Django (3): Hand On Fire
Im dritten Teil unserer Artikel-Serie über den legendären Gitarristen Django Reinhardt geht es um seine größten Erfolge als Musiker, die Bedrohung durch Nazi-Deutschland und den Tod im Jahr 1953.
»Naturgemäß zeichnet niemand die frühen Jahre einer normalen Person auf – vor allen Dingen da sie keinerlei Anzeichen dafür gibt zu einer der musikalischen Genies des Jahrhundert zu werden.«
Salva Rubio
Die Historikerin Salva Rubio erklärt in den Liner Notes zu ihrer Django-Reinhardt-Graphic Novel »Hand On Fire«, welche Schwierigkeiten aufkommen, wenn man versucht das Leben des großen Reinhardt nachzuverfolgen. Die Faktenlage ist dünn, viele Infos sind nur mündlich überliefert, viele davon im Nachhinein mythisch überhöht und verzerrt. War es wirklich so, dass Django als Jugendlicher eine Bahn entgleisen lassen wollte, weil er unzufrieden mit seinem Leben war? Gibt es Gewissheit, dass er sich wirklich in Musik-Salons der Haute-Volee schlich? Hat seine Mutter zusätzlich gearbeitet, um den pubertierenden Sohn vor der schiefen Bahn zu retten – von der Gangster-Laufbahn zur Banjo-Gitarre?
Ungewiss sind auch spätere Ereignisse, Wendungen und Etappen im Leben des Manouche, der entgegen allen Wahrscheinlichkeiten eben doch ein Weltstar wurde. Selbst als er schon mit Stéphane Grappelli musizierte und die Musikzeitschriften berichteten, wurde sein Name monatelang falsch geschrieben und selbst die eifrigsten Chronologen können heute nur kapitulieren, wenn es darum geht, dass Django wochenweise von der Bildfläche verschwand.
Erst um das Jahr 1935 lichtet sich der Nebel, als auch außerhalb Frankreichs über das Gitarren-Genie geschrieben wurde. Im Benelux erschienen Artikel, vor allen Dingen in Amsterdam wartete man auf den Besuch Reinhardts und auch im Mutterland des Jazz, in den USA, genauer: in New York, konnte man die ersten Lobeshymnen lesen. In Deutschland war die Resonanz dagegen vergleichsweise klein. Jazz war zwar noch nicht vollends auf dem Index der Nationalsozialisten gelandet, aber war je nach Gemütslage des Gauleiters oder anderer Vertreter der Nazi-Obrigkeit nicht wohlgelitten. Vor allen Dingen nicht von einem, der aus einer Bevölkerungsgruppe stammte, die in der Propaganda schon längst zum Feindbild verkommen war.
Derweil stellt das Jahr 1936 dann den endgültigen Durchbruch dar: Etliche Veröffentlichungen, die durch die ganze Welt geschickt werden, entstehen mit Django Reinhardt an der Gitarre. Vorrangig der Hot Club de France (das Quintett unter der Leitung von Stéphane Grappelli) bekommt fantastische Reviews in Paris, in London, in New York. Django freut sich besonders, dass ihm der Durchbruch mit seinem Bruder Joseph »Nin-Nin« Reinhardt gelingt. Mit ihm hatte er sich damals in die Salons der besseren Gesellschaft geschlichen und den Traum von der Musikkarriere geträumt, sein Bruder hat ihn dafür immer angespornt und unterstützt. Nicht ohne Grund ist »Nin-Nin« eine der wichtigsten Nebenpersonen in der Graphic Novel »Hand On Fire«.
Dazu gesellen sich mehrere Aufnahmen mit Coleman Hawkins. Während der Aufnahmesessions mit dem Hot Club und Hawkins nimmt Django mittlerweile immer häufiger auch Solo-Stücke auf, die dann von der Gramophone Company veröffentlicht werden.
