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Mit Rainer Trüby kommt eine echte Legende und ein Guru der Música Popular Brasileira am 1.4. in die Klubbar.

Rainer Trüby gilt nicht bloß als Ikone des deutschen Nu Jazz, sondern auch als einer der hiesigen Gurus der MPB, der Música Popular Brasileira.

Kennen Sie zum Beispiel Sergio Mendes & Brasil 66 oder Tom Ze? Dann könnte das durchaus unmittelbar oder mittelbar an Rainer Trüby liegen, der seit den Neunzigern mit seinem umtriebigen Verhalten zwischen Auflegen, Kompilieren und selbst (Band-)Projekte ins Leben rufen die deutsche Digging-Community geprägt hat, wie nur wenige andere. Das geht so weit, dass – so will es der gut überlieferte Mythos – er selbst die Fantastischen 4 mit Samples ausgestattet hat.

Jetzt ist Asha Puthli keine Brasilianerin und Trübys Einfluss sollte hier erst beginnen; vom Höhepunkt sind wir 1992 noch weit entfernt. Stattdessen brach er seine Zelte in der baden-württembergischen Heimat ab, beendete seine Party-Nacht-Reihe im legendären On You-Club und zog in die damalige Underdog-Stadt Freiburg. Die Nähe zur Schweiz sollte sich bemerkbar und bezahlt machen, denn die Nachbarn aus dem nahen Basel kamen in die Clubs an der Dreisam.
Trüby lernte Bernd Kunz kennen und gründete A Forest Mighty Black – ja, klar, der Schwarzwald ruft. 

Langsam schält sich ein eigenes Genre aus der Schale: Nu Jazz. Auch wenn Trüby nie ganz glücklich mit dem Begriff werden sollte: Gefühlt ist die Nähe zu heutigen Beatscene-Experimenten, zum Boom-Bap und zu Sample-Hip-Hop näher. Aber was soll es? Wenn die Leute dadurch die Liebe zum Jazz lernen, dann ist doch allen geholfen, oder?

Nur entfernt strahlen hier Schnippsel von Jazz-Platten durch, manchmal auch nur über Soul und Funk vermittelt. Wir reden derweil über die Neunziger und im Mainstream war Jazz spätestens mit Bill Clinton keine bedeutende Größe mehr. Während aber an einigen Stellen Revivals vorbereitet werden, die erst etwas später zünden sollten – und an wiederum anderer Stelle die Durchlässigkeit gegenüber Free Jazz so groß, dass übersehene Komponisten wie Sun Ra oder Peter Brötzmann auch beim schnöseligen aber meinungsstarken Musikmagazin-Lesertum ankommt -, konzentriert Trüby in Freiburg seine Diggerkünste. Plötzlich stolpert er immer häufiger über Songs und Tracks, die in Kleinststückzahlen veröffentlicht wurden, aber vergleichsweise leicht lizenziert werden konnten.
So entstehen zum Beispiel die »Glücklich«-Compilations für das Stuttgarter Compost-Label: Gesammelt werden hier nicht die brasilianischen, latin oder afro-karibischen Originale, sondern meist virtuos, manchmal wunderbar absurd nachgespielte oder herbeifantasierte Stücke aus deutschen/europäischen Landen.

»Glücklich« von Christian Lembrecht, Claus-Robert Kruse, Rolf Köhler, Peter Franken, Peter Weihe aka To Be. 1977 in Hamburg eingespielt, längst vergessen als Trüby dieses und weitere Stücke 17 Jahre später auf Platte bannt. Nu Jazz oder Rare (Organic) Grooves – egal wie man das Kind damals nennen sollte, wichtig waren die musikalischen Lektionen bezüglich Groove, Improvisation, Spielfreude.

1997 gründet Trüby dann in Freiburg das Trüby Trio – zusammen mit Christian Prommer und Roland Appel. Doch auf ein Album musste man erstmal länger warten; man spezialisierte sich auf Remixe, auf Live-Auftritte und auf einen DJ Kicks-Beitrag. Die Mutter aller DJ-Mixe klopfte 2001 an. Legendär sind die 78 Minuten voller Elan und Esprit, die Techno-Kids wie House-Hipster gleichermaßen irritierte: Tanzbar war das, auch wenn man die Drum-Machines (fast) vergeblich suchte. An dieser Stelle wird aus Nu Jazz langsam Deep House – auch spannend.
Erst zwei Jahre später kam dann das eigentliche Debüt-Album. Als »Elevator Music«, also Fahrstuhlmusik, sollte die Platte in die Geschichtsbücher eingehen. 

