Das Konzert des Projekts LIV ALMA der Kölner Saxofonistin Johanna Klein am 25. März nehmen wir zum Anlass, um einen Blick auf das Label zu werfen, bei dem das dazugehörige Album erscheint.

Papercup Records war bereits mehrfach ein gern gesehener Gast und Präsentator bei Konzerten im King Georg. Der vielseitige Label-Ko-Chef Keshav Purushotham war schon bei unseren Podcast-Formaten Klubcast – Die Zehnerkarte UND Jazzcast – Die gute Unterhaltung zu Gast.
Bei Papercup muss man normalerweise an Einweg-Getränkebecher denken, die nach dem Köln-Marathon zu Tausenden auf den Straßen liegen. Doch das Label von Keshav Purushotham und Steffen »Steddy« Wilmking hat mit Überbleibseln oder unnötigen Müllbergen rein gar nichts zu tun. Ganz im Gegenteil: Wie kaum ein anderes Label hat Papercup in den letzten Jahren das Kölner Musikgeschehen geprägt und verändert – und zwar zum Besseren.
Das hätte man 2015 nicht gedacht; immerhin befand sich das Label damals noch in einem Dornröschen-Schlaf. Um das zu verstehen, lohnt ein Blick in die Vergangenheit: Timid Tiger wurden in der ersten Hälfte der Nullerjahre als die Indie-Band mit den süßen Videos (»Miss Murray«) um einen Comic-Tiger bekannt. Gesicht der Gruppe war Frontmann Purushotham. 2009 wechselte dann das Line-Up, Wilmking kam dazu, man ging zusammen zur Sony Tochter Columbia und war immer noch die sympathische Band von nebenan. Nichtsdestotrotz gab es Verschleißerscheinungen und 2012, nach lange währenden Arbeiten am Album »The Streets Are Black«, sind Timid Tiger langsam Richtung Break-Up getaumelt. Um das Album doch noch zu veröffentlichen, gründeten Purushotham und Wilmking schnell ein eigenes Label.
Papercup Records war geboren – nur um dann erstmal wieder in der Versenkung zu verschwinden. Es standen andere Projekte an: Wilmking, der sowieso seit Mitte der Neunziger schon permanent als Drummer, Produzent, Masterer, Songwriter auftrat, produzierte 2011 das Album »Casper XOXO« und war in Folge ein willkommener Gast in den Studios und auf den Alben der deutschen Charts-Größen. Purushotham arbeitete als DJ und entwickelte allmählich sein neues Alter Ego Keshavara. Für die Veröffentlichung des Solo-Debüts wurde das alte Label 2016 wiederbelebt. »Wir wussten damals gar nicht genau, was man alles mit einem Label machen kann. Es war als Kanal für Keshavs Output gedacht – und entwickelte sich dann halt weiter«, so Steddy im Gespräch 2020.
Und was für eine Entwicklung Papercup nahm! Mittlerweile gibt es neben dem Hauptlabel Papercup noch vier weitere Sub-Label. Da ist der Instrumental-Hip-Hop-Ableger A Good Cup of Hope, Ambient gibt es bei Breezzze. Relativ frisch ist die Musikiste dazugekommen und ganz neu: AAa (Am Anfang angekommen). Doch wie findet das Label eigentlich seine Künstler*innen? Gerade Keshav tut sich hier hervor (»Er ist unser geheimer A&R«, so Steddy), der als Kenner der Kölner Szene hauptsächlich nach neuen Acts sucht. So kommt immer noch ein Großteil der Künstler*innen eben aus Köln – und aus allen Ecken der Musik. Da wären die Math-Jazz-Indie-Rocker von Infant Finches, das Ambient-Projekt Plasma Hal oder der Psych-Indie der Band ACUA. Ein breiter Einblick in die Kölner Szene.
»Früher machten wir Musik und es gab immer wieder die gleichen Fragen: Wo geht man damit hin? Wo bringt man das jetzt raus? Das war dann auch der Hauptfaktor: Eine Plattform für uns selbst und unsere Freunde bieten« so Keshav. Das klingt pragmatischer als es letztlich ist, die Anerkennung bleibt dennoch nicht aus. Es gab mittlerweile Preise, das Kern-Projekt Keshavara hat letztes Jahr ein neues Album veröffentlicht und deutschlandweites Echo bekommen. Und auch andere Bands und Künstler*innen können die Plattform nutzen, um ihre bis dato besten Alben zu veröffentlichen.
Wie etwa LIV ALMA, das Projekt der hervorragenden Jazz-Saxofonistin Johanna Klein. Hier taucht sie ab in einen elektronischen Bedroom-Pop amerikanisch/britischer Schule, der mit wenig Mitteln, dafür mit sehr viel Tiefe daherkommt. An ihrer Seite Drummer Jan Philipp – bekannt als Jazzer, aber auch als Teil des Duos Infant Finches.