Anfang 1938 beginnt man eine London-Tournee und verkauft das Cambridge Theater und ähnliche Locations mit 500 bis 1000 Plätzen aus. Die Presse überbietet sich in den Lobpreisungen. Der Melody Maker, das größte Musikmagazin des Kontinents, schreibt: »Sie kamen, sie sahen, sie siegten.«
Dazwischen werden neue Stücke in den Decca-Studios in London aufgenommen. Mittlerweile – auch wenn die Benennungen sich stetig ändern – sind Grappelli und Reinhardt ganz klar gemeinsam die Gesichter der Gruppe. Manchmal spielt man unter dem Namen des einen, dann wieder unter dem anderen Namen oder dem offenen Hot Club de France. Unnötiges Kompetenzgerangel spielt in der Gruppe kaum eine Rolle. Politisch hingegen änderte sich schnell die Lage: War der Spanische Bürgerkrieg noch als konstantes Hintergrundrauschen auf dem Kontinent »ausblendbar«, warfen der Anschluss Österreichs und die Sudetenkrise deutlich dunkle Schatten in die Zukunft.
Amerikanische Musiker*innen, aber auch jüdische Deutsche verließen das nationalsozialistische Deutschland, zogen nach Amsterdam, nach Brüssel, London und natürlich Paris. Langsam sprachen sich die Drangsalierungen der der Juden, der Sinti und Roma und andersdenkender Menschen – wie auch Jazzer – rum. Der Rest ist Geschichte: Am 1. September überfällt Nazi-Deutschland Polen und in Folge bricht der Zweite Weltkrieg aus. Der Hot Club de France, der ab 1938 mehr als regelmäßig in England gastierte und dort viele Auftritte und Recording-Sessions bestreitet, ist wieder in der englischen Hauptstadt als die Meldung vom Krieg sich verbreitet. Die Gruppe spaltet sich auf – während die beiden Reinhardts nach Paris zurückwollen, bleibt Stéphane Grappelli in London. Bis zum Ende des Krieges knapp sechs Jahre später. Das ist das vorzeitige Ende des Hot Club de France.
Während aber in Europa bereits Krieg herrscht, ist in New York Aufbruchsstimmung zu spüren: Repress über Re-Issue erscheint in den Staaten. Gerade in den ersten Monaten häufen sich die lobenden Artikel, die selbstverständlich nicht alle allein von Django Reinhardt handeln, die aber das besondere Klima der 1930er Jahre in Europa betonen. Benny Carter und Coleman Hawkins bekommen Würdigungen – und die Pariser Kollegen werden da nicht außer Acht gelassen. Derweil gründet Reinhardt eine Gruppe mit Alix Combelle, André Ekyan, Jean Ferret und anderen, die in den folgenden Monaten und Jahren in immer neuen Formationen zusammenkommt.
Im Mai 1940 verschärft sich die Lage. Gerüchte machen sich breit, dass Deutschland nun Frankreich einnehmen möchte. Django und seine zweite Frau Naguine Reinhardt flüchten nach Südfrankreich, zwei Tage später überschreitet die Wehrmacht die Mosel. Am 14. Juni fällt Paris, Django kehrt knapp einen Monat später wieder heim. Musik wird auch weiterhin aufgenommen. Die Wolken aus »Nuages«, die Django mit einem neuen »Quintett du Hot-Club de France« mit Alix Combelle an der Klarinette aufnimmt, sind aber mittlerweile der Rauch des Krieges.
Django und seine Kollegen können sich vergleichsweise frei bewegen, reisen 1942 nach Brüssel, um dort neue Aufnahmen zu machen und mit Stan Brenders zu spielen. Auch die Rückreise ist kein Problem. Trotz gelegentlicher Traktiererei durch deutsche und Vichy-Soldaten wie Polizisten verläuft das Leben unbeschadet weiter. Nur Platten konnte man nicht mehr in Frankreich oder Europa verkaufen, diese wurden ausschließlich für den amerikanischen Markt – oder für die Archive – produziert. Reinhardt war äußerst beliebt bei der Pariser Gesellschaft und auch bei den Soldaten der Wehrmacht. Das verlieh ihm den Status der Unantastbarkeit. Doch 1943 wird es auch ihm zu heikel. Aus Paris werden immer häufiger Juden und auch Sinti und Roma deportiert. Django versucht in die neutrale Schweiz auszureisen, wird an der Grenze aber abgewiesen. Daraufhin verschwindet Reinhardt aus der Öffentlichkeit und spielt, bis auf drei, kein Konzert bis zur Befreiung Frankreichs.
