30. Todestag von Sammy Davis Jr.
Runde Geburtstage. Todestage. Jahrestage. In dieser Rubrik erinnern wir an Musiker*innen der Jazz-Geschichte und an herausragende Jazz-Ereignisse.
Am 16.5.2020 ist der 30. Todestag des Sängers und Entertainers Sammy Davis Jr. (1925 – 1990), des vermutlich talentiertesten Entertainers des 20. Jahrhunderts. Er war auch ein exzellenter Jazz-Sänger, auch wenn er nicht in diese Schublade gesteckt werden wollte. Biografische Informationen sind entnommen aus den Autobiographien »Yes I Can« (erschienen im Jahr 1965): , und »Why Me?« (erschienen im Jahr 1989).
Sammy Davis Jr. wurde am 8. Dezember 1925 in Harlem, New York, geboren. Seine Eltern bildeten mit Will Mastin, der Sammys Patenonkel wurde, ein Gesangs- und Tanztrio, mit dem Sammy schon als Dreijähriger erste Auftritte hatte. Hier mit 7 im Film »Rufus Jones for President«:
Er ging nie auf eine normale Schule, sondern wurde schon als Kind professioneller Entertainer als Mitglied von Will Mastins Trio. Zu seinen Fähigkeiten als Sänger und Tänzer kamen später die Beherrschung verschiedener Instrumente, unter anderem Schlagzeug und Saxofon, und seine Tätigkeit als Schauspieler in Filmen und als Hauptdarsteller in Broadway Musicals.
Schon 1941 traf er Frank Sinatra und entwickelte eine Freundschaft, die lebenslang sein sollte. Als Soldat erlebte er Rassismus der übelsten Sorte. Hier ist er mit dem Will Mastin Trio in den 1940er Jahren:
Anfang der 1950er Jahre koppelte er sich zunehmend vom Will Mastin Trio ab und machte erste Plattenaufnahmen. Sein erster größerer Hit war 1954 für Decca »Hey There«:
In dieser Zeit begann er, die schickeren Nachtclubs und Las Vegas Hotels zu erobern, auch wenn er als Schwarzer dort zunächst nicht übernachten durfte und durch die Hintertür rein- und rausgehen musste. 1954 hatte er einen schweren Autounfall, bei dem er sich Brüche und Gesichtsverletzungen zuzog und ein Auge verlor, das er später durch ein Glasauge ersetzte. Er trat zum Judentum über. 1958 begann seine Filmkarriere mit den Musikfilmen »Anna Lucasta« und »Porgy & Bess«. Decca versuchte ihn eher als Pop-Sänger zu etablieren, aber vieles, was er vor allem live sang, war eher Jazz. Hier ein Auftritt in Hugh Hefners TV Show Serie Playboy after Dark 1959:
In dieser Zeit wurde er Mitglied der Gruppe um Frank Sinatra, die sich Rat Pack nannte und zu der auch Dean Martin, Peter Lawford (Schwager von John F. Kennedy) und Joey Bishop behörten. Die Herren drehten über Jahre tagsüber unterhaltsame Filme und traten abends in Las Vegas auf. Hier der einzige auf Film festgehaltene Auftritt des Rat Pack 1965 in St. Louis:
Sammy Davis Jr. öffnete nicht nur die Türen für schwarze Entertainer, er verletzte auch bewusst Tabus, zum Beispiel dass Afroamerikaner keine Weißen parodieren durften:
Und er beteiligte sich an den Protestmärschen der Bürgerrechtsbewegung, zum Beispiel in Selma. Doch viele Afroamerikaner warfen ihm vor, zu sehr »weiß« sein zu wollen. Seine Ehe mit der sehr blonden Schwedin Mae Britt wurde als Beleg betrachtet. Trotzdem gelang ihm 1972 sein einziger Nr. 1 Pop-Hit in den USA »The Candy Man«. Doch sein Signature Song wurde »Mr. Bojangles«. Im selben Jahr trat er bei einer UNICEF Gala in Berlin mit dem SWR Tanzorchester auf und sang beide Songs:
Ebenfalls 1972 machte er einen gravierenden Fehler, als er sich für Richard Nixons Wiederwahl engagierte und ihn auf offener Bühne umarmte. Das Foto war am nächsten Tag in allen Zeitungen und bedeutete den vollständigen Verlust seiner schwarzen Fanbasis. Ab dem Zeitpunkt konnte er in USA außerhalb von Las Vegas keine Hallen mehr füllen und bekam auch nie wieder einen Vertrag mit einem größeren Platten-Label. Da er daran gewöhnt war, jedes Jahr gewaltige Dollar-Summen einzunehmen und genauso schnell mit beiden Händen wieder auszugeben, musste er seine Tourneen nach Europa und in den Rest der Welt verlagern.