Leftfield trifft hier auf extrem modernen synthetischen Soul – die Nähe zur britischen Durchstarterin Tirzah und ihrer non-binären Produzent*in Mica Levi ist unverkennbar. Was natürlich hervorragend auch zu Papercup passt, einem Label, dem man stets anmerkt, dass man mehr als ein „deutsches Label“ sein möchte: Internationaler in Sound und Ausdrucksweisen, über den Tellerrand hinausschauend. Lokal vernetzt, global in der Denkweise. Klingt gut, ist es auch!
Text: Lars Fleischmann

Erste Kooperation mit Judy Carmichael’s Jazz Inspired in Europa: Regelmäßig spannende Podcasts mit weltbekannten Künstlern. Diese Woche: Jeff Goldblum

Der Tod Wayne Shorters Anfang März führt ganz natürlich dazu, einige der bahnbrechenden Kompositionen zu erinnern, die der stilbildende Saxophonist hinterlassen hat.
Eines der wichtigen Beispiele ist »Footprints« aus dem Jahr 1966, erstmals für sein Album »Adam’s Apple« aufgenommen. Oben im Video Wayne Shorter mit Herbie Hancock (Piano) , Reginald Workman (Bass) und Joe Chambers (Schlagzeug).
Die erste und berühmt gewordene Veröffentlichung des Songs ist aber die Aufnahme auf dem Miles Davis-Album »Miles Smiles«, ebenfalls in 1966 aufgenommen, aber früher veröffentlicht.
In der phantastischen Original-Besetzung dieser Aufnahme des Miles Davis Quintetts mit Miles Davis (Trompete), Wayne Shorter (Tenorsaxophon), Herbe Hancock (Piano), Ron Carter (Kontrabass) und Tony Williams (Schlagzeug) gibt es glücklicherweise auch eine Video-Live Aufnahme vom 31.10.1967 eines Konzerts in Schweden- eine Aufnahme, die die Brillanz dieses Quintetts und jedes einzelnen perfekt dokumentiert.
Und als Ergänzung noch eine Video-Aufnahme aus dem Jahr 1991, Live von dem Montreux Festival, mit Wayne Shorter Herbie Hancock (Piano), Stanley Clarke (Bass) , Omar Hakin (Schlagzeug), veränderter Stil, aber nicht weniger Professionalität, Musikalität und Kreativität. Really great.

Jochen Axer, Unterstützer des King Georg und über die Cologne Jazz Supporters Förderer vieler weiterer Jazz-Projekte, stellt hier jeden Sonntag einen seiner Favoriten vor.

Erste Kooperation mit Judy Carmichael’s Jazz Inspired in Europa: Regelmäßig spannende Podcasts mit weltbekannten Künstlern. Diese Woche: Scott Hamilton.
Scott Hamilton spielt live bei uns mit dem Martin Sasse Trio am 14. März

Am 2. März diesen Jahres starb im Alter von 89 Jahren einer der wichtigsten Jazzer und Saxophonisten der letzten 60 Jahre. Sein Name steht in einer Reihe mit John Coltrane und Sonny Rollins, seine Karriere als Saxophonist und Komponist ist nicht weniger als sensationell und beispiellos.


Der in Newark, New Jersey, geborene Shorter spielte zunächst mit Horace Silver und Maynard Ferguson, um 1959 zu Art Blackey´s Jazz Messengers zu stoßen. Er war deren musikalischer Leiter, bevor er – auf Empfehlung von John Coltrane – Mitglied des zweiten klassischen Miles-Davis-Quintetts wurde, gemeinsam mit Herbie Hancock, Ron Carter und Tony Williams. Er schrieb etliche Kompositionen für dieses Quintett, unter anderem »Footprints« und »Nefertiti«.
1964 spielte er mit »Night Dreamer« sein erstes eigenes Album für Blue Note ein, sodann auch die Quartettaufnahme »JuJu« mit McCoy Tyner und Elvin Jones.
Wayne Shorter ebnete den Weg auch für Miles Davis in den Fusion-Jazz mit den berühmten Alben »In a Silent Way«, »Miles in the Sky« und nicht zuletzt »Bitches Brew« (mit der Shorter-Komposition »Sanctuary«).
1970 gründete er mit Joe Zawinul die Gruppe Weather Report, deren Durchbruch gelang mit dem Album »Sweetnighter«, der weltweite Erfolg gelang mit dem Bassisten und Komponisten Jaco Pastorius, der 1976-1981 die Gruppe prägte. Die Alben »Black Market« und »Heavy Weather« gelangen herausragend, Einzeltitel wie »Black Market«
oder »Birdland«
waren auch kommerzielle Erfolge; Weather Report nahm die heutige Weltmusik vorweg. Peter Erskine am Schlagzeug kam 1978 hinzu bei den Aufnahmen zu »Mr. Gone«
waren, 1979 entstand das Live Album 8:30, vielleicht der Höhepunkt für die Band, hier das Titelstück
Erst 2011 wurde »Live in Cologne« 1983 veröffentlicht, ein Album, auf dem Wayne Shorter als Sideman zu hören ist.