Später sollte sich das Trio trennen – im Guten – und Rainer Trüby fortan alleine oder mit immer neuen Partner*innen Singles produzieren, während weiterhin in regelmäßigen Abständen Compilations bei renommierten Labels erscheinen. Der längst zum (musikalischen) Weltenbummler mutierte DJ, füttert nun Plattenteller an allen möglichen Orten mit seinen seltenen Sounds und seinen groovy House-Nummern. Wie zum Beispiel »Jeck«:

Der King Georg-Klassiker passt natürlich wie die Faust aufs Auge für Trübys Besuch am Dom. Auch im bereits vierten Jahrzehnt seiner DJ-Tätigkeit ist der Schwabe – immerhin hat er die Liebe zu gutem Wein in Baden etntdeckt – kein bisken müde. Auch 2023 wird noch gemischt und gemixt, ausgegraben und wieder lieben gelernt. Wir freuen uns auf eine echte Legende.

Text: Lars Fleischmann

Jamie Cullum ist der erfolgreichste britische Jazzer der Gegenwart, ein sensationeller Entertainer, der mit eigenen Kompositionen und etlichen Cover-Versionen (die bekannteste »Don´t Stop The Music« von Rihanna). Sein Song »I´m all over again« verdeutlicht seine Power, seinen Crossover-Stil. Und wer mehr hören will, dem sei der Mitschnitt seines Piano-Solo Konzerts aus dem Jahr 2021  empfohlen. Im King Georg spielen wir die Musik von Jamie Cullum am kommenden Dienstag, den 28. März.

Und natürlich darf als Angebot sein Cover-Song »Don´t Stop The Music« hier nicht fehlen (11 Millionen Aufrufe bei Youtube) – interessant auch gerade im Vergleich mit dem Rihanna-Original (644 Millionen Aufrufe)

Jochen Axer, Unterstützer des King Georg und über die Cologne Jazz Supporters Förderer vieler weiterer Jazz-Projekte, stellt hier jeden Sonntag einen seiner Favoriten vor.

Das Konzert des Projekts LIV ALMA der Kölner Saxofonistin Johanna Klein am 25. März nehmen wir zum Anlass, um einen Blick auf das Label zu werfen, bei dem das dazugehörige Album erscheint.

Papercup Records war bereits mehrfach ein gern gesehener Gast und Präsentator bei Konzerten im King Georg. Der vielseitige Label-Ko-Chef Keshav Purushotham war schon bei unseren Podcast-Formaten Klubcast – Die Zehnerkarte UND Jazzcast – Die gute Unterhaltung zu Gast.

Bei Papercup muss man normalerweise an Einweg-Getränkebecher denken, die nach dem Köln-Marathon zu Tausenden auf den Straßen liegen. Doch das Label von Keshav Purushotham und Steffen »Steddy« Wilmking hat mit Überbleibseln oder unnötigen Müllbergen rein gar nichts zu tun. Ganz im Gegenteil: Wie kaum ein anderes Label hat Papercup in den letzten Jahren das Kölner Musikgeschehen geprägt und verändert – und zwar zum Besseren.

Das hätte man 2015 nicht gedacht; immerhin befand sich das Label damals noch in einem Dornröschen-Schlaf. Um das zu verstehen, lohnt ein Blick in die Vergangenheit: Timid Tiger wurden in der ersten Hälfte der Nullerjahre als die Indie-Band mit den süßen Videos (»Miss Murray«) um einen Comic-Tiger bekannt. Gesicht der Gruppe war Frontmann Purushotham. 2009 wechselte dann das Line-Up, Wilmking kam dazu, man ging zusammen zur Sony Tochter Columbia und war immer noch die sympathische Band von nebenan. Nichtsdestotrotz gab es Verschleißerscheinungen und 2012, nach lange währenden Arbeiten am Album »The Streets Are Black«, sind Timid Tiger langsam Richtung Break-Up getaumelt. Um das Album doch noch zu veröffentlichen, gründeten Purushotham und Wilmking schnell ein eigenes Label.

