Geborgene Schätze
Gründer Samy Ben Redjeb und sein Label Analog Africa graben seit Jahren Musik vom afrikanischen Kontinent aus – und erforschen darüber hinaus transkontinentale Spuren.
Nach fünf Jahren haben sich Musiklabels etabliert, nach zehn Jahren werden sie zu Institutionen und nach 15 Jahren bietet sich das Wort »Legende« an. Und am Anfang jeder guten Legende steht ein Held – jemand, der sich gegen Widerstände durchzusetzen hat.
Beim Label Analog Africa heißt dieser Held Samy Ben Redjeb und seine Geschichte beginnt als Teilzeit-DJ. Damals, wir reden um eine Zeit rund um das Jahr 2000, sammelte Redjeb Platten, legte auf, es wollte aber nicht reichen. Also suchte er sich einen Teilzeitjob und arbeitete als Tauchlehrer. Irgendwann verschlug es ihn in dieser Funktion in den Senegal.
Dort, genauer in Dakar, fiel ihm eine Platte aus Simbabwe in die Hand – spontan entschließt er sich dieser Platte nachzuforschen. Er fliegt nach Harare. Was folgt ist die Geburtsstunde des Labels »Analog Africa«. Die Entscheidung für ein Label mit den Entdeckungen, die fiel wohl relativ schnell: The Green Arrows und die Hallelujah Chicken Run Band – zwei Bands aus dem südafrikanischen Land landen auf CDs. Der Erfolg blieb aber aus.
Aufklärung durch Labelarbeit
Warum die Songs aus Simbabwe beim Publikum anfänglich durchfielen, das lässt sich heute nur noch schwerlich erörtern. Das hat zwei Gründe. Tatsächlich gibt es verhältnismäßig wenig Berichte und Reviews aus der Zeit zu den frühen Aktivitäten von Analog Africa. Außerdem hören wir heutzutage anders in Musik des afrikanischen Kontinents rein. Daran hat Redjeb und sein Label großen Anteil – zusammen mit dem Musik-Ethnologen Brian Shimkovitz (»Awesome Tapes From Africa«) hat er unser Verständnis für Musik aus Mali, Kamerun und eben Simbabwe überhaupt erst ausgegraben, geformt, aufgeklärt und zur Diskussion gestellt.
Früher war alles Weltmusik
Wir denken zurück: Bis Mitte der Nullerjahre war Musik aus Afrika – und da reden wir wirklich über den ganzen Kontinent und nicht als illegitime Generalisierung – subsumiert im Genre »Weltmusik«. Afrikanische Künstler*innen von Weltrang konnte man an einer Hand abzählen: Miriam Makeba oder Hugh Masekela kannten die Aufgeklärteren, bei Mulatu Astatke und Fela Kuti wurde es schon eng. Erst mit Redjeb und Shimkovitz hat sich eine Offenheit hierzulande und im gesamten europäischen und nordamerikanischen Raum eingestellt. Künstler*innen und ganze musikalische Genre, die heute zum Inventar gehören, haben hier ihren Ursprung.
Aber zurück zur Geschichte und den konkreten Umständen beim Label aus Frankfurt: Schon 2008 sollte der Durchbruch nämlich anstehen. Zwischendrin stieß Redjeb bei einem Halt in Benin nämlich auf einen wahrhaftigen Schatz. Er hatte mittlerweile als Flugbegleiter der Deutschen Lufthansa angeheuert, was einen enormen Vorteil mit sich brachte: Er sah die Welt. Und wer die Möglichkeiten nutzt und die nötige Prise Glück auf seiner Seite hat, der macht vielleicht eine folgenschwere Entdeckung.
Regelmäßig flog er Ziele an der Goldküste im westlichen Afrika an: Ghana, Nigeria, Kamerun etc. – und dort traf er immer wieder auf obskure Musik, die ungehört schien, unbekannt sogar. Im Benin stieß er dann auf jene Plattenkisten, die später zu den Veröffentlichungen »African Scream Contest«, »Legends Of Benin«, »Orchestre Poly-Rythmo De Cotonou – Echos Hypnotiques« werden sollten. Die Kritiker*innen waren hin und weg – diese Musik, irgendwo zwischen Volksmusik, Schlager und Trance-Ritual, schlug ein, wie eine Bombe, wirkte ganz neu und ungemein faszinierend.
Vollends seinen internationalen Durchbruch feierte das Label dann jedoch erst mit der »Afro-Beat Airways«-Reihe. »West African Shock Waves« war etwas konventioneller als die Vorgänger-Platten, traf umso mehr den Zeitgeist und steht heute nicht nur bei sogenannten Nerds, sondern selbst bei Saturn im Plattenregal.
Die Welt ist viele Scheiben
Fortan war Analog Africa nicht nur ein kleines, krudes Label, sondern wurde zu einer Maschine. Mittlerweile zählt man 95 vollwertige Veröffentlichungen. Bevor man dann mit der Nummer 100 sein großes Jubiläum feiert, besucht das Label am 17. September noch das King Georg.
Man kann wohl eine kunterbunte Abfahrt erwarten, hat das Label nicht nur den Riesenkontinent vermessen und immer wieder spannendes, emotionales, sondern meist sehr Tanzbares ausgegraben. Und der Atlantik wurde auch bereits gekreuzt, um transkontinentale Spuren zu erforschen.
Deswegen nochmal zum »Vorglühen«, wie man heute so sagt, der Lieblingssong des Autoren in Videoform:
Text: Lars Fleischmann.