Trompeter, Lehrer und Mentor in der amerikanischen Jazz-Szene: Keiner »mumblete« wie der bescheidene Superstar Clark Terry, der am 14. Dezember 100 Jahre alt geworden wäre.

Am 14.12.2020 ist der 100. Geburtstag des Trompeters, Komponisten, Band Leaders und Lehrers Clark Terry. Er war einer der ganz wenigen Musiker, die sowohl in den Big Bands von Count Basie und Duke Ellington spielten. Er war auch maßgeblich an der Etablierung des Flügelhorns als Jazz-Instrument beteiligt. Und er war der wohl am meisten verehrte Musiker, Lehrer und Mentor in der amerikanischen Jazz-Szene, ein Rollenmodell. Sein Leben und Werk sind beschrieben in seiner Autobiografie »Clark« und im Dokumentarfilm »Keep On Keepin‘ On«.
Clark Terry wurde am 14. Dezember 1920 in St. Louis, Missouri, als siebtes von elf Kindern geboren. Er wuchs in einer nicht musikalischen Familie auf, aber war schon als Kind ein großer Fan der Ellington Band und wollte Trompete spielen. Ersten Unterricht bekam er von seinem Schwager, dann in der Schule. Während des zweiten Weltkriegs spielte er in der Navy Big Band, u.a. mit den Trompetern Snooky Young und Gerald Wilson. Sein Spitzname wurde CT.
In der Folge wirkte er in verschiedenen Bands mit, z.B. Lionel Hampton und Charlie Barnett. 1948 nahm Count Basie ihn in seine Big Band, nach Auflösung der Big Band in seine Small Band. Hier eine Filmaufnahme mit Basie, Wardell Gray und Buddy DeFranco 1950:
CT wurde in dieser Zeit zum Mentor für Trompeter wie Miles Davis und Quincy Jones, obwohl sie nur wenige Jahre jünger waren. Sie blieben ihm ihr Leben lang verbunden.
Duke Ellington warb ihn 1951 ab für sein Orchester. Hier in einer Aufnahme im Concertgebouw, Amsterdam, 1958:
Dann startete Quincy Jones eine eigene Big Band mit ihm für eine Europa-Tournee, hier in Belgien und der Schweiz 1960:
1960 trat CT in die Dienste des amerikanischen Fernsehsenders NBC, um mehr Geld zu verdienen. Parallel tourte er als Solist. Er hatte viel Humor, den er nun auch auf der Bühne zeigte mit einem Gesangsstil namens »Mumbles«. Hier ist er im Quintett mit Bob Brookmeyer + Laurie Holloway + Rick Laird + Allan Ganley in BBC’s Fernsehserie Jazz 625 ca. 1965, mit Mumbles ab Minute 24:
Konzertorganisator Norman Granz setzte CT ab den 1950er Jahren in Konzerten ein, hier mit Oscar Peterson + Ray Brown + Ed Thigpen in Finnland 1965:
und bei Jazz at the Philharmonic in London 1967 mit James Moody + Zoot Sims + Dizzy Gillespie + Coleman Hawkins + Benny Carter + Teddy Wilson + Bob Cranshaw + Louie Bellson + T-Bone Walker:
CT startete seine eigene Big Band, genannt Big Bad Band, hier in Norwegen 1974:
Granz präsentierte CT auch beim Montreux Jazz Festival, hier mit einer All Star Band in Montreux 1977:
CT zählte nun zu den Top Stars der internationalen Jazz-Szene. Hier ist er mit Lionel Hampton + Illinois Jacquet + Dave Brubeck + Ron Carter + Frankie Dunlop in Ronald Reagon‘s White House 1981:
Er trat sehr häufig in Europe auf, hier mit Duke Jordan + Jimmy Woode + Svend Norregaard im Jazzhus Montmartre in Kopenhagen 1985 (startet in Minute 27):
im Duo mit Red Mitchell beim ZDF Jazz Club 1987:
mit den Sky Masters beim North Sea Jazz Festival 1989
im Quartett mit Dado Moroni + Pierre Boussaguet + Alvin Queen in Genf 1994:
mit den Legendary Trumpet Masters Doc Cheatham + Snooky Young + Harry Sweets Edison + Alec Wilder + Hank Jones + Jesper Lundgaard + Clarence Penn in Bern 1997:
mit der Illinois Jacquet Big Band in Bern 1998:
mit seinem Quintett mit Sylvia Cuenca + Don Friedman + Marcus McLaurine + David Glasser in Burghausen 2000:
CT war nun der hochverehrte Elder Statesman des Jazz und wurde mit vielfältigen Ehrungen und Doktorhüten bedacht. Selbst Superstar Aretha Franklin lud ihn ein und sang mit ihm Mumbles 2001:
CT’s Gesundheitszustand verschlechterte sich, aber er trat weiterhin auf. Hier mit Jimmy Heath + James Williams + Ray Brown + Les Harris Jr. beim Clark Terry Jazz Festival 2002:
Über die Jahrzehnte hatte CT einer Vielzahl von Musikern geholfen, nicht nur TrompeterInnen wie Ingrid Jensen, sondern auch z.B. dem Pianisten Justin Kauflin und der Sängerin Dianne Reeves, die hier über diese Erfahrung spricht:
Er gab an vielen Musikhochschulen Unterricht, hier als Trompetenlehrer 1981:
und 2004:
Sänger Joe Williams führte ein Interview mit CT 1995:
Seine Krankenbehandlungen in den letzten 10 Lebensjahren fraßen sein gesamtes Vermögen auf, aber er bekam Hilfe von Musikern durch Benefit-Konzerte und nicht-öffentliche Zuwendungen. Am Ende wurde er überhäuft mit Liebe und Ehrerbietungen. So besuchten ihn Wynton Marsalis und das Lincoln Center Jazz Orchestra zu seinem 94-sten Geburtstag am Krankenbett im Dezember 2014:
Zehn der besten Jazz-Trompeter der Welt spielten ein Tribute to CT auf der Jazz Cruise Anfang 2015, das live an sein Krankenbett übertragen wurde:
Kurze Zeit später, am 21. Februar 2015 starb Clark Terry, der bescheidene Superstar.
Text: Hans-Bernd Kittlaus, Foto: Tom Marcello
Am 6. Dezember wäre der 2012 verstorbene Pianist Dave Brubeck 100 Jahre alt geworden. Unsere Hommage an einen ungewöhnlichen Superstar des Jazz.

Am 6.12.2020 ist der 100. Geburtstag des Pianisten, Komponisten und Band Leaders David Warren »Dave« Brubeck, der zu den populärsten Jazz-Musikern der 1950er und 1960er Jahre gehörte. Sein Leben und Werk sind intensiv analysiert und beschrieben worden, zum Beispiel in Philip Clarks Biografie »A Life in Time« .
Dave Brubeck wurde am 6. Dezember 1920 in Concord, Kalifornien, geboren. Er wuchs auf einer Farm auf. Seine Mutter war Klavierlehrerin und unterrichtete ihn ab dem vierten Lebensjahr. Er wollte schon als Kind seine eigenen Melodien spielen und lernte nicht, nach Noten zu spielen, was ihm im Musikstudium am Mills College Probleme bereitete. Er besuchte Vorlesungen von Arnold Schönberg und beschäftigte sich mit dessen 12-Ton-Musik. Der französische Komponist Darius Milhaud wurde sein Lehrer, der ihn mit Polytonalität vertraut machte, also der Überlagerung mehrerer Tonarten in einem Stück.
