Lars Fleischmann, Foto: Foto Ben van Meerendonk / AHF, collectie IISG, Amsterdam
Ein Gespräch mit dem Komponisten, Songwriter und Popstar Albrecht Schrader.
Albrecht Schrader ist ehemaliger (Co-)Leiter des Rundfunk Tanzorchesters Ehrenfeld – bekannt aus Funk und Fernsehen –und damals zu seiner Zeit in Köln war er ein mehr als gern gesehener Gast im King Georg. Vor allem ist er aber ein grandioser Alleinunterhalter alter Schule, der wie die anderen Hamburger Größen (Carsten Erobique Meyer oder Rocko Schamoni) viel Bock auf Musik hat und auf verdammt gut gemachte Unterhaltung setzt. Wie eine Mischung aus Hans Albers und Hildegard Knef textet und singt er auch auf »Soft«, seinem dritten Solo-Album.
Am Rande seines exklusiven Auftritts im King Georg (sonst konnte man ihn vorerst nur in der Heimat und der Bundeshauptstadt erhaschen) führten wir dieses Interview.
Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Seit deinem letzten Konzert, 2019, ist es das erste Mal, dass du wieder in Köln ein Konzert gibst – ganz schön lang eingedenk der Tatsache, dass du hier fast 15 Jahre gewohnt hast. Nehmen wir diesen Tag zum Anlass darüber zu reden, was dich damals nach Köln verschlagen hat.
Ich bin 2005 aus Berlin – nach einem echt doofen Jahr dort – nach Köln zum Studieren gekommen. Ich hatte in Berlin bei ein paar Pop-Sachen mitgespielt; aus denen wurde aber nichts. Und ich wollte dann weg. Köln wurde es dann eigentlich eher aus Verlegenheit: Der Numerus Clausus passte. Obwohl ich niemanden kannte, schien mir das eine bessere Wahl als Hamburg, wo ich einfach nicht studieren wollte. Ich bin dort in den Elbvororten groß geworden und wollte damals einfach nicht mehr zurück, sondern nur weg.
Wenn du Elbvororte sagst, dann muss man das aus Köln wo genau verorten?
Die psychosozialen Elbvororte beginnen hinter Bahrenfeld. Dann kommen hauptsächlich Ein-Familien-Häuser.
Du hast in Köln Musikwissenschaften, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften sowie Klassische Literatur auf Magister studiert. Da sieht man – nun mal abgesehen von der Klassischen Literatur – immer noch Kontinuitäten in deinem Leben. Dazu kommen wir gleich. Wir müssen vorher noch erörtern, wie es dich dann auf die Bühne verschlagen hat. Vielen wurdest du in der Kölner Szene durch deine »Galerie Decadence«-Abende in der Baustelle Kalk bekannt.
Das war damals eine Fortführung der »Galanacht der Langeweile«, die auch schon in der Baustelle stattgefunden hatte. 2013 war das eine, offen gestanden stark von Studio Braun-Abenden beeinflusste, Schnapsidee, die ich auf die Beine gestellt habe, während ich noch für meine Magisterprüfung gelernt habe. Diese Paukerei fand ich furchtbar frustrierend und empörend; und aus Wut und Langeweile habe ich diesen Abend mit zwei, drei Ideen entworfen.
Der Ort, an dem wir hier gerade sitzen, hatte auch seinen Anteil, oder?
Ja, genau. Ich war vorher im King Georg zu Gast gewesen und hatte mit der Filmemacherin Nicole Wegener, die damals den Do It Yourself-Kulturort Baustelle Kalk gemacht hat, gesprochen. Ich erzählte ihr von dieser Idee und wider Erwarten war sie total begeistert. Sie hat sich dann mit ihrer Baustellen-Partnerin Meryem Erkus abgesprochen – und wir haben dann diesen unglaublich lustigen, improvisierten Abend auf die Beine gestellt. Das wollten wir aber nicht einfach wiederholen und haben stattdessen eine Reihe daraus gemacht: Die Galerie Decadence.
Wie meintest du damals das Wort Decadence? Bezog sich das auf dekadente Bonzen oder eher auf das Baudelaire’sche Wort von der Niedergangsgesellschaft, die den Rausch der Moderne vorhergesehen hat: Also irgendwo zwischen Stimmung und Morbidität?
Ich sag es mal so: Ich komme aus der Hafen- und Kaufmannstadt Hamburg. Diese Stadt lebt immer noch von den Widersätzen. Ich habe Bilder im Kopf von der Fahrt mit dem elterlichen Mercedes, wo man noch die Türen verriegelt hat, wenn man über die Reeperbahn gefahren ist.
In der »Szene« äußert sich das eher dandyhaft: Man geht im Vintage-Anzug, schick gemacht, in irgendeinen runtergekommen, ranzigen Laden. Diese Gegensätze mag ich bis heute gerne – und diese beiden Pole waren dann auch die Grundidee für die Reihe.
Kann man bestimmte Aspekte deines neuen Albums »Soft« ebenfalls in diese Richtung deuten? Dort hat man häufig das Gefühl, dass du ein Milieu abbildest, das zwischen High (»Cardigan of Love«) und Depression (»Donnerstags 8 bis 9«) lebt und nicht ganz damit zufrieden ist, wie die Welt eingerichtet ist.
Ich sehe mich nicht in der Lage, das große politische Lied zu schreiben. Was mich bewegt, schreibe ich von daher eher im Kleinen, von mir aus. Meine Herangehensweise für meine Musik ist, dass ich textlich versuche möglichst klein zu bleiben und das Große über die Musik zu erzählen oder zu lösen. Ich habe dafür einen musikalischen Paten gefunden: Den hervorragenden (Broadway-)Komponisten Steven Sondheim, der vor ein paar Monaten leider gestorben ist. Er war ein Meister darin, die großen Themen nur erahnen und dem Publikum durch kleine, präzise Songtexte genug Raum für ihre eigene Emotionalität zu lassen.
