Je höher die Weihen, desto dünner das Feld
Die Saxofonistin Theresia Philipp im Porträt – und im Gespräch über Gender Equality in der Jazz-Szene.
Als Theresia Philipp und ich uns das erste Mal im Winter 2020 treffen, kommen wir alsbald auf das Thema »Geschlechter-Gleichberechtigung im Jazz« zu sprechen. Im Innenhof der Alten Feuerwache, unweit vom King Georg entfernt, sprechen wir über die Studie der Union Deutscher Jazzmusiker – die in der Zwischenzeit und als Konsequenz umbenannt wurde in Deutsche Jazzunion – und darüber, dass immer noch Instrumentalist*innen in der absoluten Minderzahl gegenüber ihren cis-männlichen Pendants sind. Das sei vor allen Dingen auch eine Frage oder ein Problem in Köln und anderen Städten Westdeutschlands.
Theresia Philipp wurde 1991 in Großröhrsdorf in Sachsen geboren, begann mit sieben am Keyboard zu spielen, wechselte mit zehn ans Saxofon und spielte fortan auch im Spielmannszug – mit allem Drum und Dran: »Es gab richtige Marschformationen, mit Figuren und Mustern, wie man es aus dem Fernsehen kennt.« In der achten Klasse zog es sie an das höchst renommierte Sächsische Landesgymnasium für Musik Carl Maria von Weber in Dresden – ein Konservatorium in der Tradition der DDR-Musikschulen inklusive Internat. Harmonielehre, Klavier, Saxofon und natürlich der klassische Abiturstoff. Ein ganz schöner Drill, der sich bald auszahlen sollte.
Zwischen 2007 und 2011 gehörte sie zum LandesJugendJazzOrchester Sachsen, danach zum BundesJazzOrchester (BuJazzO). Zwischendrin beobachtete sie Unterschiede zu ihren Jazzkolleg*innen aus dem Westen: »Was das Thema Gleichberechtigung bei der Musikerziehung und –förderung anbelangt, ist der Osten immer noch sehr viel weiter. Der berufliche Werdegang ist dort viel weniger bestimmt durch das eigene Geschlecht – das kann man auch an mir sehen. Es war in Sachsen viel normaler, dass Mädels und Jungs zusammen Musik lernen und spielen.«
Zum Studium kam sie an den Rhein, an die Hochschule für Musik und Tanz. Mittlerweile ist sie eine feste Größe in der Szene der Stadt, spielte schon in etlichen Formationen und mit allen möglichen Musiker*innen. Das bescherte ihr 2020 bereits das Horst und Gretl Will-Stipendium für Improvisierte Musik und Jazz der Stadt Köln, womit sie Koryphäen des Fachs wie Hayden Chisholm oder Philip Zoubek beerbt. So hieß es damals auch in der Begründung: »Theresia Philipp bewegt sich kompositorisch mittlerweile souverän in verschiedenen Epochen und Stilformen. Ihr aktuelles Projekt verbindet orthodoxe Kirchenmusik mit westeuropäischer Alter Musik und zeitgenössischer improvisierter und komponierter Neuer Musik, ohne dass diese vier Welten sich dabei im Wege stehen.«
Es war in Sachsen viel normaler, dass Mädels und Jungs zusammen Musik lernen und spielen
Theresia Philipp
Das Projekt heißt »Pollon with Strings« und erschien auf dem Label Float. Während Pollon ein eingespieltes Trio aus Philipp, Thomas Sauerborn und David Helm darstellt, konfrontiert sie diese Einheit mit einem Streichertrio aus der Nica-Stipendiatin Elisabeth Coudoux, Radek Stawarz, den man unter anderem aus dem Rundfunk Tanzorchester kennt, und Axel Lindner. »Ich setzte hier voll auf die musikalische Weitsicht und das Improvisationsvermögen der Musiker*innen. Ich habe die individuellen musikalischen Charaktere einem klassischen Streichquartettsound vorgezogen.«
Daneben spielt sie auch Saxofon und Klarinette für die Band BÖRT. Dann gab es die Platte »Losing Color« des Trios Philipp / Sauerborn / Dumoulin beim Kölner Label Klaeng. Darauffolgend spielte sie letztes Jahr beim Klaeng-Festival die Premiere ihrer interdisziplinären Komposition »Ain’t I«. Es ist ein politisches Projekt, das schon länger in Vorbereitung war. Bereits 2020 erzählte sie mir von »Ain’t I« und dass sie dafür Texte des intersektionalen feministischen Linken lese und sammle. Benannt ist das Projekt auch nach einer Rede der Anti-Sklaverei-Ikone Sojourner Truth: »Ain’t I a Woman« fragte sie 1851 ihr Publikum. Für Philipp ist es besonders wichtig, ihre Kunst mit politischen Aussagen und Problemstellungen zu verbinden.
Theresia Philipp erzählte mir auch von eigenen Zweifeln, die sie als Musikerin, im Speziellen als Saxofonistin, früher begleitet haben: »Wenn man anfängt als Frau mit dem Saxofon, dann sind die Vorbilder rar gesät. Heutzutage ist das schon anders, aber damals entdeckte ich Candy Dulfer und musste feststellen, dass sie schon einen anderen musikalischen Ansatz als ich hat. Erst Karolina Strassmayer zeigte mir, dass es für Saxofonistinnen einen Ort und Platz in der Szene gibt.« Für Stunden bei der ersten festangestellten Frau in der WDR Big Band fuhr sie einst durch die gesamte Republik – von Ost nach West.
Dass sich aber langsam etwas tut, spürt man an allen Ecken in der Jazz-Szene, auch wenn man sich Philipps Erfolge anschaut. So erntet sie derzeit die längst verdienten Lorbeeren, gewann dieses Jahr schon den renommierten WDR Jazzpreis in der Kategorie Komposition – und war 2022 nominiert für den Deutschen Jazzpreis (ehemals Jazz-Echo) in der Kategorie Saxofon.
Also alles in Ordnung? Nicht ganz. Noch immer sind Frauen in der Unterzahl – bei Instrumenten wie Drums, Percussions, den meisten Blechbläsern, aber selbst bei vermeintlich »weiblich konnotierten« Instrumenten wie der Flöten-Gruppe, muss man Frauen lange suchen. Je höher die Weihen, desto dünner wird das Feld. Die Anfänge sind gemacht, aber dennoch gibt es keinen Grund sich auszuruhen.
Text: Lars Fleischmann, Foto: Lukas Diller