Der Saxofonist Mark Turner zieht den künstlerischen Freiraum dem einsamen Spiel im Spotlight vor.
Es ist nun 15 Jahre bereits her, aber der November 2008 hätte für den Tenorsaxofonisten Mark Turner auch ganz anders enden können. Damals hatte Turner einen Unfall mit einer Säge. Dabei durchtrennte er am Zeigefinger und am Mittelfinger der linken Hand die Sehnen und die Nerven. Die ganze Karriere stand zu dem Zeitpunkt auf dem Spiel, die Finger drohten ohne Gefühl zu bleiben, vielleicht sogar für immer steif. Als Saxofonist wäre das eine hohe Hypothek gewesen. Doch wie ein Wunder ging, das alles gut und Turner stand bereits wenige Monate später wieder auf der Bühne. Wie ein veränderter Mensch habe er sich gefühlt; Demut zeichnet Turner seitdem aus. Wie das Zitat am Anfang beweist, weiß Mark Turner seit 2008, wie privilegiert seine Rolle als Musiker ist, als jemand der macht, was er liebt.
Seit seinem kometenhaften Aufstieg in den 90ern ist der 1965 in Ohio geborene Mark Turner eine der wichtigsten Stimmen des modernen amerikanischen Jazz. Sein Debüt »Yam Yam«, das er unter anderem mit den Langzeit-Kollaborateuren Larry Grenadier, Brad Mehldau und Kurt Rosenwinkel eingespielt hat, schlug nicht nur in seiner Wahlheimat New York ein, sondern in den gesamten USA. Schnell wurden Vergleiche mit John Coltrane gezogen. Die Nachfolge Tranes war zu dem Zeitpunkt schon lange vakant – und plötzlich stand da dieser eher zurückgenommene Tenor-Virtuose. Warner Music interessierte sich sofort für Mark Turner und signte ihn vom Platz weg.
Doch seine Pläne sahen etwas anders aus: Turner ist keiner, der im Rampenlicht stehen will oder muss. Zwar veröffentlichte er bis 2001 noch weitere Alben, als sein Vertrag mit Warner abgegolten war, zog es ihn wieder raus aus dem Spotlight. Gerne übernahm er fortan die zweite oder dritte Geige, spielte am liebsten mit vertrauten Gesichtern – wie eben dem Gitarristen Kurt Rosenwinkel. Sie hatten bereits während der Studienjahre die gemeinsame Arbeit begonnen. In Rosenwinkels Gruppe fühlte sich Turner dementsprechend wohl.
Dazu gründete er das Trio Fly, wiederum mit den alten Bekannten Jeff Ballard (Drums) und Larry Grenadier (Kontrabass).
Wer bei Fly reinhört, egal ob in das selbst-betitelte Debüt oder in die späteren »Sky & Country« und »Year of the Snake«, kann womöglich schnell das Ideal erkennen, das Turner seit den 2000ern verfolgt. Als wäre er ein Verfechter der französischen Revolution heißt es bei ihm: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Keine scheinende Solistenmucke, die bloß darauf wartet, dass mal wieder jemand eine virtuose Line schmettert oder eine wilde Idee über alles drübernagelt – Fly, wie auch seine anderen Projekte zu der Zeit, zeichnen sich vor allen Dingen durch ein ebenbürtiges Entwickeln aus.
Jeder hat hier seinen Platz, kann sich einbringen, dann aber auch zurücknehmen, wenn es nötig ist.
Auch das hat mit einer nötigen Prise an Demut und Fingerspitzengefühl zu tun, denn Turner könnte beileibe die meisten anderen Musiker*innen an die Wand spielen. Turner kann alles: Das klare Spiel, das vokale, er nutzt gerne den vollen Umfang des Tenor-Saxofons und vernachlässigt nicht die tieferen Register, dann kann er wiederum aufdrehen. Er springt behände durch den »Circle of Fifths«, wie es Coltrane eben auch gern machte, und feiert mit seinen Händen ein Fest der blitzschnellen Tonfolgen – ein Hoch und Runter wie auf einer Achterbahnfahrt. Doch Protz liegt Mark Tuner fern. Das zeigt sich auch bei seinem Quartett, das er aus der Idee der bewusste Beschränkung entwickelt hat. Kontrabass, Drums, Trompete und Saxofon – wo andere immer wieder auf Pianos und/oder Gitarren setzen, verlässt sich Mark Turner auf die vier Instrumente. Er beweist, dass man keine Akkorde braucht, um komplexe Harmonik und vertrackte Dynamik zu entwickeln. Die Multidimensionalität liegt hier im Ineinandergreifen der vier Musiker – neben Turner sind das Jason Palmer (Trompete), Joe Martin (Bass) und Jonathan Pinson (Schlagzeug).
