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Keine großen Töne, umso größere Schwingen

Ein Gespräch mit Roosevelt Collier, den seine Fans nur den Doktor nennen, über Gitarrenstimmungen, die Seele von Lap- und Pedal Steel sowie die Wurzeln seiner Musik in der Familie und den Sümpfen.

Roosevelt collier

Wenn in modernen Jazz-Produktionen aus dem Süden der USA heute eine Gitarre nicht gehalten wird, sondern liegend gespielt wird, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Lap Steel- oder Pedal Steel-Gitarre von Roosevelt Collier gespielt wird. Der super-sympathische Musiker aus dem Land der Glades und Keys ist niemand, der große Töne spuckt – stattdessen ist er eher zurückhaltend und freundlich. Als Freund der GroundUp-Crew um Snarky Puppy-Gründer Michael League steht er für einen Funk-induzierten Jazz-Sound mit schaurig viel Groove und voller Spielfreude.

Doch schon lange steht der Mann mit den flinken Fingern, die Glissandi aneinander reihen, auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Schon früh ging er mit seiner Familie auf Tour: Die Lee Boys, seine Onkels und Cousins, nahmen ihn mit auf Tour durch die Südstaaten. »Sacred Steel« heißt der Sound, der statt klassischem Gospel-Gesang eben klassischen Gospel-Blues-Rock mit Gitarren, Bässen und Schlagzeug in die Welt trägt – und dabei das Wort der House of God-Church.
Nach drei Jahren Corona-Pandemie ist Roosevelt Collier das erste Mal wieder in Deutschland unterwegs und beglückt das King Georg am 20. April und am 21. April an zwei aufeinanderfolgenden Abenden mit seinem funky Sound mit Esprit!

Neben der Lap Steel-Gitarre spielst Du auch die weniger bekannte Pedal Steel-Gitarre. Vor allem einem deutschen Publikum ist dieses Instrument eher fremd. Was sind die Unterschiede zwischen Lap- und Pedal-Steel auf technischer Ebene?

Der einzige Unterschied ist, dass die Pedal Steel Bodenpedale und Kniepedale hat, mit denen man die Tonhöhe verändern kann, indem man die Saiten anhebt oder absenkt … Die Stimmung der Gitarre selbst ist genau die gleiche. 

Und was sind für Dich die Unterschiede im Einzelnen? Tragen die Instrumente eine andere Bedeutung für Dich? Haben sie eine andere Seele?

Die Pedale erlauben mir mit verschiedenen Akkordstimmungen zu experimentieren, aber ansonsten haben beide Instrumente die gleiche Seele … Ich glaube, die Seele liegt im Spieler, der dem Instrument das Leben einhaucht!

Wie bist du zur Lap Steel und Pedal Steel gekommen?

Die Antwort lautet: Kirche … Ich habe in der Kirche gelernt und angefangen. Die Steel-Gitarre hat in meiner Kirche eine tief verwurzelte Geschichte, die bis in die 1930er Jahre zurückreicht. Meine Familie spielte Steel-Gitarre in der Kirche, also wurde ich buchstäblich in den Klang der Gitarre hineingeboren. Gelernt habe ich sie von meinem Onkel, dem verstorbenen Reverend Glenn Lee.

Interessant, dass du Glenn Lee gerade ansprichst: Die Lee Boys haben eine besondere Bedeutung für Deine musikalische Karriere. In der Band spieltest Du mit Deinen Familienmitgliedern: Bringt das ausschließlich Vorteile, in der Familienband zu spielen und zu touren?

Die Lee Boys! Meine Blutfamilie, bestehend aus Onkeln und Neffen. Ich bin unter ihnen in der Kirche aufgewachsen, dann auf der Tour … Das hat Vorteile, weil wir auf der Bühne immer eine familiäre Verbindung haben, egal was passiert!

Wie stark beeinflusst Südflorida als Ort und Heimat Deine Musik bis heute? Oder hat sich der Einfluss zusehends verkleinert?

Ich werde immer Einflüsse aus meiner Heimat mitbringen. Das sind meine Wurzeln. In meiner Solokarriere ist das nicht mehr so stark ausgeprägt wie damals, als ich mit der Familienband auf Tour war. Meine »Schwingen« haben sich seither massiv vergrößert. 