1942 heiratete er Iola, die später Texte zu einigen seiner Kompositionen schreiben sollte und mit der er 70 Jahre bis an sein Lebensende zusammen blieb. Nach seinem Militärdienst setzte er seine Studien ab 1946 fort. Gleichzeitig gründete er ein Oktett, um seine musikalischen Ideen umzusetzen (nur Audio):
Das Oktett war wirtschaftlich nicht tragfähig. So gründete er 1951 sein Quartett mit dem Cool Jazz-Altsaxofonisten Paul Desmond, doch in den ersten Jahren war auch das schwierig, denn seine Musik war zunächst nicht leicht vermittelbar. Brubeck und seine Frau entwickelten die Idee, Colleges und Universitäten anzusprechen und mit denen Konzerte zu veranstalten. Sein Durchbruch kam dann mit der LP »Jazz at Oberlin« 1953 (nur Audio):
Hier das Quartet mit Desmond, Bassist Bob Bates und Schlagzeuger Joe Dodge 1954:
1954 war Brubeck der zweite Jazz-Musiker nach Louis Armstrong auf dem Cover des damals wichtigen amerikanischen Time Magazine. Mit der Aufnahme von Schlagzeuger Joe Morello 1956 und dem afroamerikanischen Bassisten Eugene Wright 1958 kam die Besetzung des klassischen Brubeck Quartetts zusammen, hier im Black Hawk Club, San Francisco, 1958:
Das amerikanische Außenministerium hatte in dieser Zeit erkannt, dass es Jazz zur Propaganda im Ausland nutzen konnte. Neben Armstrong, Ellington, Goodman und Gillespie wurde auch Brubeck eingesetzt und 1958 nach Polen geschickt:
Im gleichen Jahr nahm das Quartet die LP »Time Out« für Columbia Records auf, auf der Brubeck mit »Blue Rondo à la Turk« eine frühe Verbindung von Jazz und Weltmusik schuf. Außerdem enthielt die LP den von Paul Desmond geschriebenen Song »Take Five«, der zu einem der größten Hits der Jazz-Geschichte wurde. Es war verblüffend, wie Musik mit ungewöhnlichen ungeraden Taktarten wie 5/4 oder 9/8 zu solch einem Publikumserfolg werden konnte (nur Audio):
Brubeck und sein Quartett waren zu Stars geworden. Hier in Hugh Hefners Playboy »After Dark«-TV-Serie 1959:
Brubeck war kein Freund von Jazz-Gesang. Doch seine Frau Iola war mit der Sängerin Carmen McRae eng befreundet, schrieb Texte zu einigen von Brubecks Kompositionen und überredete ihn, sie mit Carmen McRae aufzunehmen. Zunächst entstand eine Studio-Aufnahme, dann diese Live-Aufnahme im New Yorker Club Basin Street East 1961:
1961 waren das Brubeck Quartett zu Gast in der TV-Serie »Jazz Casual«:
1964 in der BBC-TV-Serie »625 Jazz«:
in Belgien 1964 und Deutschland 1966:
in Paris 1967:
in Juan-les-Pins 1967:
Kurz darauf verließ Desmond das Quartett, spielte aber bis zu seinem Tod 1977 gelegentlich mit Brubeck zusammen. Brubeck ersetzte ihn durch Baritonsaxofonist Gerry Mulligan, hier mit beiden und Bassist Jack Six und Schlagzeuger Alan Dawson beim Newport Jazz Festival in Rotterdam 1971:
und bei den Berliner Jazztagen 1972:
Bei einem der letzten Auftritte mit Desmond in Boston 1976:
Mit Saxofonist Jerry Bergonzi, Bassist Chris Brubeck und Schlagzeuger Randy Jones beim Jazzfestival in Nizza 1979:
in Montreal 1981:
Mit Bill Smith beim North Sea Jazz Festival in Den Haag 1982:
Mit der Band Free Flight beim Playboy Jazz Festival in der Hollywood Bowl, LA, 1982:
Beim Jazzfestival in Vitoria-Gasteiz 1990:
Hier spielt er »Santa Claus is Coming to Town« 1996 mit zwei seiner sechs Kinder, die bis heute die Brubeck Band aufrecht erhalten:
Parallel zu seiner Jazz-Karriere komponierte Brubeck immer wieder klassische Musik, hier ein Ausschnitt aus »To Hope! A Celebration« mit dem Russischen Nationalorchester im Moskauer Konservatorium 1997:
Mit Bobby Militello + Alec Dankworth + Randy Jones beim Jazzfestival in Burghausen 2001:
Bei Marian McPartland’s Piano Jazz 2001:
Mit Bobby Militello + Michael Moore + Randy Jones in Baden-Baden 2004:
Brubeck war es vergönnt, bis zu seinem Tod 2012 international live aufzutreten. Wenn einer seiner langen Finger von harten Anschlägen gebrochen war, verpflasterte er ihn und spielte trotzdem. Er wurde mit zahlreichen Ehrungen bedacht und häufig interviewt. Hier sein erstes dokumentiertes Audio-Interview 1955:
im Interview mit seiner Frau Iola 2003:
im Interview 2008:
im Gespräch mit Dr. Billy Taylor + Ramsey Lewis 2008:
und in Clint Eastwoods »Piano Blues«-Dokumentation 2003 (ab Minute 17):
Es gehört zu den wundersamen Fügungen der Jazz-Historie, dass dieser Intellektuelle mit den dicken Hornbrillen, der geradezu modellhaft komplexe Kompositionen mit Improvisation zu kombinieren wusste, zu einem Superstar des Jazz werden konnte und über Jahrzehnte blieb.
Text: Hans-Bernd Kittlaus, Foto: Roland Godefroy
William »Billy« Hart zählt zu den vielseitigsten Schlagzeugern der Jazz-Welt. Trotz seines stolzen Alters ist er außerhalb des Lockdowns noch sehr aktiv.

Am 29.11.2020 ist der 80. Geburtstag des Schlagzeugers, Musiklehrers und Band Leaders William »Jabali« »Billy« Hart, der noch immer höchst aktiv ist und auf der ganzen Welt auftritt (außerhalb des Lockdowns). Er zählt zu den vielseitigsten und meistaufgenommenen Schlagzeugern der Jazz-Welt und wurde mit Auszeichnungen überhäuft. Einen Überblick über seine Karriere gibt dieser Jazz Times Artikel von Ted Panken.
Billy Hart wurde am 29. November 1940 in Washington, DC, USA, geboren. Er wuchs in einem Jazz-begeisterten Haushalt auf. Seine ersten Erfahrungen waren ebenso geprägt vom Soul eines Otis Redding wie vom Straight Ahead Jazz des Saxofonisten Buck Hill oder der Sängerin und Pianistin Shirley Horn, mit denen er schon als Jugendlicher spielte.