»Freiraum«, das gebe ihm diese Art zu spielen: Den Freiraum sich von Konventionen zu lösen, den Freiraum auf die anderen zu hören und nur das zu spielen, was gespielt werden muss. Es geht um gemeinsames Spiel, auf ein gleichberechtigtes Miteinander. Und wieder kommen die drei Ideale der französischen Revolution durch.
Text: Lars Fleischmann.
Laut, aggressiv, radikal, wild, schockierend – so wird seine Musik in fast allen Kommentaren beschrieben, bis zu der von ihm selbst einmal benutzen Umschreibung »Ungesetzlicher Krach«.
Seit seiner »Machine Gun« (1968) verstärkt in der Öffentlichkeit bemerkt, »brötzte« er (auch wenn der in der Szene benutzte Begriff bis heute keinen Eingang in den Duden gefunden hat), in den ersten Jahren insbesondere mit seinem Basssaxophon, später hauptsächlich auf dem Tenor. Ja, er war der einflussreichste Free-Jazzer in Deutschland und Europa, mit großer Aufmerksamkeit in den USA und weltweit bedacht. Er war Maler, Grafiker, Designer, Objektkünstler und eben Musiker … als Quereinsteiger, der mit allen Traditionen brach. Damit hat er Türen und Tore geöffnet, neues Hören erzeugt und herausgefordert – und gleichzeitig für viele bis heute den Weg zum Jazz versperrt – ein Zugang zu seiner Musik ohne Vorbereitung und Offenheit für Ungewöhnliches, manchmal gar schwer Erträgliches kann kaum gelingen.
Unzweifelhaft hat er Maßstäbe verschoben, umfassend gebildet, nachdenklich und zugleich zupackend, energiegeladen, immer kompromisslos avantgardistisch und intellektuell auf seinem eigenen Weg – inspiriert von Paik in der bildenden Kunst und Ornette Coleman, Albert Ayler und Don Cherry im Jazz. »Beim Freejazz geht es darum, Gedanken und Gefühle woanders hinzubewegen.«
Zum ehrenden Andenken daher sein erwähntes Album aus 1968 »Machine Gun«
Im engsten Sinne entwickelte er futuristische Klangwelten – nicht überraschend, dass er 1969 in Köln mit dem »Klassiker« der »Neuen Musik« Mauricio Kagel zusammen arbeitete, (Hörspiel mit Michael Vetter (fl) und Christoph Caskel (dr) – »Ein Aufnahmezustand« – »Musik aus Zufall«). Vieles Traditionelle im Jazz hat er aufgebrochen und neue Wege der Improvisation geschaffen – immer auf der Suche. Und regelmäßig im Kollektiv, als gemeinsame Aufgabe und Arbeit: »Ich hatte immer das Gefühl, es geht nicht nur um die Musik, es gibt einen sozialen Auftrag«.
»Es ist eine Sache, die man zusammen macht, in der man gemeinsam entscheidet und durch dick und dünn geht. Klingt vielleicht romantisch, ist aber so.« … »Ich habe sehr viel mit meinen schwarzen Freunden gespielt, und was ich da gemerkt habe, da ging es nicht nur um musikalische Gedanken, da ging es oft darum, wie sie den Tag überleben. Und am besten lief das immer, wenn man sich zusammenschloss.«
Dazu eine Aufnahme vom Jazzfest Berlin 1995
Vieles in seiner Musik habe ich nicht verstanden, geschweige denn gerne »gehört«, und sie ist sicher nicht der Kern der im King Georg gespielten Musik, die sich auf Straight Ahead und Contemporary Jazz konzentriert, wohl aber habe ich die dahinterstehende Idee nachvollzogen. Für Brötzmann war der Sound immer wichtiger als die Noten, die er und seine MitmusikerInnen spielten. Damit stand er den schwarzen Urvätern des Jazz näher als der europäischen Musiktradition.
Text: Jochen Axer
Der Kompositionswettbewerb des Cologne-Jazz-Supporters e.V. (CJS) für Jazzer aus NRW hat auch im vierten Jahr ein überwältigendes Echo gefunden. Nun stehen die Preisträger*innen fest.