In all dieser Zeit spielte Wayne Shorter mit V.S.O.P. auch akustischen Jazz. Als Beispiel in der Besetzung mit Herbie Hancock,Wayne Shorter,Ron Carter,Wallace Roney,Tony William das Stück »So What«.
Nach der Auflösung von Weather Report Mitte der achtziger Jahre arbeitete er weiter solistisch, begleitete etliche andere Jazzkünstler, insbesondere Joni Mitchell, auch Steely Dan. Bis ins hohe Alter blieb er aktiv, im November 2021 wurde seine Oper »Iphigenia« in Boston uraufgeführt. Hier ein Trailer:
Er erhielt unzählige Preise und Auszeichnungen, insgesamt 11 Grammys, 2003 und 2005 für die Alben »Allegría« und »Beyond the Sound Barrier« jeweils einen Grammy in der Kategorie Bestes Jazz-Instrumentalalbum, 2019 für sein Album »Emanon« erneut. Er befasste sich mehr und mehr mit der großen Orchesterbesetzung, hier das Stück »Pegasus«
Noch 2022 wurde das Album »Live at the Detroit Festival« mit Terri Lyne Carrington, Leo Genovese und Esperanza Spalding veröffentlicht. Hier »Drummers Song«:
Wynton Marsalis veröffentlichte ein großartiges Album in der Reihe Jazz at Lincoln Center Orchestra im Jahr 2020, featuring Wayne Shorter, ein Zusammenschnitt dreier Konzertnächte aus dem Jahr 201 mit dem damals 781-Jährigen. Auch hier ein Beispiel mit »Armageddon«
Was zu sagen bleibt, hat Wynton Marsalis zusammengefasst:
»He’s at the highest level of our music—you can’t get any higher than him.«
Text: Jochen Axer
Ein Gespräch mit dem Oscar-Kandidaten Ozan Tekin über sein Album »Anarya« – und die Rolle, die ein altes Klavier darauf spielt.


Ozan Tekin hat es vor bereits vor sechs Jahren aus seiner Heimat Türkei nach Bochum ans Folkwang Institut für Pop-Musik verschlagen. Noch während der Corona-Pandemie hat er dort im Jahr 2021 seinen Master gemacht. Unterdessen war er in und bei verschiedenen musikalischen Projekten (wie etwa Boddy) live und im Studio dabei. Daneben begann er seine Arbeit im Team von Volker Bertelmann (alias Hauschka). Der Wahl-Kölner Komponist und Musiker veröffentlichte zuletzt außerdem seinem Album »Anarya«. Mit diesem Album wird Tekin am Samstag, den 11. März 2023, in der King Georg Klubbar auftreten; bevor am nächsten Tag dann die Oscars verliehen werden. Noch vor dem ereignisreichen Wochenende sprachen wir mit ihm über »Anarya«.
Ich glaube, dass Dein Album »Anarya«, das Du im King Georg vorstellen wirst, zunächst einmal viel mit Deiner (Lebens-)Situation in Köln zu tun hat: Du bist in Adana geboren und über Istanbul, wo Du lange Zeit gelebt hast, nach Köln gekommen. Was hat Dich hierhergeführt?
Die Existenz und das Überleben als Künstler in einem Land mit vielen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Konflikten wurden für mich sehr schwer. Deshalb suchte ich nach einem alternativen Umfeld/Ort, um weiterhin Kunst machen zu können, ohne Kompromisse einzugehen und meine Existenz als Künstler in Frage zu stellen. Deutschland war eines der Länder in Europa, das ich schon oft besucht hatte, und ich hatte eine gewisse Vorstellung davon. Zufällig sah ich die offene Ausschreibung des Folkwang Institut für Pop-Musik und bewarb mich. Sie nahmen mich an und ich zog 2017 von Istanbul nach Bochum. Als ich nach Bochum zog, hatte ich keine Ahnung von Köln, aber nachdem ich ein Jahr lang in Bochum gelebt hatte, fand ich mich in Köln wieder und lebe jetzt seit fast fünf Jahren hier.
Musikalische Bezugspunkte sind Aphex Twin, Bill Evans, Gustav Mahler, Radiohead, Vaqif Mustafazade und Charles Mingus. Diese Liste ließe sich fortsetzen.
Ozan Tekin
»Anarya« bedeutet »rückwärts wandern«, wenn ich es richtig verstehe. Was bedeutet es für Dich im Allgemeinen? Was ist damit gemeint?