Papercup Records war geboren – nur um dann erstmal wieder in der Versenkung zu verschwinden. Es standen andere Projekte an: Wilmking, der sowieso seit Mitte der Neunziger schon permanent als Drummer, Produzent, Masterer, Songwriter auftrat, produzierte 2011 das Album »Casper XOXO« und war in Folge ein willkommener Gast in den Studios und auf den Alben der deutschen Charts-Größen. Purushotham arbeitete als DJ und entwickelte allmählich sein neues Alter Ego Keshavara. Für die Veröffentlichung des Solo-Debüts wurde das alte Label 2016 wiederbelebt. »Wir wussten damals gar nicht genau, was man alles mit einem Label machen kann. Es war als Kanal für Keshavs Output gedacht – und entwickelte sich dann halt weiter«, so Steddy im Gespräch 2020. 

Und was für eine Entwicklung Papercup nahm! Mittlerweile gibt es neben dem Hauptlabel Papercup noch vier weitere Sub-Label. Da ist der Instrumental-Hip-Hop-Ableger A Good Cup of Hope, Ambient gibt es bei Breezzze. Relativ frisch ist die Musikiste dazugekommen und ganz neu: AAa (Am Anfang angekommen).  Doch wie findet das Label eigentlich seine Künstler*innen? Gerade Keshav tut sich hier hervor (»Er ist unser geheimer A&R«, so Steddy), der als Kenner der Kölner Szene hauptsächlich nach neuen Acts sucht. So kommt immer noch ein Großteil der Künstler*innen eben aus Köln – und aus allen Ecken der Musik. Da wären die Math-Jazz-Indie-Rocker von Infant Finches, das Ambient-Projekt Plasma Hal oder der Psych-Indie der Band ACUA. Ein breiter Einblick in die Kölner Szene.

»Früher machten wir Musik und es gab immer wieder die gleichen Fragen: Wo geht man damit hin? Wo bringt man das jetzt raus? Das war dann auch der Hauptfaktor: Eine Plattform für uns selbst und unsere Freunde bieten« so Keshav. Das klingt pragmatischer als es letztlich ist, die Anerkennung bleibt dennoch nicht aus.  Es gab mittlerweile Preise, das Kern-Projekt Keshavara hat letztes Jahr ein neues Album veröffentlicht und deutschlandweites Echo bekommen. Und auch andere Bands und Künstler*innen können die Plattform nutzen, um ihre bis dato besten Alben zu veröffentlichen.

Wie etwa LIV ALMA, das Projekt der hervorragenden Jazz-Saxofonistin Johanna Klein. Hier taucht sie ab in einen elektronischen Bedroom-Pop amerikanisch/britischer Schule, der mit wenig Mitteln, dafür mit sehr viel Tiefe daherkommt. An ihrer Seite Drummer Jan Philipp – bekannt als Jazzer, aber auch als Teil des Duos Infant Finches.
Leftfield trifft hier auf extrem modernen synthetischen Soul – die Nähe zur britischen Durchstarterin Tirzah und ihrer non-binären Produzent*in Mica Levi ist unverkennbar. Was natürlich hervorragend auch zu Papercup passt, einem Label, dem man stets anmerkt, dass man mehr als ein „deutsches Label“ sein möchte: Internationaler in Sound und Ausdrucksweisen, über den Tellerrand hinausschauend. Lokal vernetzt, global in der Denkweise. Klingt gut, ist es auch!

Text: Lars Fleischmann

Jeff Goldblum

Erste Kooperation mit Judy Carmichael’s Jazz Inspired in Europa: Regelmäßig spannende Podcasts mit weltbekannten Künstlern. Diese Woche: Jeff Goldblum

Unsere Kooperation mit Judy Carmichael's Jazz Inspired: Regelmäßig spannende Podcasts mit weltbekannten Künstlern.
Gastgeberin Judy Carmichael

Foto Jeff Goldblum: Gage Skidmore

Der Tod Wayne Shorters Anfang März führt ganz natürlich dazu, einige der bahnbrechenden Kompositionen zu erinnern, die der stilbildende Saxophonist hinterlassen hat.

Eines der wichtigen Beispiele ist »Footprints« aus dem Jahr 1966, erstmals  für sein Album »Adam’s Apple« aufgenommen. Oben im Video Wayne Shorter mit Herbie Hancock (Piano) , Reginald Workman (Bass) und Joe Chambers (Schlagzeug).

Die erste und berühmt gewordene Veröffentlichung des Songs ist aber die Aufnahme auf dem Miles Davis-Album »Miles Smiles«, ebenfalls in 1966 aufgenommen, aber früher veröffentlicht. 

