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Heilsversprechen vom Weltenbürger

Devin Brahja Waldman leitet die Band BRAHJA, die am Freitag, 10.11. im Rahmen unserer Urban Jazz Experience spielt.

Man stelle sich das mal vor: Man hat bereits mit zehn Jahren begonnen zu Touren, damals als Begleitung der eigenen Tante, die eine bekannte Poetin ist (Anna Waldman), und in den Folgejahren mit der Punk-Ikone Patti Smith, dem Künstler und Can-Musiker Malcolm Mooney und Sonic Youths Thurston Moore gespielt; man sei ganz nebenher ein Weltenbürger, der munter zwischen New York und Montreal, zwischen Nordamerika und Europa hin- und herspringen könne; man mache sowohl bei den Postrockern von Godspeed! You Black Emperor, als auch neben dem ägyptischen Fusionmusiker Maurice Louca eine gute Figur – man müsste doch fast unter diesem fast unmenschlichem »Plus an allem« zerbröseln. Doch die Welt von Devin Brahja Waldman, diesem famosen und übertalentiertem (ein Begriff, den man nicht leichtfertig benutzen sollte) Saxofonisten, Schlagzeuger, Synthesizer-/Pianisten und Komponisten, sieht anders aus. Sie bröselt nicht, sie splittert auch nicht, sie wirft nicht einmal Falten. Stattdessen entwirrt sich in den Händen des New Yorkers sogar der Gordische Knoten.

Devin Brahja Waldman leitet die Band BRAHJA. BRAHJA spielt in der einen oder anderen Form seit 2008 und besteht derzeit aus 10 Musikern aus Montreal, New York City, Washington D.C. und Chicago; der Kern besteht aus Waldman, Isis Giraldo (Klavier, Synthesizer, Gesang), Damon Shadrach Hankoff (Orgel, Klavier, Synthesizer), Martin Heslop (akustischer Bass) und Daniel Gélinas (Schlagzeug, Synthesizer).
Die Loipen in die verschiedenen nordamerikanischen Zentren des Jazz, der freien Musik, der Improvisation und des Experiments sind folglich längst gefräst und Waldman könnte sich bereits zurücklehnen. Mal hier connecten, dann wieder woanders andocken – Erfolg wäre ihm garantiert. Wer aber unterdessen in sein 2019er Debütalbum reingehört hat und das Vergnügen hatte, diese innovative, dichte, superelastische Musik zu genießen, der kann bestätigen: Sowas hat man noch nicht gehört. Man wusste sogar bisher gar nicht, dass man nach diesem alchemistischen Mix, nach dieser eigensinnigen, kompakten Musik mit ihren Post-Punk-Ostinati im Bassregister, mit den spirituellen Noten und den frei-schwebenden Saxofon-Licks, gesucht hätte.

Waldman schrieb damals über die Debüt-Veröffentlichung unter dem nom de plume: »Diese Songs handeln meist von der Reinigung von ungebetener Dunkelheit. Eine Art von Heilung für eine Art von Gift. Eine Art von Tod für eine Art von Erneuerung. Ich hoffe, ihr könnt dieser Musik Sinn und Freude abgewinnen. Mit aufrichtiger Dankbarkeit, Devin Brahja Waldman.«

Es ist ein großes Versprechen, eines das etliche Male in der Geschichte der Musik-Menschheit getätigt wurde: Wer hier klickt, einschaltet, dies oder jenes auflegt, runterlädt und/oder langsam reingleiten lässt, wird geheilt. Er knüpft an die Verheißungen des Spirituals an, weiß sie aber sowohl gedanklich als auch inhaltlich in eine neue Zeit, unsere heutige zu übersetzen. Wo Pharoah Sanders oder Coltrane noch Forschungsarbeit betrieben haben und das Art Ensemble sowie seine Chicagoer Freunde über den Globus reisen mussten, steht für Waldman längst die Welt, Dies- und Jenseits, Sinnes- und Bewusstseinserweiterungsstufen offen.

Ohne nach Äthiopien pilgern zu müssen, kann er Anno 2023 amharische Sounds genauso inkorporieren, wie europäische, subversive Klangforschungen zitieren. Manchmal scheint ihm das zuzufliegen, dann wiederum nimmt er Kontakt auf zu den anfangs genannten Musik-Ikonen (genau: Smith, Moore, Mooney, aber auch Mette Rasmussen oder Free-Jazz-Drum-Legende Hamid Drake) und lernt direkt von den besten Lehrmeistern.

Bei so viel Connecterei gerät das Werk auch immer wieder an seine Grenzen. Die insgesamt zehn Musiker*innen seiner Combo wollen spielen; doch Waldman weiß sie zu bändigen, lässt ihnen zugleich Platz. Immer wieder klingt die Musik, als würden gleich mehrere Stücke parallel laufen und doch funktioniert das alles wie er selbst: Wo andere porös oder mürbe werden, wird das Projekt BRAHJA produktiv. Dann verliert man sich in den verschiedenen Spuren – und wird womöglich nebenbei geheilt. Wir werden es beim Abschluss des ersten King Georg Festivals, der Urban Jazz Experience, hören.

Text: Lars Fleischmann