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Django (1): Das D ist stumm

Im ersten Teil unserer Artikel-Serie zu Leben und Wirken des legendären Jazzgitarristen Django Reinhardt geht es um seine Herkunft und Kindheit, die frühen Erfolge Ende der 1920er Jahre und das Feuer, das ihn fast das Leben kostete.

Django Reinhardt. New York, 1946

Die französische Lyrikerin Anna Élisabeth Bibesco de Brancovan, Comtesse de Noailles, soll einst gesagt haben, dass »dieser Gitane einen Goya wert« sei. Anna de Noialles war eine glühende Bewundererin des Franko-Belgiers Jean Reinhardt, genannt Django. Sie war aber beileibe nicht die einzige, sondern bloß eine von vielen. Der gesamte europäische Kontinent lag dem Gitarristen zu Füßen.
Der Ruhm ist keine Selbstverständlichkeit, wie aufmerksame Leser*innen vielleicht schon erkannt haben. Gitane ist das französische Pendant zum deutschen, rassistische Schimpfwort für Roma und Sinti in Europa, das wir an dieser Stelle nicht reproduzieren wollen. Reinhardt war ein Sinto. 1910 in Belgien geboren, wurde er als Kind dieser – auch heute noch – überall auf der Welt und eben auch in Europa verfolgten Minderheit geboren: Als Sint*ezza haben sich die Reinhardts zwischen dem 18. und frühen 20. Jahrhundert über Österreich und Süddeutschland nach Frankreich bewegt. Dort wurden sie sesshaft, zu Manouches und zogen kurzzeitig nach Belgien. Nach der Geburt zog es sie nach Nizza, Korsika, Italien und wieder zurück nach Paris. Die Verhältnisse waren beengt, man lebte einen Großteil der Zeit in Wohnwagen.

So entstand der europäische Jazz

Wahrscheinlich mit zwölf oder 14 verheiratet, offiziell mit 18, lernte Django früh die Violine und später die Gitarre. Trat auf der Straße auf, manchmal in Salons.
Als Anfang der 1920er Jahre der Jazz über den großen Teich aus den USA nach Deutschland kam, wurden die Sint*ezza und Rom*nja, die seit Jahrhunderten einen eigenen Musikstil pflegten, der häufig von den ärmlichen Bedingungen, der Straßen- und Kleinkunst und wiederkehrenden Kontakten mit Musiker*innen vom Balkan geprägt war, zu gefragten Musiker*innen. Django Reinhardt machte sich schnell einen Namen – in und um Paris. 1928 tauchte er dann auf seiner ersten Tonaufzeichnung auf: 

Die Nachricht von der musikalischen Sensation sprach sich schnell rum. Während etwa hierzulande die ausgebildeten Musiker*innen von den Hochschulen und Konservatorien versuchten, den Stil zu imitieren, den sie auf mitgebrachten Schellacks aus den USA zu hören bekamen und meist daran scheiterten, hatte Django Reinhardt trotz des jungen Alters und fehlenden Noten – wie Lesekenntnissen einen eigenen Sound. Einen europäischen. Ja, aufgepasst: Hier entstand der europäische Jazz!

Zwei-bis-drei-Finger-Technik

Nicht zuletzt Joachim-Ernst Berendt, und mit ihm viele weitere Musikhistoriker*innen, zieht die offensichtlichen Parallelen zwischen den marginalisierten Afro-Amerikaner*innen und den Sint*ezza in Europa. Eine Musik, die eben nicht an den Hochschulen gelehrt werden konnte, die ihren eigentlichen Sinn in einem neuen, modernen Verständnis von Improvisation und Vergänglichkeit hatte. Die ihren Ursprung nicht in den bürgerlichen Haushalten hatte, sondern sich in eigenen synthetischen und synkretistischen Milieus herauskristallisierte. Was in New Orleans die Armenviertel waren, waren in Europa eben verfolgte und ärmlich lebende Juden*Jüdinnen, Sint*ezza und Rom*nja.

Nach einigen Aufnahmen und Konzerten folgte 1928 prompt der Schicksalsschlag. Bei einem Brand im Wohnwagen verlor Reinhardt zwei Finger an seiner Griffhand. Dabei hätte er auch gut im Feuer, das vermutlich durch leicht entfachbare Zelluloidblumen ausgelöst wurde, sein Leben verlieren können. Die Ärzte kämpften lange um ihn, um seine Beine, große Teile seiner Haut. Nur die Finger konnten nicht gerettet werden. Katastrophal für einen Gitarristen. Nicht so für Reinhardt, der in den zwei Jahren des Ärztemarathons seine Technik komplett umstellte und fortan nur mit Zeige- und Mittelfinger griff, dazu geschickt noch seinen Daumen einsetzte. Mit dieser »Zwei- bis Drei-Finger-Technik konnte er nicht nur wieder spielen, sondern fand völlig neue Methoden und musikalische Ideen.
Schnell gespielte Arpeggios, aufgelöste Akkorde, rhythmisch betont wurden zu seinem Markenzeichen. Außerdem nutzte er Ostinati, wiederkehrende Motive, im Jazz/Swing bis dahin ungeahnte Chord Progressions – die Aufzählung könnte man mit Leichtigkeit weiterführen, noch technischer werden.

Man kann aber auch in »I’ll see you in my dreams« aus dem Jahr 1939 reinhören. Die improvisierte Interpretation des Isham Jones-Standard von 1924, wurde von vielen als eines der besten Gitarrenstücke der Geschichte geadelt:

Immer wieder diese kurzen Tonabfolgen, die Tonartwechsel, hin und zurück. Dann geht es in eine andere Richtung und kommt irgendwann wieder zum Ausgangsarpeggio. Ideen, die hier eingeworfen und verworfen werden, Bekanntes und Neues, manchmal reicht die Repetition eines Tons über mehrere Takte, um neue Wege zu erschließen.

Reinhardt war 1939 ein, wenn nicht der größte, Star des europäischen Jazz‘. Wie es dazu kam, klären wir dann in Teil 2 unseres Django Reinhardt-Specials.

Text: Lars Fleischmann/ Foto: William P. Gottlieb Sammlung