»Dr. Jazz« Dietrich Schulz-Köhn, der berühmte Radiomoderator, der während des Krieges Oberleutnant der Wehrmacht in Frankreich war, hält es nicht für ausgeschlossen, dass Django Reinhardt tatsächlich sakrosankt war, sich kein Geheimpolizist, kein Militär je getraut hätte, ihn zu verhaften. Zwar galt der Befehl zur Vernichtung der Sinti und Roma nicht in Frankreich, dennoch wurden nahezu alle Angehörige der Volksgruppen interniert und in Konzentrationslager gesteckt. Der nationalsozialistische Apparat ging da rigoros vor. Schulz-Köhn sah dennoch keine Gefahr für Reinhardt; gleichzeitig betont er aber, dass gerade zum Kriegsende hin viele »gläubige Nazis« auf eigene Faust gehandelt hätten, was ein Klima der Unberechenbarkeit heraufbeschwor. Etliche Hundert Sinti und Roma verloren dennoch ihr Leben in der Zeit der Besatzung, dazu – daran sei an dieser Stelle nochmal erinnert – mindestens 75.000 jüdische Franzosen; darunter auch Musiker*innen mit denen Reinhardt die Bühne teilte.
Nach dem Krieg und der Niederlage Deutschlands beginnt die Welt sich wieder in normale Bahnen zu drehen. Django kann bald schon wieder nach London reisen, etliche Aufnahmen aus der Zeit der Besatzung werden releaset. 1946 beginnt dann die erste Tour in Nordamerika, wo er als Superstar landet. Zusammen mit Duke Ellington und seinem Orchester bereist er die USA und Kanada. In New York wartet zum Ende seiner Reise eine einmonatige Residency mit mindestens fünf Auftritten pro Woche. Das amerikanische Publikum hält seine Verletzungen manchmal für Kriegsverletzungen, so wird es überliefert.
Nach Djangos Heimkehr nach Paris, trifft erstmal Stéphane Grappelli wieder. Sie treffen sich im Hot Club de France und nehmen im März das erste Mal seit acht Jahren wieder Stücke auf.
Django greift jetzt immer häufiger zur elektrisch verstärkten Gitarre und hat in New York auch den Be-Bop kennen gelernt. Obwohl er noch weiterhin dem Swing verbunden bleibt, lassen sich immer häufiger II-V-I-Verbindungen und andere Kennzeichen des Bops entdecken. Die nächsten Jahre sind Jubeljahre, die ihn zum umfeiertsten Musiker des Kontinents werden lassen. 1951 zieht es Django Reinhardt raus aus Paris – zwischendurch hatte er zwei Residenzen in Rom verlebt – in das bei Fontainebleau gelegene Samois-sur-Seine. Hier wollte er, gerade 41 geworden, langsam zur Ruhe kommen. Doch schon zwei Jahre später, am 15. Mai 1953, erleidet Django, der zeitlebens »Kette rauchte«, einen Schlaganfall, dem er noch in derselben Nacht erliegt.
Sein Grab ist eine Pilgerstätte – für Jazz-Fans, für Sinti und Roma aus Europa und der ganzen Welt -, sein Ruhm hält bis heute an. Auch fast 100 Jahre nach seinen ersten Veröffentlichungen gilt Reinhardt zu den wichtigsten Vertreter*innen seiner Zunft und als großer Innovator des Jazz. Ohne Reinhardt hätte sich der europäische Jazz womöglich viel behäbiger und langsamer etabliert und emanzipiert.
Das Einzige, was an dieser Stelle verblüfft: Es gibt keine aktuelle deutsche Biografie Reinhardts. Die letzte stammt aus dem Jahr 1985. Dafür gibt es umso mehr Orte, wie Jazz-Clubs, an denen das Andenken an den großen Manouche aus Paris zelebriert wird. Denn eins ist klar: So einen Musiker hat Europa kein zweites Mal gesehen.
Text: Lars Fleischmann.