In der phantastischen Original-Besetzung dieser Aufnahme des Miles Davis Quintetts mit Miles Davis (Trompete), Wayne Shorter (Tenorsaxophon), Herbe Hancock (Piano), Ron Carter (Kontrabass) und Tony Williams (Schlagzeug) gibt es glücklicherweise auch eine Video-Live Aufnahme vom 31.10.1967 eines Konzerts in Schweden- eine Aufnahme, die die Brillanz dieses Quintetts und jedes einzelnen perfekt dokumentiert. 

Und als Ergänzung noch eine Video-Aufnahme aus dem Jahr 1991, Live von dem Montreux Festival, mit Wayne Shorter Herbie Hancock (Piano), Stanley Clarke (Bass) , Omar Hakin (Schlagzeug), veränderter Stil, aber nicht weniger Professionalität, Musikalität und Kreativität. Really great.


Jochen Axer, Unterstützer des King Georg und über die Cologne Jazz Supporters Förderer vieler weiterer Jazz-Projekte, stellt hier jeden Sonntag einen seiner Favoriten vor.

Scott Hamilton

Erste Kooperation mit Judy Carmichael’s Jazz Inspired in Europa: Regelmäßig spannende Podcasts mit weltbekannten Künstlern. Diese Woche: Scott Hamilton.

Scott Hamilton spielt live bei uns mit dem Martin Sasse Trio am 14. März

Gastgeberin Judy Carmichael

Am 2. März diesen Jahres starb im Alter von 89 Jahren einer der wichtigsten Jazzer und Saxophonisten der letzten 60 Jahre.  Sein Name steht in einer Reihe mit John Coltrane und Sonny Rollins, seine Karriere als Saxophonist und Komponist ist nicht weniger als sensationell und beispiellos.

Wayne Shorter

Der in Newark, New Jersey, geborene Shorter spielte zunächst mit Horace Silver und Maynard Ferguson, um 1959 zu Art Blackey´s Jazz Messengers zu stoßen. Er war deren musikalischer Leiter, bevor er – auf Empfehlung von John Coltrane – Mitglied des zweiten klassischen Miles-Davis-Quintetts wurde, gemeinsam mit Herbie Hancock, Ron Carter und Tony Williams. Er schrieb etliche Kompositionen für dieses Quintett, unter anderem »Footprints« und »Nefertiti«.

1964 spielte er mit »Night Dreamer« sein erstes eigenes Album für Blue Note ein, sodann auch die Quartettaufnahme »JuJu« mit McCoy Tyner und Elvin Jones. 

Wayne Shorter ebnete den Weg auch für Miles Davis in den Fusion-Jazz mit den berühmten Alben »In a Silent Way«, »Miles in the Sky« und nicht zuletzt »Bitches Brew« (mit der Shorter-Komposition »Sanctuary«).

1970 gründete er mit Joe Zawinul die Gruppe Weather Report, deren Durchbruch gelang mit dem Album »Sweetnighter«, der weltweite Erfolg gelang mit dem Bassisten und Komponisten Jaco Pastorius, der 1976-1981 die Gruppe prägte. Die Alben »Black Market« und »Heavy Weather« gelangen herausragend, Einzeltitel wie »Black Market«

oder »Birdland« 

waren auch kommerzielle Erfolge; Weather Report nahm die heutige Weltmusik vorweg. Peter Erskine am Schlagzeug kam 1978 hinzu bei den Aufnahmen zu »Mr. Gone«

waren, 1979 entstand das Live Album 8:30, vielleicht der Höhepunkt für die Band, hier das Titelstück

Erst 2011 wurde »Live in Cologne« 1983 veröffentlicht, ein Album, auf dem Wayne Shorter als Sideman zu hören ist.

In all dieser Zeit spielte Wayne Shorter mit V.S.O.P. auch akustischen Jazz. Als Beispiel in der Besetzung mit Herbie Hancock,Wayne Shorter,Ron Carter,Wallace Roney,Tony William das Stück »So What«.

