Die Netflix-Produktion »The Eddy« nähert sich auf ganz eigene Weise dem Jazz. Regie führte unter anderem Oscar-Gewinner Damien Chazelle.
Film und Musik gehören einfach zusammen. Regisseur Damien Chazelle kann davon, pardon, ein Lied singen. Chazelles erfolgreiches Debüt »Whiplash« spielte bereits im Musikermilieu, mit dem modernen Filmmusical »La La Land« räumte er dann richtig ab. Ryan Gosling an der Seite von Emma Stone. Sie als Schauspielerin Mia Dolan, er als Jazz-Pianist Sebastian Wilder. Der Rest ist…das Warten aufs Happy End? Nun, Seb träumt nebenher davon, einen veritablen Jazz-Club zu eröffnen – und die Love Story verbindet sich tänzerisch mit einer Sehnsucht nach altem Hollywood und wahrem Jazz. Soundtrack, Choreografien, Kostüme – das alles traf 2016 einen wunden Punkt.
Die Hauptfigur kämpft für die Tradition
Nun hat das amerikanisch-französische Wunderkind Chazelle zum ersten Mal in einer Serie die Regie übernommen, nämlich für die Netflix-Produktion »The Eddy«, und ein zeitgemäßeres Format als die episodenhafte Erzählung kann sich selbst ein in der Traumfabrik gestählter Oscar-Gewinner nicht mehr denken. Mittlerweile flimmern ja selbst die neuesten Werke von Legenden wie Martin Scorsese vornehmlich über die Portale von Streamingdiensten – und nicht über Kinoleinwände. Den Kampf um die Werte der Tradition muss also auch hier wieder die Hauptfigur für Chazelle ausfechten, und im Rahmen einer so genannten Mini-Serie hat sie dafür acht Folgen Zeit.
André Holland spielt den ehemaligen Blue-Note-Musiker Elliot Udo, der seiner Heimat USA den Rücken gekehrt hat. All seine Kraft investiert er nun in einen Pariser Jazz Club. Es gilt, das Optimale aus der Hausband zu kitzeln – und über dem Ringen um die Gunst des Publikums darf Elliot auch die Buchhaltung nicht aus den Augen verlieren. Vor allem nachdem seinem Partner etwas Schlimmes zustößt. Selbst im englisch-französischen Dialoggewirr kann es hier nicht heißen: C’est la vie. Dafür ist das alles zu tragisch.
Alle Songs entstanden vor dem Drehbuch
Genau genommen übernahm Chazelle nur die Regie bei den beiden ersten Folgen. Trotzdem ist er mehr als der prominente Grund, um mal reinzuschauen. Chazelle zieht das Publikum so geschickt in die Handlung hinein, dass ein Großteil sicher auch den Rest der Geschichte sehen möchte. Besonders gelungen: der teils hektische und mit wackliger Kamera eingefangene »Alltag«, an dessen Turbulenzen neben den ökonomischen Rahmenbedingungen auch Elliots pubertierende Tochter Julie ihren Anteil hat, wird von den in die Tiefe gehenden Musikszenen gebrochen. Das hat fast Musicalcharakter. Kein Wunder, dass die Grundidee zu »The Eddy« gar nicht im Plot steckt. Glen Ballards Kompositionen waren zuerst da, die Handlung wurde nachträglich um sie herum gestrickt. Ballard war sich nur sicher, die Songs zu einer Serie geschrieben zu haben. Das mit dem Stricken darf man übrigens fast wörtlich nehmen. Die Musik bleibt stets der rote Faden.
Soll Musik etwa Spaß machen?
Wenn man sich beim Zuschauen auch mitunter in einer kritischen Situation befindet, weil einem die Handlung etwas zu verfahren oder klischeebeladen vorkommt, wird es durch eine Session plötzlich wieder spannend. Da streitet Elliot bei der Probe mit der Band bis aufs Blut über die Frage, ob Musik Spaß machen soll oder eine todernste Sache ist; da finden zwei Personen durch einen Song ein gemeinsames Level; da kommt Julie nach einem emotionalen Ausraster durch die Wiederentdeckung der lange verschmähten Klarinette zur Ruhe und zu sich selbst. Musik als Ausdruck aller Facetten des Lebens und nicht als Einladung zur Weltflucht – das passt zum Ambiente des modernen aber dennoch traditionsverhafteten Jazz Clubs. Eine komplexe Angelegenheit, die einen doch wiederum bestens unterhalten kann. Sogar gut acht Stunden lang.
Text: Wolfgang Frömberg