Hier kommt mein persönliches Erleben ins Spiel. 1974 kaufte ich bei dem Bochumer Plattenhändler meines Vertrauens die Doppel-LP »Sammy Davis Jr. At the Coconut Grove«, die beste seiner vielen Live-Aufnahmen, ohne irgendetwas von der ganzen Vorgeschichte zu wissen:
Ich war begeistert und hörte diese Scheiben rauf und runter. Im folgenden Jahr trat die Fernsehzeitschrift HörZu als Promoter von Sammys Konzerten in Deutschland auf. Meine Eltern erklärten mich für verrückt, aber ich kaufte ein Ticket für die Philipshalle Düsseldorf für DM 45,-, ein Vermögen für einen 17-jährigen Schüler. Es war mein erstes größeres Live-Konzert. Sammy brachte Magie in die sehr nüchterne Halle, und er brachte unangekündigt seinen Freund und sein altes Vorbild Billy Eckstine mit, dessen Karriere am Boden lag und dem er helfen wollte. Diese Konzertaufnahme aus Australien 1979 gibt die Erinnerung an Sammy ganz gut wieder:
Als er 1978 in die Gruga-Halle Essen kam, war ich wieder dabei. Dies war das jazzigste Konzert, das ich je von Sammy sah, denn er hatte Buddy Rich und seine Big Band dabei. Hier ist er als Steptänzer mit Buddy und Gene Krupa in den 1960er Jahren:
Das nächste Mal sah ich ihn im April 1982 im Deutschen Museum in München. Die Hälfte der deutschen Unterhaltungsprominenz saß im Publikum. Und Sammys Charisma sprengte den relativ kleinen Saal. Auf diesem Europa-Trip sorgte er für einen Höhepunkt der deutschen Fernsehunterhaltung, als er mit Peter Herbolzheimers Rhythm & Brass Combination in der Show »Bio’s Bahnhof« in Frechen bei Köln auftrat:
Das letzte Mal sah ich Sammy im April 1989 in der Olympiahalle München im Konzert mit Frank Sinatra und Liza Minnelli. Hier ihr Auftritt in Japan aus dieser Zeit:
Sammy war bestens bei Stimme. So gut, dass Quincy Jones ihm vorschlug, eine Platte aufzunehmen. Dazu kam es nicht mehr. Bei Sammy wurde Kehlkopfkrebs diagnostiziert. Durch die Strahlenbehandlung im Herbst 1989 verlor er seine Stimme. Sammy war pleite. Sinatra und andere Freunde halfen still im Hintergrund.
Im November 1989 organisierte man ein Tribute Konzert für ihn in Los Angeles. Offiziell hieß es Tribute zu seinem 60-jährigen Bühnenjubiläum, aber es wussten wohl alle Beteiligten von Stevie Wonder bis Jesse Jackson, um was es wirklich ging. Sammy war dabei, konnte aber weder singen noch sprechen. Immerhin machte er einige Stepptanzschritte mit Gregory Hines. Michael Jackson, der Sammy als Vorbild und väterlichen Freund betrachtete und so manche Tanzschritte von ihm abgeschaut hatte, sang für ihn in berührender Weise (beginnt nach genau 2 Stunden):
Am 16. Mai 1990 starb Sammy. Ich war zu dem Zeitpunkt mit meiner zukünftigen Ehefrau in Urlaub in Kalifornien und bekam das enorme Medienecho direkt mit. Zwei Tage später fuhren wir durch Death Valley und am Abend in das wie immer grell beleuchtete Las Vegas. Plötzlich gingen alle Lichter aus – die Unterhaltungsmetropole Amerikas stand 10 Minuten still und trauerte um ihren größten Entertainer. Das war zuvor nur für John F. Kennedy und Martin Luther King geschehen.
Einen Song hatte Sammy nur kurze Zeit in seinem Repertoire, weil er ihn emotional zu sehr belastete. Musik von Udo Jürgens (das sagt Sammy falsch an), Text vom britischen Sänger Matt Munro: »If I never sing another song« im britischen Fernsehen 1978
Es gibt eine Reihe von Dokumentarfilmen über Sammy. Den für mich besten, der Sammy in seiner ganzen Komplexität zeigt, hat Arte gerade in die Mediathek gestellt
Eine Generation später hat sich die Black Community mit Sammy versöhnt. Pianist Harold Mabern nahm vor einigen Jahren eine Tribute CD für ihn auf. Am 24.4.20 hatten Christian McBride und Melissa Walker die Sänger Kurt Elling, Will Downing und Vuyo Sotashe in ihrem Online Hang zu Gast und sprachen über Sammy (beginnt nach einer Stunde und einer Minute)
Da ging es nur noch um diese einmalige Ansammlung von Talenten in einer Person von 1,55 Metern Körpergröße, der als Sänger, Tänzer und Entertainer so viele Türen geöffnet hatte. »Larger than life«.
Text: Hans-Bernd Kittlaus