Auszeichnungen für Jazz-KomponistInnen
Die Cologne Jazz Supporters e.V. (CJS) haben die Gewinner ihres Kompositionswettbewerbs 2023 für Jazzer aus NRW bekanntgegeben.
Der erste Platz geht an das Stück „Nine to Five“ von Ole Sinell. Der Kölner Saxofonist ist seit seiner Mitwirkung im Bundesjazzorchester (BuJazzO) Mitglied der Big Band der Bundeswehr, seit kurzem auch Leiter der neu geschaffenen Jazzorama Big Band. Als Arrangeur war Sinell schon für die HR Big Band, die SWR Big Band und das Bundesjazzorchester tätig.
Die Komposition „Sailor Embarking“ von Ursula Wienken liegt auf Platz 2. Die junge deutsch-polnische Bassistin studiert an der Musikhochschule Köln und gewann bereits als Komponistin den Kunstförderpreis 2021 ihrer Heimatstadt Neuss. Als Bandleaderin leitet sie ihr „URS Quartett“ und ihr neues Fusion-Quintett. Sie ist aktuell Mitglied des BuJazzO.
Leon Hattori gewinnt den dritten Preis mit seinem Stück „Euphoria“, das er dem verstorbenen amerikanischen Schlagzeuger Ralph Peterson gewidmet hat. Der deutsch-japanische Pianist war Mitglied des BuJazzO und studiert an der Musikhochschule Köln. Er spielt in vielen Bands und leitet sein eigenes Quintett.
Der Wettbewerb ist mit Geldpreisen von € 1.500, € 1.000 und € 500 plus Auftritten im Kölner Jazz-Club King Georg dotiert. Die dreiköpfige Jury mit Martin Sasse (Vorsitzender) und den Gewinnern der Vorjahre Charlotte Illinger und Sebastian Gahler bewertete blind, also ohne Kenntnis der Namen der Komponisten.
CJS-Vorsitzender und Betreiber des King Georg Dr. Jochen Axer: „Auch nach der Corona-Zeit haben sich wieder erfreulich viele MusikerInnen mit beeindruckenden Kompositionen beteiligt. Das ist natürlich großartig und im Sinne der CJS als gemeinnützigem Verein und des Jazz-Clubs zur Förderung des Jazz in Köln und Umgebung. Wir werden wieder viele TeilnehmerInnen des Wettbewerbs zu Konzerten ins King Georg einladen.“
CJS-Vorstandsmitglied Hans-Bernd Kittlaus: „Zum ersten Mal geben wir den TeilnehmerInnen dieses Jahr die Möglichkeit, sich auf freiwilliger Basis über ihre eingereichten Kompositionen auszutauschen. Das wird gut angenommen.“
Die Preisverleihung wird im King Georg Jazz-Club mit Publikum stattfinden und als Livestream übertragen. Der Termin wird in Kürze bekanntgegeben.
www.cologne-jazz-supporters.de
Foto: Gerhard Richter
Musiker*innen, Künstler*innen, DJs und andere Kulturschaffende unterhalten sich anhand von zehn ausgewählten Platten über ihre Musikleidenschaft und ihr Leben.
Zehnte Folge: Lars Fleischmann im Gespräch mit dem Musiker & Drummer Jan Philipp.
Die Saxofonistin kämpfte 25 Jahre gegen Parkinson.
Die englische Saxofonistin Barbara Thompson wurde in Deutschland vor allem durch íhre Mitwirkung im United Jazz & Rock Ensemble ab Ende der 1970er Jahre bekannt. Zuvor hatte sie bereits in Großbritanien in verschiedenen Fusion Bands mitgewirkt und ihre eigene Band Paraphernalia gegründet, hier 1979 beim Bracknell Jazz Festival:
Sie arbeitete auch intensiv als Komponistin, u.a. für Filme und mit Andrew Lloyd Webber an „Cats“ und anderen Werken. Die BBC erstellte 1979 eine Dokumentation über Barbara Thompson und Ihren Ehemann, den Schlagzeuger Jon Hiseman, unter dem Titel „Jazz Rock and Marriage“:
Die beiden schlossen sich schon 1977 den Pianisten und Komponisten Wolfgang Dauner an bei der Gründung des United Jazz & Rock Ensemble. Dies war keine normale Fusion Band, sondern eine Band der Bandleader mit einigen herausragenden Jazz-Musikern wie Posaunist Albert Mangelsdorff, Saxofonist Charlie Mariano, Trompeter Ack van Rooyen, Bassist Eberhard Weber und Gitarrist Volker Kriegel. Hier im Konzert im Theaterhaus Stuttgart 1986:
Das Ensemble bestand bis 2002. Es wurde 2012 in veränderte Besetzung wiederbelebt, aber ohne Barbara Thompson.
