Ich handle, also bin ich
Elisabeth Coudoux vom IMPAKT Kollektiv für aktuelle Musik & Improvisation über Ihre Band Emißatett
1. Wie kommt man von Elisabeth auf Emißatett?
Das Emißatett habe ich 2013 gegründet. Auf der Suche nach einem Namen für das Quintett wollte ich auf keinen Fall den im Jazz üblichen Weg wählen – Elisabeth Coudoux Quintett. Außerdem sollte der Name einen Beitrag dazu leisten, dass der Buchstabe -ß- nicht ausstirbt! Und damit der Name trotzdem etwas mit mir zu tun hat, sollte er so ähnlich wie mein eigener Vorname klingen. Emißa klingt auch irgendwie weiblich, und gibt es so nicht als Namen – die -tetten kommen von den Quin – tetten.
Nicht alles kann man schnell erklären. Wenn mich meine Kinder etwas fragen, weiß ich meistens nicht, wo ich anfangen soll, vielleicht kennt das jemand? Meistens braucht man eine Linearität, um etwas logisch zu beschreiben. Gegen diese Linearität habe ich viel einzuwenden, denn: Eine Linie auf dem Boden zum Beispiel lenkt den Blick ab von der Umgebung. In welchem Raum befinde ich mich, wenn ich nur der Linie folge?
Das Emißatett ist für mich, als würde ich eine Tür aufmachen und einen offenen, weiten, hellen, leeren Raum dahinter betreten. Der erste Blick fällt in den Raum ohne Fokus, ich nehme nur wahr, dass er groß und freundlich ist. Das ist schon mal ein Phänomen was ich liebe; Wahrnehmen entspannter Weite ohne Fokus.
Wenn diese Tür erstmal aufgestoßen ist, kann man anfangen den Raum einzurichten, man kann ihn aber auch so lassen wie er ist. Zuerst habe ich angefangen kleine schwarze ovale Kugeln mit Hälsen dran auf ein Papier zu schreiben. Es purzelten nur Linien heraus. Tonlinien, rauf und runter, zuerst zweistimmig für Kontrabass und Cello. Das war schon 2013 so weit weg von den Klängen, die ich gewohnt war in der freien Improvisation zu spielen, dass ich diese etüdenähnlichen Girlanden nicht benutzen wollte. Wir haben erstmal improvisiert
2. Debütalbum »qui-pro-quo-dis«
2014 stand dann die erste CD-Produktion an und ich musste und wollte mir etwas ausdenken. Ich habe versucht vom Cello aus zu gehen, eine sehr markante Überlieferung sind die Quinten, in denen das Cello gestimmt ist: C -G -D -A. So entstand das Stück, Quinten im Quintett – einmal die Quinten durch den Quintenzirkel jagen im systematischen Abstand als Material für Kontrabass und Posaune, ich durfte »drübersegeln«, was bedeutete nicht dem Tonmaterial zu dienen, sondern vielmehr eine andere Ebene noch hereinzuholen. Erstaunlich wie die Quinte zum Cello passt und wie romantisch das klingt. Bei »Upper Structure« habe ich für Kontrabass und Cello rhythmisch gleichbleibende Obertonstrukturen geschrieben und die Posaune hat ein paar Melodietöne bekommen. Ich mochte diese Idee sehr, weil die Bassinstrumente den ganzen unteren Tonbereich frei geben und alles hoch flirrt. Philip Zoubek und Etienne Nillesen waren in der Zeit in meinem inneren Auge die beiden Außenflügel – die super improvisierenden Kontextmeister. Posaune, Kontrabass und Cello waren quasi eine Art »Cellotrio«. Diese Konstellation erschien im Nachhinein mit meistens viel zu vielen Worten nur schwierig vermittelbar. Auf jeden Fall hört man auf »qui-pro-quo-dis« noch mehrere konkrete Tonwelten. Ein Qui-Pro-Quo ist übrigens eine Art Missverständnis: Wikipedia: »Der Ausdruck Qui pro quo bezeichnet eine Verwechslung von Personen, beispielsweise als spannungsgebendes Element in einem Schauspiel, und spielt auf einen Schreibfehler an (›qui‹ anstatt ›quo‹). Der Begriff bezeichnet allerdings nicht nur die Verwechslung selbst, sondern auch die Situation, die daraus entstehen kann.« Sowas passiert ja ständig in der Improvisation – herrlich weit weg von einer einzigen geraden Linie, die zu einem einzigen Ziel führt
3. Dazwischen
In den kommenden Jahren gab es neben ganz pragmatischen Lebensverhältnisänderungen nur wenig Zeit für viele Konzerte und Produktionen. Trotzdem habe ich versucht jedes Mal etwas Neues mitzubringen. Ein Konzert im Bunker Ulmenwall ist mir noch gut in Erinnerung. Wir waren nur als Emißatett-Trio angereist und konnten Achim Kaufmann Piano und Axel Dörner Trompete als Gäste gewinnen. Da unser Konzept darauf basierte, dass es nur für Posaune, Cello und Kontrabass festgeschriebenes Material gab, sollten Achim und Axel frei darüber improvisieren. Es gab eine kurze Probe, in der wir den beiden das Material zeigten und erklärten. Im Ersten Set spielten wir ausschließlich Stücke, Achim und Axel wussten nicht immer was jetzt kommt. Es war eine spannende, sehr dichte Situation. Das 2. Set sollte komplett frei sein. Diese Freiheit fühlte sich für mich nach dem 1. Set so extrem anders an, als das Material zu spielen! Wie als würde das Blut jetzt endlich durch alle Adern fließen können. Warum Kompositionen schreiben für beseelte Improvisatoren?