»Soft« ist ein besonderes Album, da es fast anachronistisch in seinem Aufbau ist. Ich will jetzt nicht sagen, dass es in dem Sinne ein Konzeptalbum ist, aber es erinnert sehr an die große Zeit des Pop-Songs in den 1970er Jahren. Man hat viele Balladen, dazwischen Up-Tempo-Nummern und dann die opulenten Werke. Da hört man klassische LPs der Carpenters, Burt Bacharach oder des frühen Scott Walker raus, oder?
Die genannten höre ich sehr gerne und die haben mich ganz bestimmt beeinflusst. Ich würde dennoch nicht sagen, dass das ein »Masterplan« ist oder war. Mir passiert es schlicht und ergreifend in 60-70% der Fälle, dass ich eine Ballade schreibe.
Das Album davor, »Diese Eine Stelle«, das war mit seiner klaren Themensetzung »Herkunftsscham« stärker an ein Konzept angelehnt. Das hat Spaß gemacht, aber war nun mal auserzählt. Diesmal hatte ich einige Lieder geschrieben und eher unterbewusst ist dann »Soft« dabei rausgekommen.
Kommen wir aber nochmal zu deinem Werdegang zurück: Wie hatte sich dein Gig beim Rundfunk Tanzorchester, der Böhmermann’schen Haus- und Showband, mit dem du deutschlandweit bekannt wurdest, ergeben?
Jakob Weiss, der bei der »Galanacht« gefilmt hat, aber sonst bei der Fernsehproduktionsfirma Bild- und Tonfabrik arbeitete, schlug mir vor, dass ich mal zu einem Casting für eine Ensemble-Comedy-Show gehe. Beim Casting selbst war es ein wenig unangenehm, weil ich ja auch kein Schauspieler bin … dennoch hat sich dann daraus ergeben, dass ich mit Jan Böhmermann zusammen Lieder geschrieben habe. Er schrieb die Texte und ich die Musik.
Der Rest ist Geschichte: Das Rundfunk Tanzorchester Ehrendfeld sollte schnell nach seiner Einführung schon ikonischen Status mit seinen Neu-Interpretationen erreichen. Du hast das für eine 15-Personen-Big-Band arrangiert …
Ich und Lorenz Rohde, mit dem ich die Arrangements realisiert habe, haben uns da gut ergänzt. Wir haben zwar beide nie »Arrangement« gelernt, aber wir haben das einfach gemacht. Unsere Interessen – bei ihm Funk und Soul, bei mir eher jemand wie Scott Walker halt – passten perfekt zusammen.
Ihr wurdet durch YouTube mit euren Interpretationen bekannt – durch den ein oder anderen Coup in der Sendung natürlich auch der ganze Komplex –, und dann hast du 2019 aufgehört mit diesem »Traumjob«. Von außen war es eigentlich ein Schock.
Ich hatte schon im Sommer 2018 entschieden aufzuhören. Das wurde nach und nach körperlich und psychisch sehr anstrengend – und ich kam nicht mehr dazu meine eigene Musik zu schreiben und zu spielen. Ich habe dann noch die Tour im Februar 2019 mitgenommen und dann schweren Herzens aufgehört.
Und dann kam auch der Wegzug aus Köln, Richtung Heimat Hamburg …
Das war gar nicht geplant. Ich wollte eigentlich noch in Köln bleiben, erfuhr dann aber, dass neue Räume für Musiker*innen in Hamburg entstehen – und ich wollte endlich mal einen richtigen Musikraum zum Arbeiten. Den hatte ich nämlich in Köln nie. Und dann bin ich bereits im Herbst 2019 zurückgezogen.
Kein halbes Jahr später kam die Corona-Pandemie … was hat das mit dir gemacht?
Das war, gelinde gesagt, doof. Ich hatte das Album »Diese Eine Stelle« noch in Köln fertig produziert und wollte in Hamburg ankommen, ausgehen, Menschen und die Szene kennen lernen – und dann war alles dicht. Am Tage der Lockdown-Verkündung kam das Master meines Albums an; was macht man da?
Wir haben dann kurzerhand das Album-Release in den Sommer vorverlegt. Es wusste ja keiner, wie sich die Musik-Industrie entwickelt, was noch alles passiert. Und wir dachten, dass es keinen Sinn ergibt, dann damit zu warten, sondern sagten »Jetzt erst recht«.
Hat diese Zeit der Entsagung die Grundstimmung auf »Soft« geprägt? Du singst viel über Verletzlichkeit.
Das ist eine gute Frage. Die ersten Songs, die entstanden sind, waren über Menschen, die ich wegen Corona nicht mehr so oft oder gar nicht sehen konnte. So ging die Arbeit los. Und das Thema »Verletzlichkeit«, das wollte ich schon länger anpacken: persönlich und als Musiker. Aber das war lange nicht en vogue, hatte ich das Gefühl. Derzeit und in den letzten Jahren gibt es eine neue Offenheit gegenüber solchen Themen. Da bin ich sehr dankbar.
Das muss künstlerisch dennoch passen; das wurde mir schnell klar. Kunst ist keine Bekenntnisplattform. Aber: Das Wort »Psychotherapie« singen zu können, ohne gleich in totaler Befindlichkeit zu landen, das fand ich sehr großartig.
Interview: Lars Fleischmann.
Unser Podcast über das Leben, die Musik und alles, was dazugehört. 37. Folge: Jochen Axer im Gespräch mit der Pianistin, Sängerin und Moderatorin Judy Carmichael