Wie stark sind die Spuren, deiner kirchlichen Erziehung und des Glaubens in Deiner Karriere?

Der Glaube ist immer stark. Meine ganze Mission ist es, mit meiner Musik Leben zu berühren und durch die Musik zu heilen. Ich glaube, dass Musik eine mächtige Quelle des Schöpfers ist und dass Musik die universelle Sprache ist, die von jedem und allem verstanden werden kann!

Woher stammt Dein Spitzname »The Dr.«?

Oh Mann. Unsere Fans haben mich sehr früh in meiner Karriere »The Dr.« genannt, vielleicht bereits 2004/2005. Ich und die Lee Boys waren Headliner eines Musikfestivals in Florida, und während ich dieses Solo spielte, hörten wir die Fans schreien: »Spiel für uns und heile uns Doktor!« Und das blieb einfach hängen!

Du beschreibst deinen Musikstil als „dirty funk swampy grime“. Was bedeuten diese vier Worte für Dich und Deine Musik?

Ich komme aus den Sümpfen, bin da zu Hause. Alles, womit ich aufgewachsen bin, war funky und dreckig. Meine Musik ist deswegen durchdrungen von vielen tiefen Sounds mit Fuzz und Overdrive; kann aber auch sehr lässig sein. Direkt in dein Gesicht, aber einnehmend.

Du bist mit Gospel und grassroots-Sounds aufgewachsen. Wenn man sich deine Platte »Exit 16« anhört, merkt man eine Entwicklung: von deinen Wurzeln zu einem Sound, in dem Blues, aber auch viel Funk eine Rolle spielen. Ist das Album eine Coming-of-Age-Geschichte für dich?

Du nimmst mir die Worte aus dem Mund. Ja, diese Platte zeigt einfach, wer ich bin, wo ich herkomme und wohin ich gehe. Es zeigt meine Entwicklung und erzählt meine Geschichte.

Du und Snarky Puppy verbindet eine Arbeitsfreundschaft – das heißt, du hast mit verschiedenen Mitgliedern gespielt und die Band auf Tourneen begleitet. Wie kam es zu diesen Kollaborationen?

Snarky Puppy ist eine ganze Familie. Micheal League, Gründer von Snarky Puppy und vom GroundUp-Festival und -Label, ist wie ein Bruder für mich. Er ist einer der nettesten Typen, die man treffen und mit denen man ein Gespräch führen kann. Ich bin auch in einem anderen Nebenprojekt von Micheal namens BOKANTE. Das gesamte GroundUp-Camp ist eine große Familie. Kollaborationen sind für jeden in der Band ganz natürlich, weil die Musik durch unsere Fähigkeiten und Liebe verbunden wird.

Gibt es Einflüsse in Deiner Musik, die man nicht direkt hört?

Nein, man hört alles direkt.

Besonders während der weltweiten Corona-Pandemie war es um Dich ruhiger geworden: Gab es da einen Zusammenhang?

Das war eine wilde Zeit. Alles wurde leiser. Das hat mir wirklich geholfen, mich wieder auf mein Handwerk und meine Einflüsse zu konzentrieren.

Und was bedeutete es für Dich, dass die Welt (und Du persönlich) mehrere Monate lang auf Live-Musik verzichten mussten?

Wie für jeden Künstler war es der schlimmste Alptraum und die längste Auszeit, die wir alle je hatten. Mich hat es wirklich geerdet und mich gezwungen, mein Leben sehr schnell neu auszurichten. Musik ist unsere Hauptquelle und als Künstler leben und gedeihen wir von ihr. Also bin ich jetzt noch mehr mit meinem Handwerk vertraut und berühre Leben und heile durch Musik.

Hat diese lange Zeit der Stille, diese Pause, zu einem Umdenken bei dir geführt? Hat sich dein Verhältnis zur Musik verändert?

Es hat zu einem Umdenken in dem Sinne geführt, dass ich es kaum erwarten kann, wieder für meine Leute zu spielen. Ich wusste, dass wir wieder spielen werden, es war immer nur eine Frage des Zeitpunkts.

Interview: Lars Fleischmann