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»Das Träumerische und das Überraschende«

Ein Gespräch mit Bassistin, Komponistin und Bandleaderin Ursula Wienken über ihren musikalischen Werdegang, das URS Quartett, künstlerische Einflüsse und die Wichtigkeit professioneller Räume für junge Musiker*innen.


Ursula Wienken

Die 20-jährige Ursula Wienken aus Neuss ist Bandleaderin des URS Quartett, das am 30. März 2022 im King Georg innerhalb der »Young Talents«-Reihe eines seiner ersten Konzerte spielt.
Wienken wird an dem Abend am Kontrabass stehen und von da aus mit ihren drei Bandkollegen – Frederik Hesse (Trompete, Flügelhorn), Moritz Petersen (Piano) und Jakob Görris (Schlagzeug) – eigene Kompositionen zum Besten geben. An diesem Abend gesellt sich außerdem die Sängerin Donya Solaimani dazu.

Wie kommst Du zur Musik?

Meine Eltern betreiben Musik als Hobby. Mein Vater spielt akustische Gitarre, meine Mutter hat viel Chorerfahrung und spielt Klavier. Ihnen war es wichtig, ihren Kinder eine musikalische Ausbildung anzubieten. Der Unterricht lief dann über die Schule, zuerst mit der Gitarre, und auf dem Gymnasium wechselte ich zum E-Bass. Ich war dann in der Big Band-AG. Zum Studium hin fing ich auch mit dem Kontrabass an, hatte dann meinen Vorbereitungskurs hier in Köln, fing in Rotterdam mit dem Studium an und wechselte nach Köln. Bald beginnt das vierte Semester.

Deine Eltern sind jetzt nicht akademisch geschult. Wie kam es bei Dir zu der Entscheidung, einen akademischen Weg einzuschlagen? 

Mein Bruder, der acht Jahre älter ist, hat schon in Arnheim Schlagzeug studiert. Das war ein wichtiger Einfluss für mich. Und ein Jahr vor dem Abi habe ich hier in Köln auch an der Offenen Jazzhaus Schule bei André Nendza das Vorstudium angefangen. Da habe ich mir vermehrt die Frage gestellt, ob ich das Studium machen möchte – und habe mich dafür entschieden. 

Du hast mit dem Kontrabass erst vor relativ kurzer Zeit begonnen. Merkst Du schon, wie sich E-Bass- und Kontrabass-Spiel beeinflussen oder verändern?

Das sind für mich, ehrlich gesagt, komplett unterschiedliche Instrumente. Der Kontrabass birgt für mich viel mehr Herausforderungen, hat mich gleichzeitig aber auch weiter weg von Pop-Musik gebracht, die ich dann eher auf dem E-Bass spiele. Aber: Mittlerweile spiele ich auch häufiger Jazz auf dem E-Bass. Das ist bereits passiert. Das Spielgefühl ist halt sehr unterschiedlich. Der Kontrabass ist ganz nah am Körper und resoniert. Man spürt die Vibrationen. Das macht einen wichtigen Unterschied für mich. Derzeit präferiere ich den Kontrabass auf alle Fälle. Gerade auch der Unterricht bei Dieter Manderscheid hat mich sehr für den Kontrabass begeistern können.

Der Kontrabass hat immer noch den Ruf als »Underdog«-Instrument. Ist das etwas, womit Du dich konfrontiert sehen?

Also für jemanden, der*die hier in Köln in einer wahnsinnig tollen Bass-Klasse ist, natürlich nicht. (lacht) Vor allen Dingen in der Arbeit mit der Band merke ich aber schon, dass man am (Kontra-)Bass anders komponiert und arbeitet. Dadurch werde ich, die sich weniger um die melodischen Ausarbeitungen kümmert, dann zu einer Art »Aufgabenerteiler*in« oder »Projektmanager*in«. Als Rhythmusgruppeninstrument hat man gleichzeitig sowieso ein großes Verantwortungsgefühl für die Band, die Stücke; den Blick dafür, wie man alles zusammenhält und rund macht. Es funktioniert zumindest gut als Bassist*in und Bandleader*in.

URS Quartett

Du bist die dezidierte Bandleaderin beim URS Quartett…

… ja, genau. Gleichzeitig verstehen wir uns eindeutig als Band und nicht bloß allein als Ensemble. Mitspracherecht ist total wichtig für uns.

Mir scheint Euer musikalischer Ansatz sehr breitgefächert zu sein. Ich erkenne da sowohl Straight Ahead als auch neuartige Ausformungen.

Ich denke, dass bei uns diese flächigen, schwebenden Phasen maßgebend sind. Dazu gesellen sich wiederum energiereiche und überraschende Momente. Wir arbeiten mit zwei Begriffen: Das Träumerische und das Überraschende. Das versuchen wir stets zu verbinden. Wir wollen das Aufeinandertreffen und die Begegnung dieser beiden Ansätze. Es ist dennoch schwierig das unter einer Genre-Bezeichnung zusammen zu fassen. »Semi-Straight-Ahead« – was würde das bedeuten?

Welche Einflusssphäre siehst Du denn für sich?

Unsere Musik ist ganz klar von europäischen Musiker*innen geprägt. Kenny Wheeler, John Taylor, Norma Winston – oder hier aus Deutschland und Köln: Florian Ross. Gleichzeitig wollen wir aber nicht die amerikanischen Wurzeln des Jazz vergessen, die ja eindeutig mit der afro-amerikanischen Geschichte verbunden sind. Für uns ist das auch ein fragiles Thema, gebe ich zu. Wir wollen nicht den Stempel: Wir spielen nur die Musik weißer Europäer*innen. Zugleich sagen wir aber: Wir machen European Modern Jazz – und das löst einige Themen des US-amerikanischen Jazz eben nicht ein. 

Das ist eine sehr konkrete Haltung zu dem Themenkomplex.

Da hat mich der offene und konzentrierte Diskurs an der Hochschule – unter anderem das Seminar »Black Atlantic« – eindeutig mitgeprägt. Auch ich, als weiße Musiker*in in Deutschland, hinterfrage natürlich meine Haltung zur Musik von Schwarzen Musiker*innen, die unter ganz anderen Umständen aufgewachsen sind und musiziert haben. Da gibt es an der HfMT auf jeden Fall Räume für den Diskurs, wie eben in solchen Seminaren.

Kommen wir zum Schluss zum Konzert im King Georg, eines deiner ersten in einem professionellen Rahmen. Glaubst Du, dass solche Orte und Möglichkeiten wichtig sind?

Ich finde es sehr gut, dass es das King Georg und die Reihe »Young Talents« gibt. Ich glaube man sollte immer hinschauen, dass der Unterschied zwischen Studierenden einerseits und Berufsmusiker*innen andererseits nicht zu hoch gehangen wird. Wir sind alle Musiker*innen. Da ist ein Zugang zu professionellen Orten super. Zu häufig trifft man als Studierende auf Zusammenhänge, bei denen vielleicht die Ernsthaftigkeit etwas auf der Strecke bleibt.
Dazu kommt natürlich, dass das King Georg sowieso ein interessanter Ort ist. Wo man am Wochenende auch für wenig Geld Tanzen gehen kann. Ich glaube, das ist auch für Menschen interessant, die sich (noch) nicht für Jazz interessieren.

Interview: Lars Fleischmann