Nach der Auflösung von Weather Report Mitte der achtziger Jahre arbeitete er weiter solistisch, begleitete etliche andere Jazzkünstler, insbesondere Joni Mitchell, auch Steely Dan. Bis ins hohe Alter blieb er aktiv, im November 2021 wurde seine Oper »Iphigenia« in Boston uraufgeführt. Hier ein Trailer: 

Er erhielt unzählige Preise und Auszeichnungen, insgesamt 11 Grammys, 2003 und 2005 für die Alben »Allegría« und »Beyond the Sound Barrier« jeweils einen Grammy in der Kategorie Bestes Jazz-Instrumentalalbum, 2019 für sein Album »Emanon« erneut. Er befasste sich mehr und mehr  mit der großen Orchesterbesetzung, hier das Stück »Pegasus«

Noch 2022 wurde das Album »Live at the Detroit Festival« mit Terri Lyne Carrington, Leo Genovese und Esperanza Spalding veröffentlicht. Hier »Drummers Song«:

Wynton Marsalis veröffentlichte ein großartiges Album in der Reihe Jazz at Lincoln Center Orchestra im Jahr 2020, featuring Wayne Shorter, ein Zusammenschnitt dreier Konzertnächte aus dem Jahr 201 mit dem damals 781-Jährigen. Auch hier ein Beispiel mit »Armageddon« 

Was zu sagen bleibt, hat Wynton Marsalis zusammengefasst: 

»He’s at the highest level of our music—you can’t get any higher than him.«

Text: Jochen Axer

Ein Gespräch mit dem Oscar-Kandidaten Ozan Tekin über sein Album »Anarya« – und die Rolle, die ein altes Klavier darauf spielt.

Ozan Tekin

Ozan Tekin hat es vor bereits vor sechs Jahren aus seiner Heimat Türkei nach Bochum ans Folkwang Institut für Pop-Musik verschlagen. Noch während der Corona-Pandemie hat er dort im Jahr 2021 seinen Master gemacht. Unterdessen war er in und bei verschiedenen musikalischen Projekten (wie etwa Boddy) live und im Studio dabei. Daneben begann er seine Arbeit im Team von Volker Bertelmann (alias Hauschka). Der Wahl-Kölner Komponist und Musiker veröffentlichte zuletzt außerdem seinem Album »Anarya«. Mit diesem Album wird Tekin am Samstag, den 11. März 2023, in der King Georg Klubbar auftreten; bevor am nächsten Tag dann die Oscars verliehen werden. Noch vor dem ereignisreichen Wochenende sprachen wir mit ihm über »Anarya«.

Ich glaube, dass Dein Album »Anarya«, das Du im King Georg vorstellen wirst, zunächst einmal viel mit Deiner (Lebens-)Situation in Köln zu tun hat: Du bist in Adana geboren und über Istanbul, wo Du lange Zeit gelebt hast, nach Köln gekommen. Was hat Dich hierhergeführt?

Die Existenz und das Überleben als Künstler in einem Land mit vielen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Konflikten wurden für mich sehr schwer. Deshalb suchte ich nach einem alternativen Umfeld/Ort, um weiterhin Kunst machen zu können, ohne Kompromisse einzugehen und meine Existenz als Künstler in Frage zu stellen. Deutschland war eines der Länder in Europa, das ich schon oft besucht hatte, und ich hatte eine gewisse Vorstellung davon. Zufällig sah ich die offene Ausschreibung des Folkwang Institut für Pop-Musik und bewarb mich. Sie nahmen mich an und ich zog 2017 von Istanbul nach Bochum. Als ich nach Bochum zog, hatte ich keine Ahnung von Köln, aber nachdem ich ein Jahr lang in Bochum gelebt hatte, fand ich mich in Köln wieder und lebe jetzt seit fast fünf Jahren hier.

Musikalische Bezugspunkte sind Aphex Twin, Bill Evans, Gustav Mahler, Radiohead, Vaqif Mustafazade und Charles Mingus. Diese Liste ließe sich fortsetzen.  

Ozan Tekin

»Anarya« bedeutet »rückwärts wandern«, wenn ich es richtig verstehe. Was bedeutet es für Dich im Allgemeinen? Was ist damit gemeint? 

Es gibt mehrere Gründe, warum ich das Album »Anarya« genannt habe.  Das Klavier, auf dem ich die Aufnahmen für »Anarya« gemacht habe, war ein sehr altes und kaputtes Klavier, das ich in meinem Studio mit viel Zeitaufwand reparieren musste. Die Pflege und das Spielen dieses Klaviers waren ziemlich anstrengend und inspirierend zugleich. Ich musste daran denken, dass ich mich um eine sehr alte Person kümmere, die bald sterben wird, und ich versuche, ihr in ihren letzten Tagen etwas Trost zu spenden. Je mehr Zeit ich mit dieser Person verbrachte, desto mehr erinnerte sie sich und ließ ihre Erinnerungen ein letztes Mal aufleben. Nachdem ich einige Monate mit diesem Klavier verbracht hatte, wurde mir jedoch klar, dass ich, je mehr ich Klavier spiele, auch einige Erinnerungen oder Gefühle aus meiner Vergangenheit wieder aufleben lasse. Dann wollte ich all diese Erinnerungen und Gefühle mit der transponierten Erzählung in »Anarya« zusammenbringen, die eine Geschichte über eine Rückwärtswanderung erzählt.