Größere, auch internationale Sichtbarkeit kam dann mit seinem mehrjährigen Engagement bei Hammond-Orgel-Star Jimmy Smith, hier 1965 in der TV Sendung Jazz 625 der BBC:
Davor und danach spielte er mit Gitarrist Wes Montgomery und seinen Brüdern, hier in Detroit 1968:
In dieser Zeit wurde er zunehmend von Avantgarde-Schlagzeugern wie Sunny Murray und Rashied Ali beeinflusst. John Coltrane wollte ihn als zweiten Schlagzeuger neben Rashied Ali in seiner Band, aber Hart fühlte sich noch nicht bereit. Dann engagierte ihn Tenorsaxofonist Pharoah Sanders, mit dem er auf der LP »Karma« 1969 spielte, unter anderem das legendäre »The Creator Has a Master Plan« (nur Audio):
In dieser Zeit gab der Perkussionist Mtume ihm den Ehrennamen »Jabali«, was in Swahili Weisheit bedeutet. Billy Hart zählte nun zu ersten Liga der Jazz-Schlagzeuger. Er spielte mit McCoy Tyner 1970 (nur Audio):
Miles Davis engagierte ihn für seine »On the Corner« Band-mit Herbie Hancock und schrieb sogar den Song »Jabali« für ihn, hier in einer Aufnahme 1972 (nur Audio):
Er war Mitglied in Herbie Hancocks Band Mwandishi mit Bennie Maupin + Julian Priester + Eddie Henderson + Buster Williams, hier in Paris 1972:
Seine Vielseitigkeit wurde immer größer. Stan Getz engagierte ihn. Hier mit Getz + Joanne Brackeen + Niels-Henning Ørsted Pedersen im Montmartre Jazz Club, Kopenhagen 1977 (nur Audio):
und mit Stan Getz + Andy LaVerne + Mike Richmond in Oslo 1977:
Parallel dazu entstand seine erste LP unter eigenem Namen, »Enchance« mit einer auch heute noch hörenswerten Mischung aus Avantgarde und Fusion Jazz mit Hannibal Marvin Peterson + Oliver Lake + Dewey Redman + Don Pullen + Dave Holland 1977 (nur Audio):
Eine Reunion mit Shirley Horn gab es beim North Sea Jazz Festival in Den Haag 1981, der Auftritt, der Shirley Horn’s internationale Karriere startete (beginnt bei Minute 1:40):
1987 spielte Hart mit Joe Henderson + Woody Shaw in Kongsberg, Norwegen:
1988 mit Gary Bartz + Wallace Roney + Joanne Brackeen + Clint Houston im Subway, Köln:
Anfang der 1980er Jahre wurde er Mitglied der Band Quest mit Dave Liebman + Richie Beirach + Ron McClure, hier in einer Live-Aufnahme von 1991 (nur Audio):
Mit Kenny Werner + Ray Drummond spielte er im Trio in Vienne 1998:
Bis heute wirkt er in der Band Saxofone Summit mit, hier mit Michael Brecker + David Liebman + Joe Lovano + Phil Markowitz + Rufus Reid im Birdland, NYC, 1999:
Bei Jazz Baltica 2000 trat er im Charles Lloyd Quartet with John Abercrombie + Marc Johnson auf:
Bis heute ist er Mitglied der All Star Band The Cookers, hier mit Billy Harper + Eddie Henderson + David Weiss + Craig Handy + Kirk Lightsey + Cecil McBee in Viersen 2008:
und mit Billy Harper + Eddie Henderson + David Weiss + Donald Harrison + George Cables + Cecil McBee in Buenos Aires 2016:
Er spielte über viele Jahre mit dem deutschen Saxofonisten Johannes Enders im Quartett, hier in Karlsruhe 2011:
Ebenfalls seit vielen Jahren hat er ein eigenes amerikanisches Quartett mit Ethan Iverson + Mark Turner + Ben Street, hier im Bimhuis, Amsterdam, 2016:
Im selben Jahr spielte er eine CD mit der WDR Big Band in Köln ein:
2018 führte er ein exzellentes Quartett mit Joshua Redman nach Getxo, Spanien:
und ins New Morning, Paris:
Billy Hart ist seit langer Zeit auch als Musiklehrer tätig, unter anderem in Oberlin und am New England Conservatory, wo er dieses Solo 2019 spielte:
Organist Joey De Francesco wollte unbedingt mit Billy Hart spielen wegen dessen Zusammenarbeit mit Jimmy Smith in der 1960er Jahren. Hier sind sie mit Saxofonist Troy Roberts beim North Sea Jazz Festival in Rotterdam 2019:
Im März 2020 sollte Billy Hart im King Georg Jazz Club, Köln, mit Christophe Schweizer + Pablo Held + Sebastian Gille auftreten, doch das fiel dem ersten Corona-Lockdown zum Opfer. Die vier hatten diese CD eingespielt (nur Audio):
Pablo Held sprach kürzlich ausführlich mit Billy Hart in seiner Reihe »Pablo Held investigates«:
Billy Hart ist ein sehr junger 80-jähriger. Wenn internationale Reisen wieder möglich sind, sollten wir ihn in Deutschland wieder regelmäßig genießen können. Zur Ruhe setzen will er sich jedenfalls nicht.
Text: Hans-Bernd Kittlaus, Foto: Joe Mabel
Er gilt vielen als größter noch lebender Jazz-Improvisator. Wohl dem, der ihn an einem seiner guten Tage live erleben durfte. Am 7. September 2020 feiert Sonny Rollins seinen Neunzigsten.

Am 7.9.2020 ist der 90. Geburtstag des Saxofonisten, Komponisten und Band Leaders Theodore Walter »Sonny« Rollins, der sich noch immer regelmäßig zu Wort meldet, aber leider seit einigen Jahren wegen Lungenproblemen nicht mehr öffentlich auftritt. Es gibt eine Vielzahl von Büchern über Sonny Rollins, z.B. John Abbott + Bob Blumenthal: »Saxophone Colossus: A Portrait of Sonny Rollins« und Eric Nisenson: »Open Sky«
Sonny Rollins wurde am 7. September 1930 in New York City geboren. Seine Eltern waren von den Jungferninseln eingewandert. Er spielte schon als Kind Klavier und Altsaxofon. Mit 16 wechselte er zum Tenor. 1949 wurde er Profi-Musiker. Hier »Audoban« mit J.J. Johnson 1949 (nur Audio):
und »52nd Street Theme« mit Bud Powell und Fats Navarro 1949 (nur Audio):
In dieser Zeit wurde er heroinabhängig und musste mehrfach ins Gefängnis. Trotzdem entstanden weiterhin bemerkenswerte Aufnahmen, so etwa die Stücke »Airegin«, »Oleo« und »Doxy« 1954 mit Miles Davis, Horace Silver, Percy Heath und Kenny Clarke (nur Audio):
1955 machte Rollins eine Entziehungskur mit Methadon-Programm und wurde die Sucht los. In der Folge entstanden exzellente Aufnahmen unter seinem Namen, darunter seine Prestige LP »Saxophone Colossus« mit Tommy Flanagan, Doug Watkins und Max Roach von 1956 (nur Audio):
und die LP »Way Out West« mit Ray Brown und Shelly Manne von 1957 (nur Audio):
Stand heute gibt es keinen Jazz Club auf der Welt, in dem mehr Live-Aufnahmen entstanden als im Village Vanguard, NYC. 1957 war Sonny Rollins der erste, der eine solche Live-Aufnahme im Village Vanguard einspielte und auf Blue Note als LP veröffentliche (nur Audio):
Schon 1958 nahm er Stellung zur amerikanischen Bürgerrechtsbewegung mit »Freedom Suite« mit Oscar Pettiford und Max Roach (nur Audio):
1959 tourte er im Trio mit Bassist Henry Grimes und den Schlagzeugern Pete LaRoca beziehungsweise Joe Harris in Europa:
Danach zog er sich bis 1961 gänzlich zurück und übte täglich stundenlang auf der Williamsburg Bridge. Auslöser war vermutlich die durch Ornette Coleman und andere in Gang gesetzte Entwicklung in Richtung Free Jazz, die Rollins als herausragenden Saxofonisten der 1950er Jahre zum Nachdenken brachte. Nach seiner kreativen Pause trat er selbst in die freieste Phase seiner Karriere. Hier ist er mit Don Cherry und Henry Grimes und Billy Higgins in Rom 1962:
1962 spielte er in der TV Serie Jazz Casual mit Jim Hall und Bob Cranshaw und Ben Riley, u.a. mit dem Stück »The Bridge«
In Dänemark spielt er 1965 im Trio mit Niels-Henning Ørsted Pedersen und Alan Dawson und 1968 mit Kenny Drew und Niels-Henning Ørsted Pedersen und Albert »Tootie« Heath:
1971 trat er mit Bobo Stenson und Arild Andersen und Jon Christensen beim Kongsberg Festival in Norwegen auf
1974 spielte er nochmal in Kongsberg, diesmal mit dem Dudelsackspieler Rufus Harley
Im gleichen Jahr trat er in Kopenhagen mit Rufus Harley auf
1975 brachte ihn zusammen mit Rahsaan Roland Kirk und McCoy Tyner, Stanley Clarke, Lenny White, George Benson, Freddie Hubbard, Hubert Laws, Bill Watrous und Airto in der Downbeat Readers Poll Award Session, unter anderem mit einem faszinierendem Duett mit McCoy Tyner über »In A Sentimental Mood« (mit Ansagen von Quincy Jones und Chick Corea)
1978 spielte er mit den Milestone Jazz Stars mit McCoy Tyner, Ron Carter und Al Foster in einer meiner liebsten Aufnahmen (nur Audio):
1980 trat er beim Jazz Jamboree in Warschau mit Al Foster u.a. auf, 1973 in Laren, Niederlande mit Walter Davis Jr. und anderen.
