Das Herz verändern
Die Avantgarde-Szene lag ihm schon zu Füßen: Wayne Horvitz wäre gern ein Jazzer, ist aber als nur als Freigeist er selbst. Am 24.9. spielt er live im King Georg.
Wayne Horvitz ist kein Mensch, der sich schnell Labels anheften lässt. Manchmal zeichnet ihn eine gerade zu idiosynkratische Überempfindlichkeit gegenüber Genrebezeichnungen aus – zumindest wenn es um ihn selbst geht: »Ich bin kein Jazzer. Das wäre ich gerne, aber ich kann nicht gut vom Blatt spielen. Ich wäre gerne ein guter Bebopper, das bin ich aber nicht. So hart ich es auch versuche: Ich bin keinem ›style‹ zugeordnet«, erklärte er vor ein paar Jahren im Interview mit der amerikanischen Jazztimes.
Diese »Stylelosigkeit« ist aber nicht mit »Stillosigkeit« zu verwechseln. Ganz im Gegenteil: mit etwas Glück und Können kann man Wayne Horvitz-Stücke erkennen, wenn sie einem blind vorgespielt werden. Den 1955 in New York City geborenen Horvitz begleiten nämlich bei aller Ablehnung von Etiketten doch einige Konstanten. Geht es um seine Solo- oder Mainman-Aktivitäten erkennt man stets eine Nähe zur Neuen Musik, zur Zwölftonmusik, aber auch zu (post-)strukturalistischen und (post-)seriellen Ansätzen in der Musik des 20. Jahrhunderts. Immer wieder wagt Horvitz den Sprung über die Genregrenzen, wendet sich mit Eugene Chadbourne freien Improvisationen zu oder wandelt auf den Spuren seines großen Vorbilds Cecil Taylor: »Als ich 16 war, veränderte mich die erste Cecil Taylor-Platte, die ich in die Hand bekommen habe, mein Leben. Danach versuchte ich lange wie er zu spielen, bis ich begriff, was das Besondere an Taylor war: Er spielte eben nicht wie jemand anders, sondern nur wie er selbst. Das wollte ich fortan genauso halten.«
Diese eigene Spielweise hat Horvitz seit den späten 1970er Jahren in etlichen Variationen eingebracht: Bekannt ist vor allen Dingen sein Engagement in John Zorns Naked City. Der Keyboarder und Pianist war damals in etlichen Konstellationen um die New Yorker Avantgarde-Szene der Knitting Factory aktiv. Nach diesen ersten großen Schritten in der Szene – zu denen auch seine Projekte The President und das Previte Trio gehören – folgte sein Umzug an die amerikanische Westküste. In Seattle gründete er dann das Quartett Pigpen, wo er weniger Hardcore-orientiert zur Sache ging.
Pigpen war eher eine Fortsetzung des Horvitz-Projektes The President, einer Formation mit wechselnden Besetzungen. Schon mit The President kümmerte er sich nicht um stilistische Grenzziehungen, sondern verband minimalistische Strukturelemente mit FreeJazz-Momenten und Noise- und Trash-Effekten.
Die Avantgarde-Szene lag ihm regelrecht zu Füßen, immer wieder tauchte Horvitz auch als Produzent (Bill Frisell und Eddie Palmieri) auf – oder eben als gefragter Sideman an der Seite der großen Stimmen des Modern Creatives, des Free-Jazz, des Avant-Jazz: Bill Frisell, Elliott Sharp, Fred Frith, oder Carla Bley. Doch auch dies grenzte den notorischen Freigeist ein. Außerdem interessierte ihn auch keine Versprechen von novelty oder Genietum. So stellte er bereits 1994 klar: »Meine Musik ist keine große Innovation, kein konzeptioneller Sprung oder eine Revolution, sie ist vielmehr eine schöne Harmonie, ein unwiderstehlicher Rhythmus oder eine Melodie, die das Herz verändern kann.« Und: »Was ich erreichen möchte, ist das Gleiche, wonach ich in anderer Musik suche: diesen Sound nochmals zu hören, zu versuchen herauszufinden, was seinen Reiz ausmacht und nahe genug heranzukommen, um zu erkennen, dass der Rest im Verborgenen bleibt«, beschrieb er damals im Gespräch mit der TAZ seinen musikalischen Anspruch.
Daraufhin widmet er sich musikalischen Herausforderungen, wurde zum Archäologen, der zum Beispiel mit seiner Partnerin Robin Holcomb – ihres Zeichens selbst herausragende Vokalistin – die sozialistischen Arbeiter- und Gewerkschaftslieder von Joe Hill vertonte. Im Jahr 2004 vertont er das Leben von Joe Hill: häufig befreit von seinen Country-Folk-Wurzeln, dafür komplex und bisweilen dissonant, direkt, dann wieder ironisch oder sentimental. Und eröffnete damit einer ganzen Szene Zugang zu den Trieben der IWW, der Industrial Workers of the World, kurz: Wobblies!
Aber auch als Sozialist bezeichnet sich Horvitz nicht, alles andere wäre eine Enttäuschung gewesen. In den letzten Jahren wendet sich er als Komponist immer häufiger solchen erzählerischen Werken zu;oder erzählt seine Geschichte einfach nochmal und neu: 2021 und `23 erschienen die ersten beiden Teile der »Wayne Horvitz – Live Forever«-Reihe.
Text: Lars Fleischmann, Foto: Tom Chargin