Es gibt mehrere Gründe, warum ich das Album »Anarya« genannt habe. Das Klavier, auf dem ich die Aufnahmen für »Anarya« gemacht habe, war ein sehr altes und kaputtes Klavier, das ich in meinem Studio mit viel Zeitaufwand reparieren musste. Die Pflege und das Spielen dieses Klaviers waren ziemlich anstrengend und inspirierend zugleich. Ich musste daran denken, dass ich mich um eine sehr alte Person kümmere, die bald sterben wird, und ich versuche, ihr in ihren letzten Tagen etwas Trost zu spenden. Je mehr Zeit ich mit dieser Person verbrachte, desto mehr erinnerte sie sich und ließ ihre Erinnerungen ein letztes Mal aufleben. Nachdem ich einige Monate mit diesem Klavier verbracht hatte, wurde mir jedoch klar, dass ich, je mehr ich Klavier spiele, auch einige Erinnerungen oder Gefühle aus meiner Vergangenheit wieder aufleben lasse. Dann wollte ich all diese Erinnerungen und Gefühle mit der transponierten Erzählung in »Anarya« zusammenbringen, die eine Geschichte über eine Rückwärtswanderung erzählt.
Und was hat das für Sie auf musikalischer Ebene bedeutet?
Nach vielen Jahren des Produzierens in verschiedenen Musikgenres ist es für mich sehr reinigend und therapeutisch, mich auf ein einziges Instrument zu konzentrieren, ein Klavier, das Instrument, mit dem ich angefangen habe, Musik zu machen, und nur damit Musik zu produzieren. Ehrlich gesagt stand es vor der Pandemie nicht auf meiner Agenda, ein solches Klavier-Album zu machen, aber die Umstände bestimmten meine Art zu produzieren. Ich bin froh, nach Jahren zu dem Instrument zurückzukehren, mit dem ich ursprünglich Musik gelernt habe, und mit ihm einen musikalischen Ausdruck und eine Erzählung zu schaffen, die intensiv, impulsiv und lehrreich sein konnten.
Gab es Idiome – zum Beispiel solche, die als »orientalisch« und »abendländisch« bezeichnet werden -, die Du umgehen wolltest?
Ja, natürlich. Ich finde diese Begriffe in der heutigen Zeit in vielen Fällen ziemlich unzureichend und begrenzt. Als Künstler kann man sich sowohl von seinem Land und seiner Kultur inspirieren lassen als auch von irgendwo oder etwas anderem. Deshalb glaube ich nicht, dass Kunst unbedingt mit einem »Land« verbunden sein sollte, das man dann sofort als orientalisch oder abendländisch abstempelt.
Wie hast Du die musikalische Sprache der Platte gefunden?
Anarya hinterfragt vor allem das Gefühl der Zugehörigkeit, und ich glaube, das spiegelt sich auch in der Musiksprache wider. Die Mischung aus vielen Genres, Zeiten und Orten, die für mich inspirierend sind, definiert die musikalische Erzählung des Albums, die kaum einem einzigen Ort zuzuordnen ist.
Was waren deine musikalischen Vorbilder oder Bezugspunkte für das Album?
Aphex Twin, Bill Evans, Gustav Mahler, Radiohead, Vaqif Mustafazade und Charles Mingus. Diese Liste ließe sich fortsetzen.
Du hast das Album mit einem alten Klavier aufgenommen, das für die Platte eine besondere Bedeutung hat. Was bedeutet es für dich in King Georg, auf einem anderen Instrument zu spielen?
Jedes Klavier klingt und fühlt sich natürlich anders an, und ich weiß, dass es unmöglich ist, auf dem Album denselben Klang zu erzielen, den ich bei den Konzerten mit diesem alten Klavier aufgenommen habe. Ich nehme jedoch an jedem Klavier meine eigenen Modifikationen vor, die mir dabei helfen, dass die Klaviere, die ich in den Konzerten spiele, näher an dem Klang liegen, den ich für das Album aufgenommen habe. Es wird mein erstes Konzert mit einem Flügel im King Georg sein, deshalb bin ich sehr gespannt und freue mich darauf.
Interview: Lars Fleischmann, Foto: Lucie Ella
Jazz fürs ganze Jahr, Jazz für alle Jahreszeiten, Jazz für jeden Tag.


Es ist eine Binsenweisheit: »Kinder, wie die Zeit vergeht!« Und kaum vergeht sie schneller als bei einem Jazz-Konzert, das einen so richtig mitreißt.
Jetzt haben wir für Euch etwas Besonderes im Angebot. Etwas, das die unterhaltsame Zeit, die man im King Georg Jazz-Club verbringen kann, vor Augen führt: den King Georg Jahreskalender 2023 mit zwölf Fotografien von Fabian Blum, der von Januar bis Dezember Künstler*innen wie Samara Joy, Christian Sands, Julian Wasserfuhr oder Joe Haider in Szene setzt.