Und was hat das für Sie auf musikalischer Ebene bedeutet?

Nach vielen Jahren des Produzierens in verschiedenen Musikgenres ist es für mich sehr reinigend und therapeutisch, mich auf ein einziges Instrument zu konzentrieren, ein Klavier, das Instrument, mit dem ich angefangen habe, Musik zu machen, und nur damit Musik zu produzieren. Ehrlich gesagt stand es vor der Pandemie nicht auf meiner Agenda, ein solches Klavier-Album zu machen, aber die Umstände bestimmten meine Art zu produzieren. Ich bin froh, nach Jahren zu dem Instrument zurückzukehren, mit dem ich ursprünglich Musik gelernt habe, und mit ihm einen musikalischen Ausdruck und eine Erzählung zu schaffen, die intensiv, impulsiv und lehrreich sein konnten.

Gab es Idiome – zum Beispiel solche, die als »orientalisch« und »abendländisch« bezeichnet werden -, die Du umgehen wolltest? 

Ja, natürlich. Ich finde diese Begriffe in der heutigen Zeit in vielen Fällen ziemlich unzureichend und begrenzt. Als Künstler kann man sich sowohl von seinem Land und seiner Kultur inspirieren lassen als auch von irgendwo oder etwas anderem. Deshalb glaube ich nicht, dass Kunst unbedingt mit einem »Land« verbunden sein sollte, das man dann sofort als orientalisch oder abendländisch abstempelt.

Wie hast Du die musikalische Sprache der Platte gefunden?

Anarya hinterfragt vor allem das Gefühl der Zugehörigkeit, und ich glaube, das spiegelt sich auch in der Musiksprache wider. Die Mischung aus vielen Genres, Zeiten und Orten, die für mich inspirierend sind, definiert die musikalische Erzählung des Albums, die kaum einem einzigen Ort zuzuordnen ist.

Was waren deine musikalischen Vorbilder oder Bezugspunkte für das Album?

Aphex Twin, Bill Evans, Gustav Mahler, Radiohead, Vaqif Mustafazade und Charles Mingus. Diese Liste ließe sich fortsetzen.  

Du hast das Album mit einem alten Klavier aufgenommen, das für die Platte eine besondere Bedeutung hat. Was bedeutet es für dich in King Georg, auf einem anderen Instrument zu spielen?

Jedes Klavier klingt und fühlt sich natürlich anders an, und ich weiß, dass es unmöglich ist, auf dem Album denselben Klang zu erzielen, den ich bei den Konzerten mit diesem alten Klavier aufgenommen habe. Ich nehme jedoch an jedem Klavier meine eigenen Modifikationen vor, die mir dabei helfen, dass die Klaviere, die ich in den Konzerten spiele, näher an dem Klang liegen, den ich für das Album aufgenommen habe. Es wird mein erstes Konzert mit einem Flügel im King Georg sein, deshalb bin ich sehr gespannt und freue mich darauf.

Interview: Lars Fleischmann, Foto: Lucie Ella

Jazz fürs ganze Jahr, Jazz für alle Jahreszeiten, Jazz für jeden Tag.

Es ist eine Binsenweisheit: »Kinder, wie die Zeit vergeht!« Und kaum vergeht sie schneller als bei einem Jazz-Konzert, das einen so richtig mitreißt.

Jetzt haben wir für Euch etwas Besonderes im Angebot. Etwas, das die unterhaltsame Zeit, die man im King Georg Jazz-Club verbringen kann, vor Augen führt: den King Georg Jahreskalender 2023 mit zwölf Fotografien von Fabian Blum, der von Januar bis Dezember Künstler*innen wie Samara Joy, Christian Sands, Julian Wasserfuhr oder Joe Haider in Szene setzt. 

Jazz fürs ganze Jahr, Jazz alle Jahreszeiten, Jazz für jeden Tag.

Dieser Kalender sollte wirklich in keinem Jazz-Haushalt fehlen. Erhältlich ist er für nur 10 Euro an der Kasse des King Georg. Am besten ihr sichert Euch schnell einen. Ihr wisst ja, die Zeit will einfach nicht stillstehen…