Die eigene Note
Über das legendäre Label Blue Note wurden schon einige Bücher geschrieben. Es lohnt sich, auch mal ein paar Worte zur Cover-Gestaltung der dort veröffentlichten Alben zu verlieren. Sie haben schließlich viel zu erzählen.
Von rechts unten biegt sich ein Schwanenhals ins Bild. Ein großer Schwung, der von einer archaisch anmutenden Apparatur abgeschlossen wird. Es ist ein feines Leuchten, das dieses Rohr, die Schraube, das Blättchen begleitet. Dahinter beziehungsweise an dessen Spitze anfangend: ein tiefes Schwarz, ein Schatten. Daraus poppt ein Ohr hervor und dann ein Gesicht. Der Mann, der da mit tiefem Schlagschatten inszeniert wird, heißt John Coltrane – sein Name steht oben drüber. Coltrane grübelt, ist in sich gekehrt, denkt nach. Es ist das Bild eines Evolutionärs, nicht eines Revolutionärs. Hier wird entwickelt, nicht zerstört. Dabei hatte natürlich auch Coltrane (späten) Anteil am Bebop-Schock, an dieser musikgeschichtlich einzigartigen Explosion.
Das sieht man hier aber nicht. Der Zeigefinger, der auf der Lippe aufliegt, wie wahrscheinlich noch wenige Momente vorher das Mundstück. Der Arm, der im Nacken die Haare reibt, die minimal tiefergelegte Stirnpartie… Ein Genie bei der Arbeit.
Das alles, diese vieldeutige Szenerie, ist in Blau getüncht. Je älter dieses Foto, das ein Plattencover ist, desto grünstichiger wird es. Das nur am Rande.
»Blue Train« von John Coltrane (1957) ist nicht nur ein Klassiker der Musikgeschichte, sondern auch eines der herausragenden Cover der Blue Note-Cover-Schmiede.
Über die Geschichte des Labels, das 1939 von zwei jüdischen deutschen Emigranten, Francis Wolff und Alfred Lion, gegründet wurde, könnte man Bücher schreiben – und das wurde bereits hinlänglich getan. Und über verschiedene Alben des Labels wurde hier im Magazin auf unserer Homepage und anderswo längst geschrieben. Wer die Klassiker der Jazz-Geschichte sucht, der kann damit seine Ausgangsrecherche starten. Die legendären und ikonischen Cover, die so immanent wichtig für den Erfolg des Labels waren, bedachte man hingegen weitaus seltener mit Worten.
Dabei gibt es gute Gründe, noch mal einen Blick (oder zwei) auf die Fotografien, die diese Cover zieren, zu werfen. Kommt ihnen doch die wichtige Aufgabe zu – das weiß jeder, der bereits im King Georg Jazz-Club war –, eine Kunst, die sich durch ihre prozessuale und immer gegenwärtige Natur auszeichnet (die Improvisation, das Live-Moment, bisweilen auch »Fehler«, die Magie und Energie), für die Nachwelt zu verewigen. Man hört beim Betrachten der Cover – sei es mit einem einzelnen Album in der Hand oder beim Entdecken bestimmter Exemplare in der Cover-Wand des King Georg –, zwar nicht die Musik, man kann sie sich aber im besten Falle vorstellen. Siehe »Blue Train«.
Oder auch das ebenso mythische Foto, das man auf der Blue Note Records Nummer 4003 findet: »Art Blakey & The Jazz Messengers – s/t« (1958). Diesmal ein fahles Gelb statt eines romantischen Blaus. Der Ausschnitt ist noch enger. Der Kopf nimmt die ganze Fläche ein. Es schiebt sich von unten nur noch das obere Revers des Anzugs, ein Hemdkragen und eine schwarze Fliege ins Bild. Ebenso konzentriert wie Coltrane aber anders alarmiert: Der trommelt wahrscheinlich gerade. Es ist ein Action-Bild, ohne dass man die Action sehen kann. Manch einer sagt Erotik dazu.
Ganz anders und im totalen Kontrast: »Free For All« (1965). Der selbe Frontman, die gleiche Formation (Kenner*innen wissen, dass nur der Name blieb. Statt Golson spielt hier Wayne Shorter, statt Reid Morgan dann Freddie Hubbard), ein kontrastierendes Szenario.
Statt stoischem Blick sind die Augen geschlossen, statt Ruhe ist hier die totale Action, Schweißperlen laufen Richtung Boden: Ekstase und Wut. Große Gefühle.
Aufgenommen, entwickelt, ausgewählt und beschnitten hat das Cover-Foto für »Free For All« Francis Wolff selbst. Er zeichnet für einen Großteil der Coverfotos der Bebop und Hard-Bop-Ära verantwortlich. Es sind Aufnahmen der Sessions, von Live-Auftritten oder auch mal von Fotoshoots. Kongenial inszeniert werden diese Fotografien von der leidenschaftlichen Arbeit des Werbegrafikers Reid Miles, der mit seinen knalligen Farben, den großen Lettern, der gesamten Typografie und den räumlichen Gestaltungen das Plattencover an und für sich revolutionierte.
Zusammen entwickelte man so einen Trademark-Look, der auch heute, 60, 70 Jahre später ins Auge fällt und Geschichten erzählt: von Künstlerpersönlichkeiten, von der Zeit, von der politischen und historischen Tapesterie, von Aufbruch oder Statik, von der Musik und allem, was sie umgibt.
Ohne reinzuhören, weiß man beim Betrachten, dass es einen Sound-ästhetischen Unterschied zwischen »Blue Train« und »Free For All« gibt. Wenn man sich das dann vor Ohren statt vor Augen führt, dann fühlt man sich bestätigt. Das ist der Zauber der Blue Note-Cover.
Text: Lars Fleischmann, Foto King Georg: Caroline Schaefer