Jazz fürs ganze Jahr, Jazz alle Jahreszeiten, Jazz für jeden Tag.
Dieser Kalender sollte wirklich in keinem Jazz-Haushalt fehlen. Erhältlich ist er für nur 10 Euro an der Kasse des King Georg. Am besten ihr sichert Euch schnell einen. Ihr wisst ja, die Zeit will einfach nicht stillstehen…
Ein Gespräch mit dem Saxofonisten Julius van Rhee über musikalische Klischees, die Musikstadt Köln und den Traumberuf Musiker.


Julius van Rhee ist einer der faszinierenden Musiker*innen, die in der Kölner Szene gerade ihre ersten und zweiten Schritte machen. Das King Georg begleitet diese mit der »Young Talents«-Reihe – und van Rhee hat Mitte Februar ein ganz wunderbares Konzert an Ort und Stelle gespielt. Der 26-jährige, der in Köln geboren und in Waldbröl, im Oberbergischen, aufwuchs, landete über den Umweg Essen wieder in der Domstadt an der HfMT. Saxofon spielt er bereits seit seinem achten Lebensjahr, auch wenn er gerne Schlagzeug gelernt hätte. Aber was ist eigentlich »Stress-Jazz«?
Wann hast du entschieden aus der Berufung Musik deinen Beruf zu machen?
Ich hatte den Traum schon meine ganze Jugend hindurch – so ab 12/13. Nur hatte ich nach der Schule Angst, das in die Tat umzusetzen. Ich dachte, ich sei nicht gut genug und der Beruf sei zu unsicher. Ich hatte aber auch keinen alternativen Plan, weswegen ich nach der Schule erstmal gearbeitet habe und viel gereist bin. Ein Saxofon hatte ich nicht dabei. In Perth, in Australien, bin ich dann durch Zufall an ein altes Saxofon gekommen und habe dort drei Monate lang Straßenmusik gemacht. Ich stand einfach jeden Tag von morgens bis abends in der Fußgängerzone und habe Jazz-Standards gespielt. Dabei habe ich gemerkt, dass ich mir nichts Schöneres vorstellen kann, als den ganzen Tag Musik zu machen. Ich wusste, dass ich, wenn ich wieder in Deutschland bin, wenigstens versuchen muss, den Weg des Musikers einzuschlagen.
Du hast erst in Essen angefangen mit dem Studium und bist dann später nach Köln an die HfMT gekommen. Was waren die Gründe? Und welche Unterschiede hast du zwischen den Standorten ausgemacht?
Der Jazz-Studiengang an der Folkwang Universität ist toll, aber die Stadt bietet nicht so viele Möglichkeiten, Jazz zu spielen wie Köln. Dort gibt es nicht so viele Jazz-Musiker*innen auf engem Raum. Nach zwei Jahren in Essen wurde es mir also ein bisschen zu eintönig. Mich dann nochmal in Köln zu bewerben war eine relativ kurzfristige Entscheidung, die ich aber nicht bereue. Ich wäre auch gerne in Essen geblieben. Es gibt dort wunderbare Dozent*innen, Studierende und an der Folkwang eine besondere Atmosphäre, da in diesem kleinen Dorf (Essen-Werden) so viele verschiedene Kunstformen passieren (Theater, Tanz, Musical, Klassische Musik, Jazz) und auch viel Begegnung zwischen den einzelnen Studiengängen möglich ist. Der Wechsel nach Köln hat mir nochmal viele neue Türen eröffnet. Das besondere hier ist, dass der Jazz-Studiengang sehr groß ist, und dass die Schule stark mit der Szene vernetzt ist. So begegnet man seinen Kommiliton*innen abends auf Konzerten und man kann sich seine Dozent*innen live anhören. Das Niveau in Köln ist zudem sehr hoch und man lernt sehr viel durch den Austausch mit seinen Kommiliton*innen.
Ich möchte eigentlich schon, dass möglichst viele Menschen meine Musik hören und genießen können, ohne eine akademische Ausbildung oder ein lebenslanges Selbststudium in Musik abgeschlossen zu haben.
Julius van Rhee
2021 hast Du die Platte »Engine of Growth« aufgenommen, die dann letztes Jahr erschienen ist. Wie war es für Dich – auch als junger Künstler, der jede Sekunde auf der Bühne gebrauchen kann – während Corona zu arbeiten, zu musizieren?