1997 wurde bei Barbara Thompson Parkinson diagnostiziert. Sie wollte sich von der Krankheit so wenig wie möglich einschränken lassen und trat weiterhin öffentlich auf. Dies ist in der bewegenden BBC-Produktion „Playing against Time“ von 2012 dokumentiert:
Jon Hiseman starb 2018. Am 9. Juli 2022 ist auch Barbara Thompson im Alter von 77 Jahren nach langem Kampf gegen die Parkinson-Krankheit verstorben.
Text: Hans-Bernd Kittlaus,
Musiker*innen, Künstler*innen, DJs und andere Kulturschaffende unterhalten sich anhand von zehn ausgewählten Platten über ihre Musikleidenschaft und ihr Leben.
Zehnte Folge: Lars Fleischmann im Gespräch mit dem Journalisten, Autor und Musikliebhaber Felix Klopotek.
Der Kompositionswettbewerb des Cologne-Jazz-Supporters e.V. (CJS) für Jazzer aus NRW hat auch im dritten Jahr ein überwältigendes Echo gefunden. Nun stehen die Preisträger*innen fest.
Cologne Jazz Supporters zeichnen Jazz-Komponisten aus
Die dritte Ausgabe des Kompositionswettbewerbs des Cologne Jazz Supporters e.V. (CJS) für Jazzer aus NRW hat mit 40 Einreichungen erneut ein starkes Echo gefunden. Nun stehen die Gewinner fest.
Der erste Platz geht an das Stück »Kafka Tamura« von Sebastian Gahler. Der Düsseldorfer Pianist spielt seit vielen Jahren erfolgreich mit eigenen Bands, insbesondere mit seinem Trio. Die Komposition wird das Titelstück seiner in Kürze erscheinenden neuen CD.
Die Komposition »Medianto« von Marcus Bartelt liegt auf Platz 2. Der Baritonsaxofonist ist seit vielen Jahren Teil der Kölner Szene und spielt in verschiedenen eigenen Formationen wie auch in der erfolgreichen Band DePhazz. Er ist Gründungsmitglied des Cologne Contemporary Jazz Orchestra.
János Löber gewinnt mit seinem Stück »Something in Reserve« den dritten Preis. Der junge Trompeter war Mitglied des BuJazzO und lebt und arbeitet nach seinem Studienabschluss an der Hamburger Musikhochschule in Köln.
Der Wettbewerb ist mit Geldpreisen von € 1.500, € 1.000 und € 500 plus Auftritten im Kölner King Georg Klub dotiert. CJS-Vorstandsmitglied Hans-Bernd Kittlaus: »Obwohl die meisten MusikerInnen dank der besseren Corona-Situation inzwischen viel mehr zu tun haben als in den Vorjahren, hatte der Wettbewerb wieder eine erfreulich hohe Zahl von Einreichungen. Das ist ganz im Sinne des CJS, der sich als gemeinnütziger Verein der Förderung des Jazz in Köln und Umgebung verschrieben hat.«
Martin Sasse, Vorsitzender der Jury: »Die Jury hat wie immer blind bewertet. Die Qualität der Mehrzahl der eingereichten Kompositionen ist beachtlich.« Jury-Mitglied Charlotte Illinger: »Es war sehr anregend, so viele gute Kompositionen zu hören. Das hat es schwer gemacht, eine Auswahl zu treffen. Am Ende haben mich die drei Gewinner-Kompositionen am stärksten berührt.« Jury-Mitglied John Goldsby: »Es ist inspirierend, all diese großartigen, frisch geschaffenen Kompositionen zu hören, die von der starken Jazzszene zeugen, die wir hier in NRW haben. Herzlichen Glückwunsch an alle, die teilgenommen haben!«
CJS-Vorsitzender Dr. Jochen Axer ist auch Betreiber des King Georg Jazz-Clubs: »Die Qualität und Breite der Kompositionen ist toll. Wie in den Vorjahren werden wir viele TeilnehmerInnen des Wettbewerbs zu Konzerten ins King Georg einladen.«
Die Preisverleihung wird im King Georg Jazz-Club mit Publikum stattfinden und als Livestream übertragen. Der Termin wird in Kürze bekanntgegeben.
Foto: Fabian Stürtz