1981 war er Live under the Sky in Tokio mit George Duke, Stanley Clarke und Al Foster
1982 spielte er majestätisch beim Jazz Festival Prag
Im gleichen Jahr in Montreal
1985 trat er im Montmartre Jazz Club in Kopenhagen auf
1986 wurde er in der Dokumentation »Saxophone Colossus« portraitiert mit Interviews und Live-Aufnahmen:
1987 traf er Dizzy Gillespie mit Hank Jones + Rufus Reid + Mickey Roker:
1992 sah ich ihn in der Münchener Philharmonie mit seinem Sextett:
1998 spielte er mit Kevin Hays unter anderem beim Umbria Jazz Festival
2005 trat er in Juan-les-Pins auf
2010 kam es in NYC zum einzigen dokumentierten Zusammentreffen mit Ornette Coleman (nur Audio):
Hier äußert er sich im Kurzportrait zu seinem 80. Geburtstag 2010 zu seinem Verständnis von Jazz
Auch mit über 80 war er immer noch in der Lage, faszinierende Konzerte zu geben, hier in Vienne 2011
… und bei einem seiner letzten Auftritte in Detroit 2012
Superlative in der Kunst sind immer zweifelhaft. Trotzdem kann ich verstehen, warum Sonny Rollins häufig als der größte lebende Jazz-Improvisator bezeichnet wird. Diese Videos demonstrieren warum. Der verblüffende Grad der Verschmelzung von Musiker und Instrument und die Kombination aus Ideenfluss, Ausdrucksstärke, dramatischer Gestaltung und schierer Kraft wird jedem ein Leben lang in Erinnerung bleiben, der das Glück hatte, Sonny Rollins an einem guten Tag live zu erleben. Wünschen wir Sonny Rollins zum Neunzigsten, dass er das Leben noch einige Jahre genießen kann.
Text: Hans-Bernd Kittlaus, Foto: Creative Commons
»Bird« wurde nur 34 Jahre alt, seine Legende lebt weiter. Viele Saxofonist*innen orientieren sich heute an seinem Sound.

Am 29.8.2020 ist der 100. Geburtstag des Altsaxofonisten, Komponisten, Arrangeurs und Band Leaders Charles »Charlie« Parker Jr. , der auch unter den Spitznamen »Yardbird« und später »Bird« bekannt war. Es gibt zahlreiche Bücher und Artikel, in denen sein Leben und Werk behandelt werden, zum Beispiel Wolfram Knauers Biografie.
Charlie Parker wurde am 29. August 1920 in Kansas City, Missouri, geboren. Er war Einzelkind und hatte afro-amerikanische und indianische Vorfahren. Schon als Jugendlicher schlug er eine Karriere als professioneller Musiker ein und übte bis zu 16 Stunden am Tag. Er heiratete das erste Mal 1936. Im selben Jahr trug er schwere Verletzungen an Wirbelsäule und Rippen bei einem Autounfall davon und bekam Morphin. Das war der Start seiner Suchtkrankheit, von der er nie wieder los kam. Er konsumierte Alkohol, Nikotin, Medikamente und dann Heroin.
Nachdem er zunächst lokal in Kansas City spielte, wurde er 1938 Mitglied der Band des Pianisten Jay McShann und tourte landesweit. Hier eine Aufnahme von »Hootie’s Blues« 1941:
und mit »Swingmatism« 1941:
1940 lernte er den Trompeter John Birks »Dizzy« Gillespie kennen, mit dem er 1942 in der Band von Earl Hines spielte. Parker nahm schon 1942 in Kansas City »Cherokee« und »Body and Soul« in einer Weise auf, die Bebop-Elemente enthielt:
Parker und Gillespie wurden dann maßgebliche Innovatoren in New York City und gehörten zu den Musikern, die Bebop entwickelten. Leider ist die Zeitspanne 1942 – 1944 wegen eines Aufnahmestreiks nicht dokumentiert. Ab 1945 machten sie gemeinsam mit Musikern wie Thelonious Monk, Bud Powell, Miles Davis, Max Roach und anderen für die Labels Savoy und Dial die Aufnahmen, die für den Bebop ähnliche Bedeutung haben wie Louis Armstrong’s Hot-5 und Hot-7 Aufnahmen für den frühen Jazz, von »Billie’s Bounce« über »Yardbird Suite«, »Night in Tunesia«, »Ko-ko«, »Ornithology« bis zu »Now’s the Time« und viele andere, die überwiegend von Parker komponiert wurden:
Parkers Leben und Arbeit waren von psychischen Problemen und seiner Suchtkrankheit geprägt, die immer wieder zu Ausfällen und Unzuverlässigkeiten führte und auch der Grund war, warum Dizzy Gillespie schließlich nicht mehr mit ihm eine gemeinsame Band haben wollte. Parkers überragende musikalische Bedeutung und Fähigkeit führte dazu, dass zahlreiche andere Musikern glaubten, nur mit Heroin-Konsum an Parker heranreichen zu können, obwohl Parker sich immer vehement gegen diese Deutung und »Vorbildfunktion« zur Wehr setzte.
Es gibt nur wenige Video-Aufnahmen von Parker. Hier ist er mit Coleman Hawkins, Hank Jones, Ray Brown und Buddy Rich 1950:
Wie so viele Jazz-Musiker wollte auch Charlie Parker unbedingt mit Streichern aufnehmen. Norman Granz erfüllte ihm den Wunsch 1950:
Ein zweites Video mit Dizzy Gillespie und »Hot House« 1951:
1953 fand das legendäre Jazz at Massey Hall Konzert mit Parker, Gillespie, Bud Powell, Charles Mingus und Max Roach in Toronto statt, das Mingus auf LP veröffentlichte:
Parker heiratete noch ein zweites Mal, lebte dann aber mit Chan zusammen, mit der er formal nicht verheiratet war. Die beiden hatten zwei Kinder, Tochter Pree starb mit nur 3 Jahren 1954. Diese Erfahrung verschärfte seine Gesundheitsprobleme und trieb ihn zu zwei Selbstmordversuchen.
Am 12. März 1955 starb er 34-jährig im Apartment seiner Freundin und Mäzenin Baroness Pannonica de Koenigswarter in New York City. Der Arzt, der die Autopsie vornahm, schätzte sein Alter auf 50 bis 60.
Eine breite internationale Bekanntheit entwickelte sich erst nach seinem Tod. Seine Legende lebt bis heute weiter. Seine Musik war und ist immer verfügbar gewesen, in aktuellen Kompilationen sogar in verblüffend guter Tonqualität. Seine Kompositionen werden noch immer viel gespielt. Schon zu seinen Lebzeiten wurde der Club Birdland nach ihm benannt, später Festivals. Viele Saxofonisten orientierten ihren Sound an seinem Vorbild. In USA etwa Phil Woods und Charles McPherson, in Europa sind aktuell unter anderem zu nennen der Italiener Francesco Cafiso, hier in Marciac 2005:
und der junge Däne Oilly Wallace, hier im Live Stream im März 2020:
Zu Parker‘s 100. Geburtstag wird es zahlreiche Tributes geben, sowohl online als auch in physischen Konzerten. So wird die WDR Big Band seiner am 5.9.20 in der Kölner Philharmonie gedenken. Im King Georg werden am 28.9.20 Claus Koch & The Boperators ein »Bird Lives«-Tribute spielen, am 27.10.20 Axel Fischbacher mit seinen Five Birds.
Unmittelbar nach Parker’s Tod wurde »Bird Lives!« auf viele New Yorker Häuserwände gemalt. Es ist bis heute ein geflügeltes Wort – für die zeitlose Relevanz nicht nur von Parker’s Musik, sondern auch von Jazz im Allgemeinen.
Text: Hans-Bernd Kittlaus, Foto: William P. Gottlieb
Er zählt seit mehr als 60 Jahren zu den Top-Pianisten der Jazz-Welt – und ist auch im hohen Alter noch aktiv.

Am 2.7.2020 ist der 90. des Pianisten und Komponisten Ahmad Jamal, der seit mehr als 60 Jahren zu den Top-Pianisten der Jazz-Welt gezählt wird und auch in seinem hohen Alter noch immer aktiv und gefragt ist.