Es war eine sehr komische Erfahrung. Die Band habe ich bereits kurz vor Beginn der Pandemie gegründet, da haben wir auch erste Demos gemacht, und ich war total stolz und voller Tatendrang, ein eigenes Projekt zu starten. Dann wurde man ausgebremst. Dadurch konnte natürlich über lange Zeit gar kein Bandgefühl aufkommen. Auch das Album aufzunehmen, ohne vorher je ein Konzert zusammen gespielt zu haben war ein komisches Gefühl. Dazu kamen noch kurzfristige Corona-bedingte Besetzungsänderungen kurz vor der Aufnahme. Ich bin aber trotzdem sehr glücklich mit dem Ergebnis und bin allen sehr dankbar, die daran mitgewirkt haben.
Ein Bandgefühl stellt sich eigentlich erst jetzt richtig ein, drei (!) Jahre nachdem wir die ersten Aufnahmen gemacht haben. Letztes Jahr hatten wir schon die Möglichkeit viele Konzerte zu spielen, eine kleine Tour zu machen und ein zweites Album aufzunehmen, an dem gerade gearbeitet wird. Aber jetzt, nach der größeren Tour, fühlt es sich erst richtig so an, dass die Musik Sinn macht und dass die Band nach einer Band klingt.
Gab es Momente, wo du die Karriere auch in Frage gestellt hast?
Generell hat mich die Pandemie schon viel zweifeln lassen an diesem Berufsweg. Natürlich habe ich auch viel Zeit zum Musik schreiben und üben nutzen können, aber keine Konzerte zu spielen, genau in der Zeit, wo es eigentlich so richtig losgehen könnte, ist schon ein ziemlicher Dämpfer. Ich hatte eh immer viele Zweifel an diesem Weg, weil ich mich erst relativ spät entschieden habe, professioneller Musiker zu werden. Mein Vorteil war bis zur Pandemie, dass ich immer sehr fleißig war. Aber diesen Fleiß aufrecht zu erhalten, ohne sich ab und zu mit einem Konzert belohnen zu können, ist nach einer Weile schon sehr schwierig gewesen. Im Lern- und Erfahrungsprozess kann das Live-Erlebnis auch nur begrenzt ersetzen. Das spüre ich jetzt schon, wenn ich auf der Bühne stehe.
Dazu kam, dass die Pandemie genau zu dem Zeitpunkt anfing, als ich das Gefühl hatte in Köln langsam Fuß zu fassen, Leute kennenzulernen und häufiger spielen zu können. Das ging dann natürlich auch nicht mehr so richtig, hat mich verunsichert und demotiviert.
Ich konnte nicht realistisch einschätzen, wie man sich künstlerisch verortet und wie es karrieremäßig läuft und weitergehen kann. Das ist gegen Ende des Studiums schon bitter, weil es in dieser Zeit eigentlich speziell um diese Fragen geht. Man hatte keine Jobs und keine Gigs – wusste aber nicht wie es ohne Pandemie gelaufen wäre: Liegt es jetzt also an mir oder an der Pandemie, dass ich nichts zu tun habe? Diese Ungewissheit zu haben fand ich und finde ich immer noch sehr anstrengend.
Die Musik deines Quartetts (in der Besetzung mit Yannis Anft an den Keys, Calvin Lennig am Bass und Karl-F. Degenhardt an den Drums) verortest du im Modern Creative Jazz. Was bedeutet das Label/das Genre für Dich? Welche Freiheiten gibt es Dir?
Ich schreibe einfach meine Musik und spiele sie mit Musiker*innen, die ich bewundere und die ich für diese Musik geeignet finde. Ich habe keinen Anspruch an meine Musik, außer, dass sie immer ehrlicher wird, also näher an dem ist, was ich ausdrücken möchte. Sei es ein Gefühl, ein Gedanke oder eine musikalische Idee.
Natürlich bin ich sehr geprägt durch die intensive Beschäftigung mit der Jazz-Stilistik, was man in der Musik, die ich bis jetzt geschrieben habe, auch hört. Ebenso ist Improvisation ein wesentlicher Bestandteil meiner Musik, da ich es liebe, wenn eine Komposition im Moment eine ganz neue Form annimmt und wenn mehrere Personen auf der Bühne einander zuhören, spontan reagieren und gemeinsam etwas kreieren.
Dieses Label habe ich irgendwo mal aufgeschnappt und bis jetzt keines gefunden, das die Musik, die wir machen, besser beschreibt. Man könnte natürlich auch genauer sein und sagen:
»Teils komponierte, teils improvisierte Musik, die auf traditioneller Bebop-Spielart beruht, die in den Kompositionen Elemente aus anderen Stilistiken vorweist und Raum für spontanes Kreieren im Moment lässt«. Das finde ich aber weniger elegant und kommt dem Klang der Musik auch nicht näher.
Was man sowohl auf dem Langspieler, als auch beim Konzert im King Georg gemerkt hat: Viele Deiner Kompositionen haben einen romantischen – im umgangssprachlichen Sinne – Kern. Du bist der Ballade alles andere als abgeneigt. Gibt es dafür Vorbilder? Am Saxofon und auch abseits davon?
