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Ehrlich währt am längsten

Ein Gespräch mit dem Saxofonisten Julius van Rhee über musikalische Klischees, die Musikstadt Köln und den Traumberuf Musiker.

Julius van Rhee

Julius van Rhee ist einer der faszinierenden Musiker*innen, die in der Kölner Szene gerade ihre ersten und zweiten Schritte machen. Das King Georg begleitet diese mit der »Young Talents«-Reihe – und van Rhee hat Mitte Februar ein ganz wunderbares Konzert an Ort und Stelle gespielt. Der 26-jährige, der in Köln geboren und in Waldbröl, im Oberbergischen, aufwuchs, landete über den Umweg Essen wieder in der Domstadt an der HfMT. Saxofon spielt er bereits seit seinem achten Lebensjahr, auch wenn er gerne Schlagzeug gelernt hätte. Aber was ist eigentlich »Stress-Jazz«?

Wann hast du entschieden aus der Berufung Musik deinen Beruf zu machen?

Ich hatte den Traum schon meine ganze Jugend hindurch – so ab 12/13. Nur hatte ich nach der Schule Angst, das in die Tat umzusetzen. Ich dachte, ich sei nicht gut genug und der Beruf sei zu unsicher. Ich hatte aber auch keinen alternativen Plan, weswegen ich nach der Schule erstmal gearbeitet habe und viel gereist bin. Ein Saxofon hatte ich nicht dabei. In Perth, in Australien, bin ich dann durch Zufall an ein altes Saxofon gekommen und habe dort drei Monate lang Straßenmusik gemacht. Ich stand einfach jeden Tag von morgens bis abends in der Fußgängerzone und habe Jazz-Standards gespielt. Dabei habe ich gemerkt, dass ich mir nichts Schöneres vorstellen kann, als den ganzen Tag Musik zu machen. Ich wusste, dass ich, wenn ich wieder in Deutschland bin, wenigstens versuchen muss, den Weg des Musikers einzuschlagen.

Du hast erst in Essen angefangen mit dem Studium und bist dann später nach Köln an die HfMT gekommen. Was waren die Gründe? Und welche Unterschiede hast du zwischen den Standorten ausgemacht?

Der Jazz-Studiengang an der Folkwang Universität ist toll, aber die Stadt bietet nicht so viele Möglichkeiten, Jazz zu spielen wie Köln. Dort gibt es nicht so viele Jazz-Musiker*innen auf engem Raum. Nach zwei Jahren in Essen wurde es mir also ein bisschen zu eintönig. Mich dann nochmal in Köln zu bewerben war eine relativ kurzfristige Entscheidung, die ich aber nicht bereue. Ich wäre auch gerne in Essen geblieben. Es gibt dort wunderbare Dozent*innen, Studierende und an der Folkwang eine besondere Atmosphäre, da in diesem kleinen Dorf (Essen-Werden) so viele verschiedene Kunstformen passieren (Theater, Tanz, Musical, Klassische Musik, Jazz) und auch viel Begegnung zwischen den einzelnen Studiengängen möglich ist. Der Wechsel nach Köln hat mir nochmal viele neue Türen eröffnet. Das besondere hier ist, dass der Jazz-Studiengang sehr groß ist, und dass die Schule stark mit der Szene vernetzt ist. So begegnet man seinen Kommiliton*innen abends auf Konzerten und man kann sich seine Dozent*innen live anhören. Das Niveau in Köln ist zudem sehr hoch und man lernt sehr viel durch den Austausch mit seinen Kommiliton*innen.

Ich möchte eigentlich schon, dass möglichst viele Menschen meine Musik hören und genießen können, ohne eine akademische Ausbildung oder ein lebenslanges Selbststudium in Musik abgeschlossen zu haben.

Julius van Rhee

2021 hast Du die Platte »Engine of Growth« aufgenommen, die dann letztes Jahr erschienen ist. Wie war es für Dich – auch als junger Künstler, der jede Sekunde auf der Bühne gebrauchen kann – während Corona zu arbeiten, zu musizieren? 