Ahmad Jamal wurde am 2. Juli 1930 in Pittsburgh, Pennsylvania, USA, als Frederick Russell »Fritz« Jones geboren. Er konnte schon als kleines Kind Melodien nach Gehör nachspielen. Ab 7 erhielt er Klavierunterricht und wurde von den wunderbaren Jazz-Pianisten aus Pittsburgh wie Earl Hines, Billy Strayhorn, Mary Lou Williams und Erroll Garner beeinflusst. 1950 konvertierte er zum Islam – wie es damals viele Afroamerikaner machten – und nahm den Namen Ahmad Jamal an. Ab 1951 nahm er mit seinem Trio Three Strings (Klavier – Gitarre – Bass) für das Okeh Label auf. Hier »A Gal In Calico« von 1952 (nur Audio):
1957 änderte er den Sound, indem er die Gitarre durch das Schlagzeug ersetzte. Er spielte mit Bassist Israel Crosby und Drummer Vernel Fournier als Hausband in Chicago’s Pershing Hotel. Dort entstand 1958 die Live-Aufnahme, seinen USA-weiten Durchbruch bedeutete – »At the Pershing: But Not for Me«, darauf auch sein bis heute größter Hit »Poinciana« (nur Audio):
Die LP blieb zwei Jahre lang auf den amerikanischen Jazz-Charts. Dieser Erfolg etablierte Jamal in USA. Er hat seitdem nie mehr als Sideman gearbeitet, nur als Band Leader. Und es folgte eine Kette von live aufgenommenen LPs. Sein Stil zeichnete sich dadurch aus, dass er Raum in der Musik ließ, aber auch dramatische Momente schuf durch drastische Wechsel in Rhythmus und Tempo. Miles Davis und viele andere MusikerInnen nannten ihn als Inspirationsquelle.
Hier ist er mit seinem Trio in einer Fernsehaufnahme in NYC 1960 (gemischt mit Aufnahmen von Ben Webster’s Band):
Das Geld, das er mit seinen Plattenaufnahmen eingenommen hatte, investierte er clever, u.a. in ein eigenes Restaurant »The Alhambra« in Chicago, wo er eine weitere Live-Aufnahme einspielte (nur Audio):
Die gute finanzielle Situation erlaubte ihm, sich drei Jahre lang aus dem Musikgeschäft zurückzuziehen. 1964 kam er zurück mit Bassist Jamil Nasser und neuer LP »Extensions« (nur Audio):
Er begann sich stärker auf Eigenkompositionen zu konzentrieren. Ab ca. 1970 setzte er Keyboards parallel zum Klavier ein. Seine Musik war zunehmend auf den europäischen Festivals gefragt. Hier ist er mit „Manhattan Reflections“ 1971 in Montreux (nur Audio):
Ebenfalls 1971 spielte er mit seinem Trio mit Jamil Nasser + Frank Gant in Paris:
Je mehr ab Ende der 1970er Jahre Straight Ahead Jazz wieder angesagt war, umso weniger griff er noch zu elektrischen Instrumenten. Um seinem Trio-Sound über die inherente dramatische Gestaltung hinaus mehr Abwechslung zu verleihen, begann er Gastmusiker dazu zu nehmen. Hier spielt er mit Gary Burton in Cannes 1981:
Die Pianistin Marian McPartland lud ihn 1985 in ihre Radio-Reihe Piano Jazz ein, wo er mit ihr spielte und über seine Karriere sprach (nur Audio):
Zu dieser Zeit erlebte ich Ahmad Jamal zum ersten Mal live auf dem North Sea Jazz Festival in Den Haag und war begeistert von seiner Dynamik. Hier spielt er mit James Cammack + David Bowler in Den Haag 1989:
Zum Glück hatte ich in den letzten 35 Jahren eine Vielzahl von Gelegenheiten, ihn live zu erleben. Er trat auch immer öfter in Deutschland auf. Hier ist er mit John Heard + Yoron Israel in München 1993
Ahmad Jamal war nie ein Anhänger des gleichberechtigten Trios. Er agierte vielmehr als wohlwollender Diktator, was auch auf der Bühne immer wieder sichtbar wurde. 1998 erzeugte er ein faszinierendes Klangbild durch die Zusammenarbeit mit Steeldrummer Othello Molineaux, hier mit James Cammack + Idris Muhammad in Poznan, Polen:
Ahmad Jamal hat über seine gesamte Karriere eine ungewöhnliche Kombination aus musikalischer Sensibilität und knallhartem Business Sense gezeigt. Ich erinnere mich an eine Ausgabe der Leverkusener Jazztage, wo Ahmad Jamal angekündigt war und auch anreiste, aber dann einen Gagenpoker startete mit dem Argument, die Fernsehaufnahme sei durch den Vertrag und die Gage nicht abgedeckt. Keiner gab nach, er trat nicht auf.
Tatsächlich wurde er in den letzten zwanzig Jahren sehr häufig gefilmt
Mit seinem Trio mit James Cammack + James Johnson + George Coleman in Marciac 2000
Mit seinem Trio mit James Cammack + Idris Muhammad bei Jazz Baltica in Salzau 2001
Mit seinem Trio mit James Cammack + Idris Muhammad in Grenoble 2008
Mit seiner Band mit James Cammack + Herlin Riley + Manolo Badrena + Yusef Lateef in Marciac 2011
Mit seiner Band mit Reginald Veal + Herlin Riley + Manolo Badrena und »Blue moon« in Marciac 2014
Finanziell betrachtet muss er sicherlich schon sehr lange nicht mehr auftreten, will es aber immer noch. Und es ist beneidenswert, wie geistig und pianistisch frisch er noch immer wirkt. 2013 gab er ein Interview in Marciac:
2018 spielte er beim Leopolis Jazz Fest in der Ukraine mit seiner Band mit James Cammack + Herlin Riley + Manolo Badrena:
In höherem Alter nahm er gelegentlich talentierte PianistInnen unter seine Fittiche, so etwa die Japanerin Hiromi und aktuell den aserbaidschanischen Pianisten Shahin Novrasli, hier im Gespräch 2019:
Wünschen wir dem Meisterpianisten Ahmad Jamal, dass er sich und uns diese Frische und Spielfreude noch einige Jahre erhalten kann.
Text: Hans-Bernd Kittlaus
Der Bandleader, Komponist, Arrangeur und Multiinstrumentalist hat besonders in der Kölner Jazz-Szene Spuren hinterlassen.

Am 5.6.2020 ist der 100. Geburtstag des Bandleaders, Komponisten, Arrangeurs und Multiinstrumentalisten Kurt Edelhagen, dem die deutsche und besonders die Kölner Jazz Community viel zu verdanken hat. Biografische Informationen sind den großartigen Büchern »Jazz in Köln« von Robert von Zahn und »Play yourself, man! – Die Geschichte des Jazz in Deutschland« von Wolfram Knauer entnommen.
Kurt Edelhagen wurde am 5. Juni 1920 in Baukau (heute Herne) im Ruhrgebiet geboren. Er besuchte als Jugendlicher die Folkwangschule Essen und studierte Klarinette, Klavier und das Dirigieren. Schon in dieser Zeit und dann auch als Soldat in Frankreich hörte er heimlich Jazz. Zurück in Herne 1945 gründete er eine Band, die er bald zur Big Band erweiterte. Es folgten zahlreiche Auftritte in britischen und später amerikanischen Soldatenclubs. Ab 1948 machte die Band Rundfunkaufnahmen für AFN und andere Sender. Die Arrangeure orientierten sich vielfach an Edelhagens großem Vorbild Stan Kenton. 1949 wurde Edelhagen mit seiner Band als »Jazz- und Unterhaltungsorchester« vom Bayerischen Rundfunk verpflichtet. Der Spagat, Tanz- und Unterhaltungsmusik spielen zu müssen, um Jazz spielen zu können, blieb ihm ein Leben lang erhalten. Edelhagen konnte einige der besten deutschen Jazz-Musiker der damaligen Zeit verpflichten. Erste Schallplatten entstanden. 1952 wechselte er zum Südwestfunk in Baden-Baden. Hier spielt Edelhagen mit seiner Band beim deutschen Jazzfestival in Frankfurt 1954, unter anderem mit Emil Mangelsdorff, Paul Kuhn und Caterina Valente, deren Karriere in Deutschland Edelhagen maßgeblich förderte (nur Audio):
Edelhagen interessierte sich frühzeitig für den Third Stream, also die Verbindung von Jazz und klassischer Musik, die vor allem der deutschstämmige Gunter Schuller in den USA vorantrieb. Bei den Donaueschinger Musiktagen 1954 spielte Edelhagen mit seinem Orchester nicht nur Strawinskis »Ebony Concerto«, sondern führte zusammen mit dem SWF Symphonieorchester auch Rolf Liebermanns »Concerto for Jazzband and Symphony Orchestra« erstmals auf (nur Audio):
Aber natürlich schlug sein Herz weiterhin für den Jazz, hier 1956:
1958 ging Edelhagen zum WDR nach Köln. Er bekam einen Zeitvertrag als freier Mitarbeiter, das heißt. seine Musiker waren keine WDR-Angestellten. Und er wechselte die Musiker häufig, zum Teil wegen seines eisernen Qualitätsanspruchs, zum Teil, weil die Musiker feste längerfristige Engagements in anderen Bands bevorzugten. Im selben Jahr wurde er Leiter des ersten Jazz-Kurses der Musikhochschule Köln und setzte bis 1963 Musiker seiner Band als Dozenten ein. Dies war nicht nur die erste dedizierte Jazz-Ausbildung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch die Wurzel für den bis heute bestehenden Jazz-Studiengang der Musikhochschule Köln und die Basis für eine entstehende Kölner Jazz-Szene.