Ich mag tatsächlich gerne einfache, »romantische« oder vielleicht manchmal auch kitschige Ideen. Ich habe keine Scheu davor, Klischees zu bedienen und trotzdem eigen zu klingen. Das Umschiffen vom Offensichtlichen führt für mich häufig dazu, dass ich etwas umständlicher ausdrücke als ich es gerne würde. Vorbilder am Saxofon sind natürlich die üblichen Verdächtigen: Sonny Rollins, Joe Henderson, Cannonball Adderley, Coleman Hawkins, Lester Young, Charlie Parker, John Coltrane um nur ein paar zu nennen.
Abseits vom Saxofon bewundere ich Ella Fitzgerald, Sarah Vaughn, Billie Holiday, Miles Davis, Herbie Hancock, Bill Evans, Keith Jarret oder Kurt Rosenwinkel für ihre Balladen.
Im King Georg wurde das Quartett um Lucy Liebe an der Gitarre erweitert – wie kam es dazu?
Lucy gehört zum festen Kern der Band, die eigentlich ein Quintett ist, und war nur während der Tour bei ein paar Terminen nicht dabei. Ich bewundere sie für ihre Musikalität, die Art wie sie spielt, ihre musikalischen Entscheidungen im Moment, ihre Experimentierfreude und ihrem Verständnis von Gitarre als Instrument, das klanglich aus verschiedensten Richtungen geprägt und sehr vielseitig ist. Mittlerweile haben wir schon viel zusammengespielt und einen gemeinsamen Sound für meine Stücke entwickelt.
Du hast gleich das zweite Stück als »Stress-Jazz« angekündigt. Was meinst Du damit?
Ich versuche häufig meine Musik aus der Perspektive jener zu sehen, die eigentlich nicht viel über Musik in dem Sinne, wie es zum Beispiel an Hochschulen gelehrt wird, wissen. Ich bin selber der einzige Musiker aus meiner Familie und werde deswegen häufig auch mit dieser Sichtweise konfrontiert.
Obwohl ich es natürlich toll finde, dass Musik sich stetig weiterentwickelt und Musiker*innen hohe Ansprüche an den künstlerischen Gehalt ihrer Musik haben, finde ich es superspannend, wie sehr Hörgewohnheiten unser Urteilsvermögen bei Musik beeinflussen. Etwas, das für jemanden, der zum Beispiel viel Jazz hört und alles Mögliche kennt, spannend und frisch klingt, kann für eine andere Person überfordernd und stressig klingen.
Ob die Musik jetzt wirklich spannend und frisch, oder einfach nur wirr und unangenehm ist, kann man also eigentlich gar nicht richtig beurteilen.
Beim Spielen und Schreiben also ab und zu mal die Sichtweise zu wechseln und sich zu fragen, wie könnte die Musik auf verschiedene Menschen mit verschiedenen Hörgewohnheiten wirken, finde ich persönlich sehr inspirierend und hilft mir, mich nicht zu verrennen.
Ich möchte eigentlich schon, dass möglichst viele Menschen meine Musik hören und genießen können, ohne eine akademische Ausbildung oder ein lebenslanges Selbststudium in Musik abgeschlossen zu haben. Das steht für mich nicht im Widerspruch dazu, meine Musik so zu schreiben oder spielen zu können, wie ich möchte, sondern ergänzt sich sehr gut.
Interview: Lars Fleischmann.


Erste Kooperation mit Judy Carmichael’s Jazz Inspired in Europa: Regelmäßig spannende Podcasts mit weltbekannten Künstlern. Diese Woche: Chris Hopkins, live bei uns mit den Jazz Kangaroos am 06. März 2023



Die Legende der Ella Fitzgerald – was hinter einer der prägenden Stimmen des 20. Jahrhunderts und ihrem Gebrauch des bee-bop-bop-bah-ooo-bee-doo-bee steckt.


Das amerikanische Musik-, Pop- und Rock-Magazin Rolling Stone hat vor wenigen Wochen eine Liste der wichtigsten 200 Sänger*innen aller Zeiten veröffentlicht. Diese Zusammenstellung wurde heftig diskutiert; einige Entscheidungen sind nachvollziehbar. Den großen Stimmen der afro-amerikanischen Musikgeschichte wird Ehre zu Teil; Aretha Franklin läuft – ganz sicher nicht zu Unrecht – auf Platz 1 ein. Derweil protestierten viele in den Online-Foren mit der gleichen Berechtigung über den Platz 45: Auf diesem fand sich nämlich die 1918 in Newport News (Virginia) geborene Ella Fitzgerald wieder. Ein Unding eingedenk der Tatsache, dass die Stimme Fitzgeralds die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt hat, wie kaum eine andere.