Es war eine sehr komische Erfahrung. Die Band habe ich bereits kurz vor Beginn der Pandemie gegründet, da haben wir auch erste Demos gemacht, und ich war total stolz und voller Tatendrang, ein eigenes Projekt zu starten. Dann wurde man ausgebremst. Dadurch konnte natürlich über lange Zeit gar kein Bandgefühl aufkommen. Auch das Album aufzunehmen, ohne vorher je ein Konzert zusammen gespielt zu haben war ein komisches Gefühl. Dazu kamen noch kurzfristige Corona-bedingte Besetzungsänderungen kurz vor der Aufnahme. Ich bin aber trotzdem sehr glücklich mit dem Ergebnis und bin allen sehr dankbar, die daran mitgewirkt haben.

Ein Bandgefühl stellt sich eigentlich erst jetzt richtig ein, drei (!) Jahre nachdem wir die ersten Aufnahmen gemacht haben. Letztes Jahr hatten wir schon die Möglichkeit viele Konzerte zu spielen, eine kleine Tour zu machen und ein zweites Album aufzunehmen, an dem gerade gearbeitet wird. Aber jetzt, nach der größeren Tour, fühlt es sich erst richtig so an, dass die Musik Sinn macht und dass die Band nach einer Band klingt.

Gab es Momente, wo du die Karriere auch in Frage gestellt hast?

Generell hat mich die Pandemie schon viel zweifeln lassen an diesem Berufsweg. Natürlich habe ich auch viel Zeit zum Musik schreiben und üben nutzen können, aber keine Konzerte zu spielen, genau in der Zeit, wo es eigentlich so richtig losgehen könnte, ist schon ein ziemlicher Dämpfer. Ich hatte eh immer viele Zweifel an diesem Weg, weil ich mich erst relativ spät entschieden habe, professioneller Musiker zu werden. Mein Vorteil war bis zur Pandemie, dass ich immer sehr fleißig war. Aber diesen Fleiß aufrecht zu erhalten, ohne sich ab und zu mit einem Konzert belohnen zu können, ist nach einer Weile schon sehr schwierig gewesen. Im Lern- und Erfahrungsprozess kann das Live-Erlebnis auch nur begrenzt ersetzen. Das spüre ich jetzt schon, wenn ich auf der Bühne stehe.

Dazu kam, dass die Pandemie genau zu dem Zeitpunkt anfing, als ich das Gefühl hatte in Köln langsam Fuß zu fassen, Leute kennenzulernen und häufiger spielen zu können. Das ging dann natürlich auch nicht mehr so richtig, hat mich verunsichert und demotiviert.

Ich konnte nicht realistisch einschätzen, wie man sich künstlerisch verortet und wie es karrieremäßig läuft und weitergehen kann. Das ist gegen Ende des Studiums schon bitter, weil es in dieser Zeit eigentlich speziell um diese Fragen geht. Man hatte keine Jobs und keine Gigs – wusste aber nicht wie es ohne Pandemie gelaufen wäre: Liegt es jetzt also an mir oder an der Pandemie, dass ich nichts zu tun habe? Diese Ungewissheit zu haben fand ich und finde ich immer noch sehr anstrengend.

Die Musik deines Quartetts (in der Besetzung mit Yannis Anft an den Keys, Calvin Lennig am Bass und Karl-F. Degenhardt an den Drums) verortest du im Modern Creative Jazz. Was bedeutet das Label/das Genre für Dich? Welche Freiheiten gibt es Dir?

Ich schreibe einfach meine Musik und spiele sie mit Musiker*innen, die ich bewundere und die ich für diese Musik geeignet finde. Ich habe keinen Anspruch an meine Musik, außer, dass sie immer ehrlicher wird, also näher an dem ist, was ich ausdrücken möchte. Sei es ein Gefühl, ein Gedanke oder eine musikalische Idee.

Natürlich bin ich sehr geprägt durch die intensive Beschäftigung mit der Jazz-Stilistik, was man in der Musik, die ich bis jetzt geschrieben habe, auch hört. Ebenso ist Improvisation ein wesentlicher Bestandteil meiner Musik, da ich es liebe, wenn eine Komposition im Moment eine ganz neue Form annimmt und wenn mehrere Personen auf der Bühne einander zuhören, spontan reagieren und gemeinsam etwas kreieren.