Edelhagen lebte weiter im Spagat zwischen Jazz und Unterhaltung. Hier eine LP-Produktion mit Toots Thielemans 1961 (nur Audio):
Live in Aachen im Dezember 1960 klang das deutlich jazziger
In den 1960er Jahren erhielt das Orchester Kurt Edelhagen immer öfter internationale Einladungen. So fand eine Russland-Tournee statt. Hier spielten sie beim Jazz Festival Prag 1965:
1966 spielte das Orchester bei den Berliner Jazztagen mit dem jungen Posaunisten Jiggs Whigham:
1968 begleitete das Orchester Kurt Edelhagen Hildegard Knef bei einem der besten Konzerte ihrer Karriere in der Berliner Philharmonie:
1969 geriet Edelhagen in eine gesundheitliche Krise. Es wurde Leberzirrhose festgestellt. Er arbeitete bald weiter. Immer versuchte er, die besten Arrangeure für sein Orchester zu verpflichten. So arrangierte Quincy Jones 1970 Kompositionen von Jimmy Webb für ihn (nur Audio):
Seinen größten internationalen Erfolg erlebte Edelhagen 1972, als er die Musik für die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in München leitete:
Das war zwar kaum Jazz, aber die Soundtrack LP wurde Edelhagens größter kommerzieller Erfolg und stand zwei Monate lang an der Spitze der deutschen Hitparade.
Edelhagens Verhältnis zum WDR kühlte in den 1970er Jahren ab. Er blieb aber noch einige Jahre präsent, hier mit seinem Orchester als Entertainer mit viel Fernsehprominenz im deutschen Fernsehen 1975:
Nach langer schwerer Krankheit starb Edelhagen am 8. Februar 1982 in Köln mit nur 61 Jahren. Von Anspruch und Ausrichtung her kann man die WDR Big Band als Nachfolgerin seines Orchesters betrachten, auch wenn sie formal aus dem WDR Tanzorchester hervorging und sich glücklicherweise weitgehend auf Jazz konzentrieren kann.
Trotz aller Verdienste ist Edelhagen leider ein wenig in Vergessenheit geraten. Dabei haben die deutsche, und insbesondere die Kölner Jazz-Szene ihm viel zu verdanken. Jiggs Whigham erinnerte 2016 an ihn mit dem Programm »Edelhagen Remembered« des BuJazzO.
Zum 100. Geburtstag feiern ihn auch die deutschen Rundfunkanstalten:
WDR Dokumentation mit der WDR Big Band
SWR (nur Audio): Archivaufnahmen
Text: Hans-Bernd Kittlaus
Sie spielte schon Billie Holiday am Broadway und gehört selbst zu den absoluten Top-Sängerinnen der Jazz-Welt. Wir gratulieren zum Siebzigsten.

Am 27.5.2020 ist der 70. Geburtstag der Sängerin und Schauspielerin Dee Dee Bridgewater, die seit Jahrzehnten zu den absoluten Top-Sängerinnen der Jazz-Welt gehört. Biografische Informationen sind ihrer Webseite und diversen Jazz-Zeitungsartikeln entnommen.
Dee Dee Bridgewater wurde am 27. Mai 1950 in Memphis, Tennessee, als Denise Garrett geboren und wuchs in Flint, Michigan, auf. Mutter und Großmutter waren Sängerinnen, ihr Vater spielte Trompete mit Dinah Washington und arbeitete als DJ für eine Musik-Radiostation in Memphis. So war sie von Kindheit an von Musik umgeben, nicht nur Jazz, sondern auch Blues, Soul und R’n’B.
Schon als Teenager trat sie professionell als Sängerin auf. 1969 lernte sie den Trompeter Cecil Bridgewater kennen und heiratete ihn (nach ihrer Scheidung in den 1980er Jahren behielt sie den Namen). Aus dieser Ehe stammt ihre Tochter Tulani, die heute ihre Managerin ist. Einem größeren Publikum wurde Dee Dee bekannt als Sängerin der Thad Jones – Mel Lewis Big Band von 1971 bis 1974. Hier ein Auftritt in dieser Zeit mit »Bye bye blackbird«:
1974 bis 1976 spielte sie am Broadway im Musical »The Wiz« und erhielt dafür einen Tony Award und ihren ersten Grammy für die Soundtrack LP. Hier singt sie »If You Believe« aus dem Musical:
1974 kam »Afro Blue« heraus, ihre erste LP:
Danach versuchte sie es mit eher Pop-orientierten LPs, die aber nicht den erwünschten Erfolg brachten. Sie heiratete den Regisseur Gilbert Moses. Anfang der 1980er Jahre trat sie im Musical »Lady Day« als Billie Holiday am Broadway auf und tourte damit auch in Europa. Hier eine Aufnahme von ihrer Rückkehr in die Rolle am Broadway 2013:
1986 war ihre Ehe beendet und sie siedelte mit Töchtern nach Frankreich um. Mit ihrer CD »Live in Paris« stand sie bald im Jazz-Rampenlicht. Hier ihr Konzert in Bern 1987 mit Jon Faddis und ihrer Band mit Pianist Alain Jean-Marie, bei dem sie Clark Terry im Publikum entdeckt:
Seitdem steht sie in der ersten Reihe der Jazz-Sängerinnnen und ist weltweit sehr präsent auf Festivals und Konzertbühnen, in Klubs und auch auf Youtube. 1989 sang sie mit Ray Charles »Precious Thing«:
Hier ist sie mit ihrer Band mit Stéphane + Lionel Belmondo + Thierry Eliez + André Ceccarelli in Montreal 1995:
Mit dem Ray Brown Trio und der WDR Big Band führte sie ihr Tribute to Ella beim Jazzfest Berlin 1997 auf:
Das komplette Ella Programm sang sie mit ihrem damaligen Trio in Burghausen 1998:
Beim North Sea Jazz Festival in Den Haag 2003 spielte sie ihr Kurt Weill Programm:
Gelegentlich brach sie gern aus dem Jazz-Fach aus, hier 2004 mit der Band Gabin »Into my soul«:
Ihre Beschäftigung mit ihren familiären Wurzeln in Mali führte zur CD »Red Earth«. Hier führte sie das Programm bei den Jazz Open in Stuttgart 2007 auf:
Für Ihr Billie Holiday-Tributalbum »Eleanora Fagan (1915–1959): To Billie with Love from Dee Dee« bekam sie 2011 einen Grammy. Hier sang sie das Programm mit James Carter beim North Sea Jazz Festival in Rotterdam 2010:
In Nizza sang sie 2012 gemeinsam mit ihrer Tochter China Moses »Every Day I Have the Blues«:
Bei den Jazz Open in Stuttgart 2013 kam es zu einem gemeinsamen Konzert mit Piano-Legende Ramsey Lewis:
Bei der Jazzaldia in Spanien 2014 sang sie mit ihrer Youngster Band um Trompeter Theo Croker:
Vor wunderbarer Kulisse in Ungarn 2015 sang sie mit Irvin Mayfield und dem New Orleans Jazz Orchestra:
In Hollywood 2016 sang sie zu Ehren von Dinah Washington und Lena Horne:
Mit ihrem Memphis Programm begab sie sich beim Montclair Jazz Festival 2017 wieder zu ihren Wurzeln:
Dee Dee lebt heute in Las Vegas. Sie engagiert sich seit langem als UN Botschafterin wie auch in der Ausbildung, hier in Berklee:
Trotz gesundheitlicher Probleme gibt sie weiterhin weltweit regelmäßig mitreißende Konzerte, auch oft in Deutschland. Möge das noch lange so bleiben! Happy Birthday, Dee Dee!