Mary Lou Williams, selbst eine der wichtigsten Komponist*innen des Jazz und des Great American Songbooks, berichtete einst von einer durchtanzten Nacht im Harlemer Savoy Ballroom. »Eine Stimme, die mir einen Schauer den Rücken rauf- und runtergehen ließ.« Weiterhin heißt es bei ihr, dass sie gar buchstäblich zur Bühne rannte, um herauszufinden, wem die Stimme gehörte.
Natürlich war es Ella Fitzgerald, die Band dazu Chick Webbs Swingband. Der Bandleader Chick Webb, der damals einflussreiche Swing-Bandleader, entdeckte Fitzgerald 1934 bei einem Gesangswettbewerb im Apollo; ebenfalls in Harlem befindlich. Der legendäre Club rühmt sich bis heute damit der Ort zu sein an dem »Ella« entdeckt wurde. SO will es jedenfalls die Legende.
Tatsächlich hat Webb die in den Anfangstagen oft schüchterne Fitzgerald erst ein Jahr später kennen gelernt; und sollte sie gar erst nach einigen Probemonaten fest engagieren.
Nichtsdestotrotz überzeugte sie schnell mit ihrer jugendlichen Stimme, die auch Jahrzehnte später klang, als wären die Stimmbänder in einen Jungbrunnen gefallen oder hätten einen Vertrag mit dem Teufel gemacht. Wie zum Beispiel diese Aufnahme aus dem Jahr 1968 – als sie bereits 50 Jahre alt war – der Gershwin-Ballade »Summertime« beweist:
Die Version kommt ihnen bekannt vor, liebe Leser*innen? Das ist ein bekanntes Phänomen im Zusammenhang mit Fitzgeralds Karriere. Als wichtigste Interpretin unzähliger Kompositionen – befeuert im übrigen durch ihr Engagement beim Label Verve, für welches sie etliche Songbooks eingesungen hat – könnte man behaupten, dass Fitzgerald diese Lieder »gehören«. Auf jeden Fall prägen ihre Interpretationen die Songs bis heute.
Mit Chick Webb sollte sie den Swing, der in der Prä-Weltkriegs-Ära die Staaten zum Tanzen brachte, anführen und zum Singen bringen. Nach Webbs Tod im Jahr 1939 übernahm sie dessen Band für einige Monate, was leider nicht aufging: Sie hatte als Autodidaktin nie Notenlesen gelernt und war als Arrangeurin vergleichsweise ungeeignet. Noch vor dem Tod feierten Webb, Fitzgerald und die Band einen Nummer-1-Hit in den Billboard Charts. »A Tisket A Tasket« war der große Durchbruch.
Zwar begeisterte ihre Stimme und so sehr sie mit ihrer jugendlichen Art das Publikum verzauberte, könnte vor allen Dingen eine bestimmte Technik besonders bedeutend im großen Bild der Musikgeschichte sein: Fitzgerald hob die Scat-Vokalisation, die ohnehin sehr wichtig war in der Emanzipation der Stimme als eigenes Instrument, auf ein neues Level.
Carmen Lundy erläutert in Joachim-Ernst Berendts »Das Jazz-Buch«: »Viele Scatsängerinnen verwenden die Silbe dwee sehr oft. Ella Fitzgerald benutzt demgegenüber nicht gerade oft das dwee. Sie gebraucht mehr das bee-bop-bop-bah-ooo-bee-doo-bee.«
Dieser Formenreichtum und die Vielfalt an Lauten war äußerst wichtig. Scat, der hier unter anderem das klanglich recht verwandte Saxofon ämuliert, wird vom Lückenfüller zum komplexen System aus verschiedenen Klangkomponenten.
Das erkennt man etwa hier:
Dadurch wurde Fitzgerald zur wichtigsten Vokalistin des Be-Bops, konnte sie doch besser als die meisten Kolleg*innen den neuen Ansprüchen an die Harmonik und an die Vokal-Improvisation genüge leisten. Der Rest ist Geschichte: Im Laufe der 50er wurde sie einem größerem Publikum bekannt – trotz Segregation in den Südstaaten und Auftrittsverboten. Anteil daran hatte auch Marilyn Monroe, vor allen Dingen aber ihr wunderbares Timbre, das zeitlebens Augen und Münder öffnete.
Und wie bereits erwähnt: Fitzgerald sammelte durch ihre ikonischen Interpretationen Songs, wie andere Menschen Briefmarken. Nach einer ereignisreichen Karriere starb sie 1996 in Los Angeles – überhäuft mit Würdigungen und Medaillen. Vielleicht sollte die Redaktion des Rolling Stone die Platzierung in ihren Top 200 nochmal gründlich überlegen.
Text: Lars Fleischmann, Foto: Foto Ben van Meerendonk / AHF, collectie IISG, Amsterdam