Punk im spirituellen Sinne
Am 13. Oktober spielt Luke Stewart im King Georg Jazz. Was auch immer das bedeutet.
Jazz und Punk: Politisch, rebellisch, autonom. Ich will das Fass nicht weiter aufmachen, also bleibe ich einfach beim Begriff Jazz. Nun, da dies geklärt ist, lasst mich fortfahren: Jazz kann alles. Alles ist Jazz. Und als Urknall der Popkultur ist er, als kosmische Hintergrundstrahlung, in ihr allgegenwärtig.
Dank zahlreicher Produzenten wie Madlib, Pete Rock oder J Dilla wurde dieses musikalische Wissen im HipHop weitergetragen. Auch im elektronischen Genre House wurde Jazz immer wieder kontextualisiert, so in etwa auf dem Track »On A Corner Called Jazz«, veröffentlicht von keinem geringeren als dem Godfather of Deep: Larry Heard alias Mr. Fingers. Aber wen wundert’s. Kann man tatsächlich aus Chicago kommen und dem Jazz entkommen und nicht aus seinem Material geformt werden? Und dann ist da natürlich noch der Prog-Rock: Denn auf der anderen Seite des Atlantiks hat Ian Carter mit seiner Fusion-Band Nucleus in den frühen 1970er Jahren in Großbritannien etliche Generationen von Bands entscheidend geprägt. Ich könnte hier weitermachen im Programm: Bossa Nova, Library Music, Afrobeat etc. Aber wenn es um das musikalische Erbe des Jazz´ geht, wird eine stilistische Richtung meist außen vorgelassen. Namentlich: Punk. Was in unserem Kontext schlussendlich bedeutet, dass Künstler wie John Coltrane, Archie Sheep, Ornette Coleman oder Albert Ayler die Godfathers of Punk sind. Amen.
Natürlich: Anders als viele Punkmusiker*innen waren sie an ihren Instrumenten gewachsen und handwerklich begabt bis sonderbegabt. Das ist natürlich kein Muss für Musik, auch nicht für bedeutende. Eine Virtuosität, die ins Nirgendwo führt, kann mich persönlich zu Tode langweilen. Nein, diese Herren waren Punks im spirituellen Sinne: Sie waren musikalisch rebellisch und nonkonformistisch!
Und wenn das jetzt interessant klingt, muss ich an dieser Stelle die Lesenden enttäuschen. Auf die Fortsetzung dieses Themas lasse ich vorerst warten und recherchiere weiter, aber oha!, es gibt viel zu erzählen! Jedoch, falls euch dieser kurze Ausflug angesprochen hat, möchte ich euch ins King Georg einladen, und zwar am 13. Oktober. Im Rahmen der oben abgehandelten Erörterung wird euch ein Konzert des Bassisten Luke Stewart erwarten, und dann gibt es, energetisch gesprochen, Punk! Oder wie ich früher mit Freunden zu sagen pflegte: Ein Konzert auf die Fresse!
Also, wer ist Luke Stewart?
Natürlich ist es Zufall oder viel mehr als Zufall jemals sein könnte, dass Luke in Washington D.C. wohnt, Hauptstadt der Vereinigten Staaten einerseits und der Geburtsort des Hardcore Punks anderseits. Wer erinnert sich nicht gerne an eine der wichtigsten HC Punk-Bands aller Zeiten, jene Bad Brains, die, Obacht!, zuvor die Jazzfunk Band Mind Power waren. Luke Stewart ist Mitbegründer des CapitalBop Inc., eine gemeinnützige Organisation, die sich für die Erhaltung, Förderung und Präsentation des Jazz in Washington, D.C. einsetzt. Ein politischer Graswurzel-Aktivismus, absurd nahe an der Do It Yourself- Mentalität der Anarcho- und Hardcore-Punkbewegung der 80er Jahre. Selbstverständlich existierte eine DIY-Mentalität bereits vor dem Punk, vor allem im Jazz. Die AACM aus Chicago entstand (1965) letzten Endes durch die Initiative einiger South Side Chicago Cats, aber das ist eine andere Geschichte. Also zurück zu Herrn Stewart, der außerhalb der USA vor durch seine Rolle bei Camae Ayewa Ann Inez alias Moore Mothers Projekt Irreversible Entanglements bekannt wurde. Dieses Projekt entstand 2015 aus einem Protest gegen den Tod von Akai Gurley, der durch die Hände eines New Yorker Polizisten starb. Seitdem zählt das Ensemble mit Luke Stewart und seine weiteren Mitglieder*innen zu den wichtigsten Akteuren der politischen Jazzlandschaft in den USA. Jazz und Punk: Politisch, rebellisch, autonom.
Doch so kurz vor Schluss sei gesagt, dass ich euch Luke Stewart nicht als Punk verkaufen möchte, obschon er mit seinem Duo Blacks‘ Myths im Jahre 2019 ein großartiges Noise Rock/ Free Jazz Tape veröffentlichte. Luke Stewart spielt Jazz, was auch immer das bedeutet.
Text: Hermes Villena