Text: Hans-Bernd Kittlaus
Runde Geburtstage. Todestage. Jahrestage. In dieser Rubrik erinnern wir an Musiker*innen der Jazz-Geschichte und an herausragende Jazz-Ereignisse.

Am 16.5.2020 ist der 30. Todestag des Sängers und Entertainers Sammy Davis Jr. (1925 – 1990), des vermutlich talentiertesten Entertainers des 20. Jahrhunderts. Er war auch ein exzellenter Jazz-Sänger, auch wenn er nicht in diese Schublade gesteckt werden wollte. Biografische Informationen sind entnommen aus den Autobiographien »Yes I Can« (erschienen im Jahr 1965): , und »Why Me?« (erschienen im Jahr 1989).
Sammy Davis Jr. wurde am 8. Dezember 1925 in Harlem, New York, geboren. Seine Eltern bildeten mit Will Mastin, der Sammys Patenonkel wurde, ein Gesangs- und Tanztrio, mit dem Sammy schon als Dreijähriger erste Auftritte hatte. Hier mit 7 im Film »Rufus Jones for President«:
Er ging nie auf eine normale Schule, sondern wurde schon als Kind professioneller Entertainer als Mitglied von Will Mastins Trio. Zu seinen Fähigkeiten als Sänger und Tänzer kamen später die Beherrschung verschiedener Instrumente, unter anderem Schlagzeug und Saxofon, und seine Tätigkeit als Schauspieler in Filmen und als Hauptdarsteller in Broadway Musicals.
Schon 1941 traf er Frank Sinatra und entwickelte eine Freundschaft, die lebenslang sein sollte. Als Soldat erlebte er Rassismus der übelsten Sorte. Hier ist er mit dem Will Mastin Trio in den 1940er Jahren:
Anfang der 1950er Jahre koppelte er sich zunehmend vom Will Mastin Trio ab und machte erste Plattenaufnahmen. Sein erster größerer Hit war 1954 für Decca »Hey There«:
In dieser Zeit begann er, die schickeren Nachtclubs und Las Vegas Hotels zu erobern, auch wenn er als Schwarzer dort zunächst nicht übernachten durfte und durch die Hintertür rein- und rausgehen musste. 1954 hatte er einen schweren Autounfall, bei dem er sich Brüche und Gesichtsverletzungen zuzog und ein Auge verlor, das er später durch ein Glasauge ersetzte. Er trat zum Judentum über. 1958 begann seine Filmkarriere mit den Musikfilmen »Anna Lucasta« und »Porgy & Bess«. Decca versuchte ihn eher als Pop-Sänger zu etablieren, aber vieles, was er vor allem live sang, war eher Jazz. Hier ein Auftritt in Hugh Hefners TV Show Serie Playboy after Dark 1959:
In dieser Zeit wurde er Mitglied der Gruppe um Frank Sinatra, die sich Rat Pack nannte und zu der auch Dean Martin, Peter Lawford (Schwager von John F. Kennedy) und Joey Bishop behörten. Die Herren drehten über Jahre tagsüber unterhaltsame Filme und traten abends in Las Vegas auf. Hier der einzige auf Film festgehaltene Auftritt des Rat Pack 1965 in St. Louis:
Sammy Davis Jr. öffnete nicht nur die Türen für schwarze Entertainer, er verletzte auch bewusst Tabus, zum Beispiel dass Afroamerikaner keine Weißen parodieren durften:
Und er beteiligte sich an den Protestmärschen der Bürgerrechtsbewegung, zum Beispiel in Selma. Doch viele Afroamerikaner warfen ihm vor, zu sehr »weiß« sein zu wollen. Seine Ehe mit der sehr blonden Schwedin Mae Britt wurde als Beleg betrachtet. Trotzdem gelang ihm 1972 sein einziger Nr. 1 Pop-Hit in den USA »The Candy Man«. Doch sein Signature Song wurde »Mr. Bojangles«. Im selben Jahr trat er bei einer UNICEF Gala in Berlin mit dem SWR Tanzorchester auf und sang beide Songs:
Ebenfalls 1972 machte er einen gravierenden Fehler, als er sich für Richard Nixons Wiederwahl engagierte und ihn auf offener Bühne umarmte. Das Foto war am nächsten Tag in allen Zeitungen und bedeutete den vollständigen Verlust seiner schwarzen Fanbasis. Ab dem Zeitpunkt konnte er in USA außerhalb von Las Vegas keine Hallen mehr füllen und bekam auch nie wieder einen Vertrag mit einem größeren Platten-Label. Da er daran gewöhnt war, jedes Jahr gewaltige Dollar-Summen einzunehmen und genauso schnell mit beiden Händen wieder auszugeben, musste er seine Tourneen nach Europa und in den Rest der Welt verlagern.
Hier kommt mein persönliches Erleben ins Spiel. 1974 kaufte ich bei dem Bochumer Plattenhändler meines Vertrauens die Doppel-LP »Sammy Davis Jr. At the Coconut Grove«, die beste seiner vielen Live-Aufnahmen, ohne irgendetwas von der ganzen Vorgeschichte zu wissen:
Ich war begeistert und hörte diese Scheiben rauf und runter. Im folgenden Jahr trat die Fernsehzeitschrift HörZu als Promoter von Sammys Konzerten in Deutschland auf. Meine Eltern erklärten mich für verrückt, aber ich kaufte ein Ticket für die Philipshalle Düsseldorf für DM 45,-, ein Vermögen für einen 17-jährigen Schüler. Es war mein erstes größeres Live-Konzert. Sammy brachte Magie in die sehr nüchterne Halle, und er brachte unangekündigt seinen Freund und sein altes Vorbild Billy Eckstine mit, dessen Karriere am Boden lag und dem er helfen wollte. Diese Konzertaufnahme aus Australien 1979 gibt die Erinnerung an Sammy ganz gut wieder:
Als er 1978 in die Gruga-Halle Essen kam, war ich wieder dabei. Dies war das jazzigste Konzert, das ich je von Sammy sah, denn er hatte Buddy Rich und seine Big Band dabei. Hier ist er als Steptänzer mit Buddy und Gene Krupa in den 1960er Jahren:
Das nächste Mal sah ich ihn im April 1982 im Deutschen Museum in München. Die Hälfte der deutschen Unterhaltungsprominenz saß im Publikum. Und Sammys Charisma sprengte den relativ kleinen Saal. Auf diesem Europa-Trip sorgte er für einen Höhepunkt der deutschen Fernsehunterhaltung, als er mit Peter Herbolzheimers Rhythm & Brass Combination in der Show »Bio’s Bahnhof« in Frechen bei Köln auftrat:
Das letzte Mal sah ich Sammy im April 1989 in der Olympiahalle München im Konzert mit Frank Sinatra und Liza Minnelli. Hier ihr Auftritt in Japan aus dieser Zeit:
Sammy war bestens bei Stimme. So gut, dass Quincy Jones ihm vorschlug, eine Platte aufzunehmen. Dazu kam es nicht mehr. Bei Sammy wurde Kehlkopfkrebs diagnostiziert. Durch die Strahlenbehandlung im Herbst 1989 verlor er seine Stimme. Sammy war pleite. Sinatra und andere Freunde halfen still im Hintergrund.
Im November 1989 organisierte man ein Tribute Konzert für ihn in Los Angeles. Offiziell hieß es Tribute zu seinem 60-jährigen Bühnenjubiläum, aber es wussten wohl alle Beteiligten von Stevie Wonder bis Jesse Jackson, um was es wirklich ging. Sammy war dabei, konnte aber weder singen noch sprechen. Immerhin machte er einige Stepptanzschritte mit Gregory Hines. Michael Jackson, der Sammy als Vorbild und väterlichen Freund betrachtete und so manche Tanzschritte von ihm abgeschaut hatte, sang für ihn in berührender Weise (beginnt nach genau 2 Stunden):
Am 16. Mai 1990 starb Sammy. Ich war zu dem Zeitpunkt mit meiner zukünftigen Ehefrau in Urlaub in Kalifornien und bekam das enorme Medienecho direkt mit. Zwei Tage später fuhren wir durch Death Valley und am Abend in das wie immer grell beleuchtete Las Vegas. Plötzlich gingen alle Lichter aus – die Unterhaltungsmetropole Amerikas stand 10 Minuten still und trauerte um ihren größten Entertainer. Das war zuvor nur für John F. Kennedy und Martin Luther King geschehen.
