Etwas Zärtlichkeit versuchen!
Er schrieb unter anderem den wichtigsten Song der Sixties. Über Otis Redding und ein Buch, dass sich seinem Leben und Wirken widmet: »Dreams To Remember«.
Vermutlich gibt es kein Jahrzehnt im 20. Jahrhundert, das größere kulturelle Umwälzungen mit sich brachte, als die 60erJahre. Insofern ist es eine kaum lösbare Aufgabe nach DER Gruppe, DEM Künstler, DER Künstlerin, DEM Album oder DEM Song des Jahrzehnts zu suchen. Der amerikanische Autor Mark Ribowsky versucht es zumindest und führt in seinem Buch »Dreams To Remember« an, dass der Titel des EINEN GROSSEN LIEDS ausschließlich »Respect« gebührt.
Es ist eine interessante Wahl, stammt der Song ja eben nicht von den Beatles oder einer anderen englischen Rock-Gruppe, ist es keiner der Songs und Stücke des freidrehenden Jazz, der in Windeseile von Hard-Bop zu Spiritual und Free Jazz stürmte und es ist auch kein Hippie- oder Studentenrevolten-Lied.
Nein, hier fordert ein Mann ein wenig Respekt, wenn er nach einem anstrengendem Arbeitstag nach Hause kommt. Wie bitte? Welcher Mann? Wir reden hier doch über Aretha Franklins Schlüssel-Stück, das sie zu einem Star und einer Ikone machte, oder nicht?
Bühne statte Kirche
Mark Ribowsky ist ein viel belesener und profunder Autor, der Kunst und Politik in all seinen Künstler-Biografien zusammenführt. Und in »Dreams To Remember« geht es eben nicht – oder nur am Rande – um Aretha Franklin, die natürlich jede Huldigung verdient. Nein, es ist ein Buch über Otis Redding, dem eigentlichen Urheber von »Respect«.
Otis Redding wurde 1941 in Dawson, Georgia, geboren. Sein Vater Otis Redding Senior war ein Baptistenprediger, der aber gleichzeitig als Farmer für einen Landbesitzer arbeitete. Seine Mutter Fannie Rosemann hatte bis dahin drei Töchter geboren, was bereits zu größeren Spannungen in der Familie führte. Doch mit der Geburt von Otis Junior änderte sich das. Otis war so etwas wie der Sonnenschein der Reddings und durfte bereits mit vier Jahren im Gospelchor der Baptistenkirche in Macon, Georgia, mitsingen. Gleichzeitig durfte er Gitarre und Piano lernen, später sogar Drums. Außerdem ging er zum Gesangsunterricht. Er sollte nicht bloß in die Fußstapfen seines Vaters treten und Prediger werden, sondern Pfarrer einer Gemeinde. Doch das sah Otis anders.
Statt in die Kirche zog es ihn auf die Bühnen, sein Vorbild wurde alsbald die Rock’n‘Roll-Ikone Little Richard, der aus Macon stammte und als Figur in der Stadtgesellschaft sehr präsent war. Mehrere Wochen hintereinander gewann Otis mit seinen Interpretationen von Little Richards-Songs bei einem Gesangswettbewerb. 1956 musste Otis dann die Schule verlassen und als Arbeiter auf einer Tankstelle und als Brunnenbauer anfangen. Sein Vater hatte in der Zwischenzeit Tuberkulose bekommen und konnte die Familie nicht mehr unterstützen.
In den nächsten Jahren ging es Schlag auf Schlag, wenngleich auf niedrigem Niveau: Er sang weiterhin bei Bandwettbewerben, dann wurde er für die Pat T. Cake engagiert und später als Background-Sänger für Little Richard, als sich dieser mit den Upsetters dem Gospel widmete. Bei Pat T. Cake hatte er einst Johnny Jenkins kennengelernt, den er eines morgens zum Stax Studio in Memphis fuhr, da Jenkins seinen Führerschein verloren hatte. Als dessen Aufnahmesession nur mäßig erfolgreich war, durfte Otis auch zwei Lieder aufnehmen: »These Arms of Mine« sollte sein erster Charts-Erfolg werden.
Absturz mit 26
Doch braucht man sich gar nicht die Mühe machen und den gesamten Lebensweg nochmal nachzuerzählen, man würde in dieser Tragödie unterzugehen drohen. Es ist wirklich ein Treppenwitz der Pop-Geschichte, dass ausgerechnet Redding, der außer Kiffen den Drogen fernblieb nicht einmal die zweifelhafte Ehre zuteil wurde, dem »Club of 27« beizutreten, jenem schicksalhaften Kreis von Künstler*innen, die mit 27 verstarben. Nein, Redding stürzte bereits mit 26 auf einer Flugreise mit seiner Band ab – doch er hinterließ mit »(Sitting on) The Dock of the Bay« seinen größten Hit. Die erste posthume Nummer 1 der amerikanischen Charts. Generell sollte ausgerechnet sein Tod zum Durchbruch im Heimatland führen, der ihm bis dahin verwehrt geblieben war. Zwar war Redding ein Musiker, der immer wieder mit Liedern wie »Try a Little Tenderness« in die Charts (R&B wie Billboard Top100) einsteigen konnte, aber nie ganz nach oben kam. In Europa wurde er hingegen verehrt. Berühmt sind die Aufnahmen von seiner zweiten Tournee in die »Alte Welt«, als er Engländer*innen, Deutsche Halbstarke und Backfische, genauso wie Norweger*innen in pure Ekstase versetzte.
Dieser ungeschliffene Soul sollte nicht ohne Grund später den Namen »Northern Soul« verpasst bekommen – in den Staaten war man nicht bereit für die eigenen selbstbewussten Künstler*innen. Wo wir wieder bei der Ausgangthese wären: »RESPECT« als wichtigster Song der 1960er Jahre.
Reddings Lied thematisiert wenige Monate nach der Ermordung von Malcolm X, dass die afro-amerikanischen Männer Anrecht auf Respekt haben – im kleinen, privaten Rahmen wie auf der großen Bühne. Es war eher eine implizite Hymne der Bürgerrechtsbewegung, die subtil und ungeplant etwas auf den Punkt brachte, was noch gar nicht war, sondern erst werden sollte. Wir erinnern uns mit gewissem Schrecken, dass »Dock of The Bay«, seine Meditation über die Vergänglichkeit und den eigenen Tod kurz vor dem tatsächlichen Ableben entstand. Otis hatte dafür ein eigenartiges Gespür, was seine Zeit auf Erden nicht verlängern konnte.
Um das aber nochmal klarzustellen: Selbstverständlich ist die Version von Aretha Franklin auch berechtigt der größere Hit, der sowohl das eine (Bürgerrechtsbewegung) als auch das andere (Feministische Emanzipation) zusammenbrachte. Aber darauf kommen wir nochmal zu sprechen, wenn wir »Otis Blue« – im Übrigen auch eine der 50 besten Platten aller Zeiten – nochmal durchgehört haben.
Text: Lars Fleischmann.