Ähnlichkeiten und Eigenheiten
Wunderkind – ja oder nein? Die jazzende Singer-Songwriterin Rosie Frater-Taylor im Porträt.
Bekanntermaßen gibt es einige Worte im anglo-amerikanischen Sprachgebrauch, die aus dem Deutschen stammen: Kindergarten, Schwermut, Fernweh, Leitmotiv … und Wunderkind.
Letzteres Wort ist in den letzten Monaten und Jahren gleich mehrfach gefallen, wenn es um die britische Musikerin Rosie Frater-Taylor ging. Ob sich ihre Musik tatsächlich in den Bereich der Wunder verfrachten lässt – oder doch Ergebnis harten Trainings ist -, das lässt sich am kommenden Sonntag, den 30. April im King Georg auf der Bühne sehen. Aber zunächst wollen wir die sensible Songwriterin hier vorstellen.
Es sprach einiges dafür, dass Rosie Frater-Taylor Musikerin werden würde. Der Gedanke drängt sich geradezu auf, bedenkt man, dass ihre Eltern selbst im Musik-Business sind. Ihre Mutter ist die schottische Sängerin Josie Frater. Anfang der 1990er Jahre lernte sie den Drummer Steven Taylor kennen und gründete erst eine Acid-Jazz-Band (The Runners; einziges Album »Phonetic«) und dann eine Lebenspartnerschaft. Ihr Spross Rosie sollte sich als Kind noch an die Drums setzen und ihrem Vater nacheifern, schon bald aber die Gitarre für sich entdecken. Ihr Vater reagierte alles andere als veschnupft, sondern spielte für seine Tochter Schlagzeug ein – und das macht er bis heute, wie man auf dem zweiten Longplayer »Bloom« aus dem Jahr 2021 hört. »Mein Vater spielt die Drums auf der Platte und ich denke, das hört man auch. Man kann diese interfamiliären Ähnlichkeiten erkennen«, erzählte sie dem Blog Jazzrevelations. Man habe halt sich ähnelnde Instinkte, was Musik anginge. Generell, so hat Frater-Taylor bereits mehrfach betont, ist diese Verbindung zu ihrer Familie ein wichtiger Antrieb in ihrer Musik.
Wo Familie ist, da ist auch ein Zuhause. Und wo ein Zuhause ist, da kann man sich auch einrichten. Vielleicht überinterpretiert man den Sound der 23jährigen, aber man meint doch eine gewisse Tendenz zu hören: Frater-Taylor richtet sich in ihren Songs – genauso in den wunderbaren Cover-Versionen, die sie auf dem Album unterbringt – etwa Fleetwood Macs »Dreams« – ein, macht sie zu einem Heim und agiert mit einem Urvertrauen zu den eigenen Fähigkeiten, aber auch zu den Bedingungen, unter denen die Musik geschieht und entsteht. Neben familiärer Wärme ist auch ihr eigenen Do It Yourself-Ansatz Schlüssel zum Erfolg. Schon zu Teenagerzeiten bastelte sie Tracks am Computer und in der Software »Cubase« zusammen, bis heute hält sie die Zügel in der Hand. Keine Entscheidung wird ohne sie getroffen. Songwriting und Arrangements: Frater-Taylor tritt wie eine kreative Urzelle, eine singend-jazzende Ich-AG auf.
Den gewissen Eigensinn kann man auch hören, denn ihre Musik ist zwar extrem eingängig, aber nie beliebig oder simpel. Ihre Harmonien sind eindeutig dem Jazz entnommen, die Stimme und Gesangstechnik genauso – hier wird neben soulig-poppigen Gesangsparts gerne komplex gescattet.
Das gleiche gilt für ihre Gitarrenparts, die zwischen einfachen Akkorden und hochstilisierten, verdichteten Läufen changieren: »Man hat mir häufiger gesagt, dass ich nicht den einfachen Weg wähle.«
Zum Chartserfolg kommt man anders, das stimmt. Der Weg führt aber zu einer leidenschaftlichen Anhänger*innenschaft: Ihr Mix, der so unterschiedliche Positionen wie Esperanza Spalding und Joni Mitchell unter einen Hut bekommt, dann bei George Bensons Gitarrenriffs vorbeischaut, an Jacob Collier vorbeirennt, um endlich bei Lewis Taylor zu landen. Gerade die Musik des 57jährigen Briten beeinflusst sie nachhaltig:
»Es gibt unzählige Geschichten von Musikern wie Lewis Taylor, die von Major Labels gesignt wurden, bloß um wieder fallengelassen zu werden, weil ihre Musik zu kompliziert ist. Sie versuchen genre-mäßig es anders zu machen. An den Punkt will ich auch kommen.« Wie dieser Punkt aussehen soll? Klar, in der Auflösung von Genregrenzen, die längst als überflüssig und unnütz wahrgenommen werden. Bei Rosie Frater-Taylor dreht sich alles um die vermeintliche Grenze zwischen Folk und Jazz, die hierzulande hart verteidigt wird, derweil in Großbritannien schon von jeher durch ihre Pub-Sounds- und Grassroots-Culture diskutiert wird. Das erinnert indes auch an die übergreifenden Genresynthetisierungen der beiden Gitarristen John Scofield und Bill Frisell.
Große Namen, die Frater-Taylor aber nicht zu scheuen braucht. Immerhin beweist sie mit »Bloom«, dass es längst an der Zeit ist überkommene Muster abzulegen. Versöhnlich und doch fordernd, mitreißend und auf Distanz haltend, sensibel und selbstbewusst: Wer sich sowas traut, der oder die ist entweder übermütig oder doch … ein Wunderkind.
Text: Lars Fleischmann.