Einen Song hatte Sammy nur kurze Zeit in seinem Repertoire, weil er ihn emotional zu sehr belastete. Musik von Udo Jürgens (das sagt Sammy falsch an), Text vom britischen Sänger Matt Munro: »If I never sing another song« im britischen Fernsehen 1978
Es gibt eine Reihe von Dokumentarfilmen über Sammy. Den für mich besten, der Sammy in seiner ganzen Komplexität zeigt, hat Arte gerade in die Mediathek gestellt
Eine Generation später hat sich die Black Community mit Sammy versöhnt. Pianist Harold Mabern nahm vor einigen Jahren eine Tribute CD für ihn auf. Am 24.4.20 hatten Christian McBride und Melissa Walker die Sänger Kurt Elling, Will Downing und Vuyo Sotashe in ihrem Online Hang zu Gast und sprachen über Sammy (beginnt nach einer Stunde und einer Minute)
Da ging es nur noch um diese einmalige Ansammlung von Talenten in einer Person von 1,55 Metern Körpergröße, der als Sänger, Tänzer und Entertainer so viele Türen geöffnet hatte. »Larger than life«.
Text: Hans-Bernd Kittlaus
Runde Geburtstage. Todestage. Jahrestage. In dieser Rubrik erinnern wir an Musiker*innen der Jazz-Geschichte und an herausragende Jazz-Ereignisse.

Am 8.5.2020 war der 110. Geburtstag der Pianistin, Komponistin und Arrangeurin Mary Lou Williams (1910 – 1981), einer maßgeblichen Wegbereiterin für Frauen im Jazz jenseits der Rolle als Sängerin. Biografische Informationen sind entnommen aus der im Jahr 2000 erschienenen Biografie »Morning Glory« von Linda Dahl:
Mary Lou Williams wurde als eines von elf Kindern am 8. Mai 1910 in Atlanta, Georgia, als Mary Alfrieda Scruggs geboren und wuchs in Pittsburgh, Pennsylvania auf. Ihre Mutter sang in ihrer Freizeit Spirituals und spielte Ragtime auf Klavier und Orgel. Schon mit drei Jahren soll Mary Lou Williams angefangen haben, die Musik autodidaktisch auf dem Klavier nachzuspielen und wurde bald als Wunderkind-Pianistin herumgereicht.
Als Teenager erlebte sie erste Big Band Konzerte und darin die Arrangements von Don Redman. Mit 16 heiratete sie den Saxofonisten John Williams und trat fortan unter dem Namen Mary Lou Williams auf. Bereits 1927 machte sie erste Plattenaufnahmen mit einer Sängerin, 1929 dann auch als Pianistin unter eigenem Namen.
1929 ging sie mit ihrem Mann nach Kansas City und wurde Pianistin in Andy Kirk’s Twelve Clouds of Joy, einer lokalen Big Band. Bald lieferte sie auch Kompositionen und Arrangements für die Band. Hier ihr Stück »Mary’s Idea« 1936 mit einigen Fotos:
Ab 1936 trat die Band in ganz Nordamerika auf. Parallel engagierte der damals ungemein populäre Benny Goodman Mary Lou Williams als Arrangeurin und wollte sie exklusiv anstellen, doch das lehnte sie als zu einengend ab. Hier spielt Goodman ihr Stück »Roll’em« 1936:
1939 arbeitete sie als Pianisten und Arrangeurin mit der Sängerin Mildred Bailey, hier mit »Arkansas Blues«:
1942 verließ Williams die Andy Kirk Band, ging zurück nach Pittsburgh und gründete eine eigene Band mit ihrem Kurzzeit-Ehemann Shorty Baker. Zusammen wurden sie kurze Zeit später Mitglieder von Duke Ellington’s Orchester, Mary Lou Williams als Arrangeurin neben Billy Strayhorn. Hier spielt die Ellington Band ihr »Trumpets No End«:
1945 verließ Williams die Ellington Organisation und Baker, startete eine Solo-Karriere in New York und hatte bald eine eigene Radiosendung. Im selben Jahr nahm sie auch ihr erstes umfangreicheres kompositorisches Werk auf, die Zodiac Suite mit einem Stück für jedes Tierkreiszeichen:
Ihr Apartment in Harlem wurde zum Treffpunkt der jungen Bebopper von Thelonious Monk über Dizzy Gillespie bis Tadd Dameron, was ihr den Titel »Mother of Bebop« eintrug. Hier spielt Gillespie 1949 mit Sänger Joe Carroll ihr Stück »In the Land of Oo-bla-dee«:
Im August 1949 begann Betreiber Max Gordon, im Village Vanguard, NYC, Jazz-Konzerte zu veranstalten, und engagierte sie mit ihrem Trio als erste Band. Doch ihre Solo-Karriere war finanziell nicht erfolgreich. Deshalb ging sie ab 1952 auf Tourneen in Europa, wo sie sich dann in Paris niederließ. Es entstanden zahlreiche Aufnahmen, aber sie fühlte sich zunehmend erschöpft und wandte sich immer mehr der Religion zu, auch nach ihrer Rückkehr in die USA 1954. 1957 konvertierte sie zusammen mit ihrer engen Freundin Lorraine Gillespie, Dizzy’s Ehefrau, zum Katholizismus. Sie spielte weiterhin Jazz, wobei ihre Kompositionen zunehmend religiösen Charakter bekamen. 1962/63 nahm sie ihr erstes umfangreiches religiöses Werk »Black Christ of the Andes« auf:
Sie gründete ihr eigenes Platten-Label Mary Records und begann, Jazz-Messen für kirchliche Aufführungen zu komponieren. Eine davon war das ungemein moderne »Music for Peace«, später als »Mary Lou’s Mass« bekannt, das sie 1970 auf ihrem Label herausbrachte:
In den 1970er Jahren kehrte sie ins Jazz-Rampenlicht zurück. Es entstanden wieder mehr Jazz-Aufnahmen wie die Live-Aufnahme »Giants« mit Dizzy Gillespie, die für einen Grammy nominiert wurde:
1975 machte sie ihre vielleicht beste Trio-Aufnahme »Free Spirits« mit Buster Williams und Mickey Roker für Steeplechase:
Sie blieb musikalisch sehr offen bis hin zu einem gemeinsamen Konzert mit Free Jazz Pianist Cecil Taylor 1977 in der Carnegie Hall, das das Pablo Label als LP herausbrachte:
Aus ihren letzten Jahren gibt es einige interessante Video-Aufnahmen:
Im Trio mit Jo Jones in Nizza 1978
Klub Konzert mit Bassistin Carline Ray 1978 in NYC
Von 1977 bis zu ihrem Tod durch Blasenkrebs 1981 war sie Artist in Residence an der Duke University in Durham, North Carolina, wo nach ihrem Tod das heutige Mary Lou Williams Center for Black Culture entstand. Sie erhielt sechs Ehrendoktortitel.
Nach ihrem Tod wurde ihr noch mehr Anerkennung zuteil als in ihren letzten Lebensjahren. 1995 startete das Kennedy Center in Washington das jährliche Mary Lou Williams Women in Jazz Festival. Hier eine Panel Discussion mit Dr. Billy Taylor und Carline Ray über Mary Lou Williams im Rahmen des Festivals 1998:
Viele Musikerinnen betrachten sie bis heute als Vorbild.
Pianistin Helen Sung bezieht sich 2019 auf Williams
Die Filmdokumentation »Music on My Mind« aus dem Jahr 1989 ist gegen Bezahlung verfügbar (€ 1,77):
Es ist bedauerlich, dass Mary Lou Williams in Deutschland kaum vergleichbare Wertschätzung entgegengebracht wird. Duke Ellington hatte völlig Recht, als er sie in seiner Autobiografie »Music is My Mistress« beschrieb als »perpetually contemporary«. Fortwährend zeitgenössisch.
Text: Hans-Bernd Kittlaus