4. Zweites Album »Physis«
»Physis« – Ich bin in meinen Körper hineingerutscht. Das war ein längerer Prozess. Um das Wort Körper zu beschreiben stell ich mir meine Hände vor. Erst dirigiert von Noten, von Dirigenten, von Klangidealen, von Reaktionszeitmessungen, rhythmischen Strukturen, ästhetischen Regeln. Das hat sich immer mehr abgenabelt und springt von selbst zu dem Klang und der Schwingung, die gerade im Raum ist. Aus der Bewegung kommt die Idee – im Handeln liegt der Schlüssel. Oder das Gewicht muss darauf erstmal verlagert werden, um neue Gedanken schöpfen zu können. Außerdem ist es unmöglich erst alles zu wissen um anschließend handeln zu können. Ich kann nicht alles wissen, bin aber trotzdem ein Resonanzkörper, werde plastisch in der Interaktion mit anderen. Daraus resultiert meine Liebe zur freien Improvisation: Es passiert ausschließlich im Jetzt, genau in dem Moment wo ich physisch anwesend bin und physisch mein Instrument als Sprachrohr benutze für Töne, Klänge, Geräusche, Ideen, »so called« Kreativität. Naja, ganz präzise kann ich das sowieso nicht erklären…. Das Stück »Physis« ist inspiriert von Eliane Radigues Komposition Naldjorlak I. Für mich eine Art des Auskostens einer intensiven Schwingung die eine Welle ist. Übertragen auf meine Idee eine permanente Stimulierung der Saiten, den Körper mit einer einfachen Aufgabe in eine Permanenz bringen, eine Welle, die schon bei der Auswahl der Töne beginnt – sehr eng nebeneinander liegendes Tonmaterial. Übrigens immer auch mit der Idee die Klänge nicht mit den alten Systemen bewerten und kategorisieren zu wollen, sondern viel einfachere Vorstellungen – damit verbundenen Emotionen – zu nutzen. Ob man das darf oder nicht ist mir dabei ziemlich egal, weil ich nicht vor habe nach meinem Tod in Lexikas als Persönlichkeit in Erinnerung zu bleiben. Die neue Generation darf ihre eigenen Gedanken denken.
Das ganze Album ist auf jeden Fall hauptsächlich improvisiert, es gibt ein paar gewollte Ruhe-Inseln. Diese Musik sollte man einfach Live hören. Holz trifft Metall trifft Schall trifft Haut und Ohren. Emotion spielt Bewegung, schaut aus wie Eigenwille oder Mitschwingung und zeigt den Moment, der beim Zuhörer/Schauer*in im besten Fall eine Resonanz hervorruft.
5. Aktuelles Album »Earis«
»Earis« – unser neuestes Album hingegen ist gar nicht mehr so viel improvisiert, sondern hat ein paar langfristigere Entscheidungen getroffen. Auf diesem Album finden sich Kompositionen und Konzepte, die ich im November 2020 geschrieben habe und die viel mehr mit meiner eigenen Intuition verknüpft sind. Robert, Etienne, Matthias, Philip und Pegelia sind mir dabei so vertraut, dass sich mein innerer Hör-Raum vervielfachen kann. Außerdem habe ich versucht wirklich bei mir zu bleiben, keine Ausflüchte, Ablenkung, Relativierung, Bewertung. Und ganz wichtig auch der helfende Gedanke von Heike Sperling (in etwa): Um etwas zu kreieren muss ich nicht ein Genie sein, sondern der Akt der Kreation beschreibt den Willen etwas zusammenzustellen, was auf den ersten Blick nicht zusammengehört. Das ist wieder der Link zum Wissen: Nur ein Genie kann alles Wissen und damit dann Neues schaffen. Meine Motivation und Lust darauf etwas zu kreieren, fängt eigentlich da an, wenn ich selbst etwas ausprobieren kann. Wie kann man den Zugang zu eigenen Ideen für junge, offene Menschen, die sich für Musik begeistern nur so beschneiden und zügeln, dass sie in die ästhetischen Ideale des 18. Und 19. Jahrhunderts passen?
Ich bin gespannt, wo es mit dem Emißatett und mir noch so hingehen kann. Im Moment spüre ich einen Wandel, der irgendwie stattfinden muss. Probleme, die vor Corona schon da waren, sind mir jetzt viel offensichtlicher geworden: Wer hat noch offene, unformatierte Freiflächen im Gehirn? Neuromarketing manipuliert unsere Instinkte. Ordnung und Sicherheit scheinen immer wichtiger, vergammelte Bananen will niemand haben. Die Idee international Konzerte zu spielen, erübrigt sich mit den heutigen digitalen Möglichkeiten, und ist auch gar nicht klimafreundlich, usw. Muss ich also meinem Publikum ein möglichst einfaches Paket stricken, was in nur ganz wenigen, aber entscheidenden Punkten von den Millionen anderen Paketen abweicht, damit es im aktuell erlaubten Format zugestellt werden kann aber trotzdem zu circa 25% auffälliger ist als die anderen Pakete? Dann fühlt sich der Adressat als Individuum ernst genommen? Unsere Musik passt schon mal nicht ins aktuelle Format, sie will dem Hörer nichts aufschwatzen. Im Moment wünsche ich mir Wege zu finden, um diese Musik ehrlich zu kommunizieren.
Text: Elisabeth Coudoux