Dieses Label habe ich irgendwo mal aufgeschnappt und bis jetzt keines gefunden, das die Musik, die wir machen, besser beschreibt. Man könnte natürlich auch genauer sein und sagen:

»Teils komponierte, teils improvisierte Musik, die auf traditioneller Bebop-Spielart beruht, die in den Kompositionen Elemente aus anderen Stilistiken vorweist und Raum für spontanes Kreieren im Moment lässt«. Das finde ich aber weniger elegant und kommt dem Klang der Musik auch nicht näher.

Was man sowohl auf dem Langspieler, als auch beim Konzert im King Georg gemerkt hat: Viele Deiner Kompositionen haben einen romantischen – im umgangssprachlichen Sinne – Kern. Du bist der Ballade alles andere als abgeneigt. Gibt es dafür Vorbilder? Am Saxofon und auch abseits davon?

Ich mag tatsächlich gerne einfache, »romantische« oder vielleicht manchmal auch kitschige Ideen. Ich habe keine Scheu davor, Klischees zu bedienen und trotzdem eigen zu klingen. Das Umschiffen vom Offensichtlichen führt für mich häufig dazu, dass ich etwas umständlicher ausdrücke als ich es gerne würde. Vorbilder am Saxofon sind natürlich die üblichen Verdächtigen: Sonny Rollins, Joe Henderson, Cannonball Adderley, Coleman Hawkins, Lester Young, Charlie Parker, John Coltrane um nur ein paar zu nennen.

Abseits vom Saxofon bewundere ich Ella Fitzgerald, Sarah Vaughn, Billie Holiday, Miles Davis, Herbie Hancock, Bill Evans, Keith Jarret oder Kurt Rosenwinkel für ihre Balladen.

Im King Georg wurde das Quartett um Lucy Liebe an der Gitarre erweitert – wie kam es dazu?

Lucy gehört zum festen Kern der Band, die eigentlich ein Quintett ist, und war nur während der Tour bei ein paar Terminen nicht dabei. Ich bewundere sie für ihre Musikalität, die Art wie sie spielt, ihre musikalischen Entscheidungen im Moment, ihre Experimentierfreude und ihrem Verständnis von Gitarre als Instrument, das klanglich aus verschiedensten Richtungen geprägt und sehr vielseitig ist. Mittlerweile haben wir schon viel zusammengespielt und einen gemeinsamen Sound für meine Stücke entwickelt.

Du hast gleich das zweite Stück als »Stress-Jazz« angekündigt. Was meinst Du damit? 

Ich versuche häufig meine Musik aus der Perspektive jener zu sehen, die eigentlich nicht viel über Musik in dem Sinne, wie es zum Beispiel an Hochschulen gelehrt wird, wissen. Ich bin selber der einzige Musiker aus meiner Familie und werde deswegen häufig auch mit dieser Sichtweise konfrontiert.

Obwohl ich es natürlich toll finde, dass Musik sich stetig weiterentwickelt und Musiker*innen hohe Ansprüche an den künstlerischen Gehalt ihrer Musik haben, finde ich es superspannend, wie sehr Hörgewohnheiten unser Urteilsvermögen bei Musik beeinflussen. Etwas, das für jemanden, der zum Beispiel viel Jazz hört und alles Mögliche kennt, spannend und frisch klingt, kann für eine andere Person überfordernd und stressig klingen. 

Ob die Musik jetzt wirklich spannend und frisch, oder einfach nur wirr und unangenehm ist, kann man also eigentlich gar nicht richtig beurteilen.

Beim Spielen und Schreiben also ab und zu mal die Sichtweise zu wechseln und sich zu fragen, wie könnte die Musik auf verschiedene Menschen mit verschiedenen Hörgewohnheiten wirken, finde ich persönlich sehr inspirierend und hilft mir, mich nicht zu verrennen.

Ich möchte eigentlich schon, dass möglichst viele Menschen meine Musik hören und genießen können, ohne eine akademische Ausbildung oder ein lebenslanges Selbststudium in Musik abgeschlossen zu haben. Das steht für mich nicht im Widerspruch dazu, meine Musik so zu schreiben oder spielen zu können, wie ich möchte, sondern ergänzt sich sehr gut.

Interview: Lars Fleischmann.