Kollektiv und zu zweit
Das Duo LUDWIG//WITTBRODT klingt nach Neuer Musik, Minimal Music, verschiedensten Jazz-Facetten, Kraut, Elektroakustik – und sehr eigen.
Wer sich in der breiten und großen Landschaft der NRW-Musikszene, speziell in den Jazz- und Jazz-assoziierten Kreisen umschaut, droht schnell überwältigt zu werden von der Vielzahl an Musiker*innen, die sich hier tummeln. Von dem Umstand profitieren wir alle. Dennoch: Die ganzen Namen muss man erst mal auseinanderhalten können. Glücklicherweise gilt NRW, vor allen Dingen die Region Rhein-Ruhr, als Vorzeigestandort für Künstler*innen-Kollektive. Das kann man getrost behaupten.
Dementsprechend ist es eine Einstiegshilfe, sich an den Namen der Kollektive und Gruppierungen zu orientieren. Das ist wohlgemerkt keine neue und auch keine hier entstandene Entwicklung. In Chicago hatte sich in den 1960er Jahren die Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM) gebildet, Musiker*innen wie Gruppen vertreten, Konzerte und Stipendien organisiert …
So machen es dann auch die heutigen Kollektive – und mit dem Elektroakustik-Duo LUDWIG//WITTBRODT spielt am 19.2. 2021 eine Formation im King Georg, die (un)mittelbar mit dieser Entwicklung zu tun hat.
Da wäre einerseits das Kollektiv The Dorf aus dem Ruhrgebiet, dessen Teil die in Bonn geborene Cellistin Emily Wittbrodt ist. Sie studierte ab 2010 klassisches Cello an den Universitäten in Essen, Düsseldorf, Helsinki, Florenz – und im Anschluss Jazzimprovisation in Köln. Ihr musikalischer Schwerpunkt ist heute kaum mehr zu greifen, vielmehr zeichnet sich Wittbrodt durch Versatilität und ein unheimlich begeisterndes Gespür für Interdisziplinarität und Genreverschränkung aus. So spielt sie einerseits in dem bereits erwähntem Big-Band-Kollektiv The Dorf; dazu in etlichen Konstellationen, die ein Feld zwischen Drone, Avantgarde-Jazz, Elektroakustik, Improv und Neue Komposition ausloten.
Gerade mit dem Duo LUDWIG//WITTBRODT kommen die Assoziationen in Legionen. Neue Musik, Minimal Music, verschiedenste Facetten des modernen und komplexen Jazz, Kraut, Elektroakustik. Man denkt an Steve Reich, Terry Riley, Stockhausen, Kagel, Kelan Phil Cohran … Alleine im Opener des ersten Kassetten-Releases »LUDWIG//WITTBRODT« kann man all diese Traditionen und Referenzen erhaschen. Manche subtiler, andere offensichtlicher. Im weiteren Verlauf werden noch weitere Musiker*innen der Musikgeschichte als Pat*innen aufgerufen, darunter Wendy Carlos, Phill Niblock oder Tony Conrad.
Erschienen ist die Kassette 2020 beim Mülheimer (a.d.R.) Label Ana Ott. Ein genauso kollektivistisch angelegtes Label, wie das zu The Dorf gehörige Umland Records, das sich im Fall von Ana Ott rund um das Mülheimer Kulturzentrum Macroscope gegründet hat – und von dort aus seine vielgestaltigen Aktionen, Projekte und Bands realisiert.
Eine der treibenden Kräfte ist der Musiker Edis Ludwig (daher dann auch der Name LUDWIG//WITTBRODT). Ludwig ist Teil der Band Nasssau, ein lose formuliertes Band-Projekt, das im Kern aus acht Musiker*innen besteht und psychedelische Post-Kraut-Musik spielt. Zum Beispiel bei der Kölner Brückenmusik, am Kölner Ebertplatz oder beim Platzhirsch Festival in Duisburg. Dazu kommt die Band Transport (unter anderem mit dem Jazz-Journalisten Niklas Wandt), das Indierock-Quartett The Düsseldorf Düsterboys und weitere. Außerdem betreibt er eben das Label Ana Ott.
Gerade im Projekt LUDWIG//WITTBRODT erkennt man, wie die Tradition des kollektivistischen Arbeitens auch musikalische Vorzüge mit sich bringt. Ein solch fragiles Konstrukt wie dieses Duo, mit seinem Cello einerseits sowie den Drums und Computerspuren andererseits, funktioniert nur bei konzentriertem »Aufeinanderhören und Achtgeben«; die delikaten vier Stücke des Debüt-Albums nur, weil zwei Musiker*innen Vertrauen zu sich und der Musik aufbauen können. Im Live-Kontext, wo das Set-up aufgrund bestimmter technischer Vorgaben sogar noch an Zartgliedrigkeit gewinnt, ist dieses »Miteinander statt gegeneinander« Grundvoraussetzung. So entsteht grandiose Musik, die aus dem Geist des Kollektiven entsprungen ist – und gerade erst ihre ersten vorsichtigen Schritte in die Welt hinauswagt. Begleiten wir sie dabei.
Text: Lars Fleischmann, Foto: Katharina Geling