»Ich glaube, der Ursprung meiner Zweifel ist sehr komplex«
Saxofonistin, Komponistin und Sängerin Johanna Klein spielt im April mit ihrem eigenen Quartett und im Duo mit Szymon Wojcik bei uns. Ein Gespräch über künstlerische Entwicklungen, gemeinschaftliche Prozesse und persönliche Erfahrungen.
Saxofonistin, Komponistin und Sängerin Johanna Klein wuchs auf in Rüsselsheim und studierte an der Hochschule für Musik und Tanz Köln bei Niels Klein, Roger Hanschel und Claudius Valk.
Schon länger ist sie ein integraler Teil der Kölner Musikszene, spielt mit Musiker*innen aus verschiedenen Genres und Stilen zusammen: Gianni Brezzo, Eva Swiderski’s Trio/Quartett, Matthias Vogt Duo, Jannis Sicker Trio und der Grüne Salon – um nur ein paar zu nennen. Im Zentrum ihres Wirkens steht dennoch ihr eigenes Quartett. Dort sitzt Jan Philipp an den Drums, Nicolai Amrehn bedient den Bass und Leo Engels die Gitarre. Mit dem Quartett gewann sie 2019 den jazz@undesigned Preis und 2021 den Kompositionspreis des Avignon Jazz Festivals in Frankreich.
Nach ihrem Debüt »Cosmos« aus dem letzten Jahr erscheint demnächst die LP »No Shining«. Im April spielt sie gleich zwei Mal in der King Georg Klubbar: mit dem Johanna Klein Quartett am Samstag, den 09.04. und mit dem Projekt Wojcik/Klein am Freitag den 22.4.
Welche Entscheidung kam für Dich zuerst: Ich gehe zum Studieren nach Köln. Oder: Ich will Musikerin werden?
Nach meinem Abitur war für mich klar, dass ich studieren und wegziehen möchte. Eine Großstadt wie Köln fand ich immer reizvoll. Hier gibt es eine große Jazzszene, viel zu erleben und viele meiner Freundinnen und Freunde sind auch hierhergezogen. Allerdings war die Studiumswahl für mich keine eindeutige Entscheidung. Musikerin zu werden kam für mich auf jeden Fall sehr in Frage, ich liebe es schon immer Musik zu machen und brauch das auch, hatte aber große Zweifel, ob ich davon leben kann und will. Letztendlich habe ich dann Lehramt studiert, wollte dafür aber auch unbedingt nach Köln kommen, da man an der Musikhochschule dort den gleichen Zugang zu Instrumentalunterricht, Combos und Veranstaltungen hat wie Kommiliton:innen, die ein reines Instrumentalstudium absolvieren. Die Frage was ich eigentlich will hat mich viel beschäftigt, teilweise immer noch, und ich habe nach Zweifeln darüber ob ich mein Studium abbrechen soll oder nicht dann für mich den Kompromiss gefunden, nach meinem Studiumsabschluss im März 2021 nicht ins Referendariat zu gehen, sondern als Musikerin zu arbeiten, einfach weil ich diesen Wunsch schon so lange in mir trage.
Warum hast du da so gehadert?
Das hat glaube ich viele Gründe. Zum Beispiel habe ich von meinem Elternhaus vermittelt bekommen, dass man als selbstständige Musikerin oder Musiker nicht leben kann. Und es ist ja auch nicht leicht, vor allem wenn man an Themen wie Rente, Kinderkriegen und finanzielle Unabhängigkeit denkt. Ich glaube, ich tendiere auch dazu, manchmal sehr weit in die Zukunft zu denken und vieles zu hinterfragen. Möchte ich mit 50 Jahren noch auf der Bühne stehen? Kann ich es mir leisten, Kinder zu kriegen? Das sind so Fragen, die ich mir schon früh gestellt habe und die mich beeinflusst und manchmal auch blockiert haben.
Was macht dieses Thema mit dir?
Gerade stößt das eine interessante Entwicklung bei mir an, weil ich mir vorgenommen habe mehr im Hier und Jetzt zu leben und mir die Freiheiten zu nehmen, die ich jetzt gerade brauche um glücklich zu sein. Nur auf eine Zukunft hinarbeiten, die vielleicht auch ganz anders aussehen wird, und dabei unglücklich sein, macht einen ja weder jetzt noch später glücklich. Ich nehme mir eigentlich zum ersten Mal in meinem Leben diese Freiheiten heraus und lasse mich treiben, kann meinen Drang nach kreativem Schaffen komplett so ausleben wie ich will, weil ich jetzt endlich die Zeit dafür habe. Und das ist ein ungemein befriedigendes Gefühl. Manche Fragen über die Zukunft kann ich ja auch noch ein bisschen ruhen lassen.
Weil du das so explizit angesprochen hast und zugestimmt hast, darüber zu reden: Für dich als Instrumentalistin gibt es ja eben nochmal andere Fragen zu beantworten als es für cis-männliche Kollegen jetzt der Fall wäre. Und obwohl sich ja gerade sehr viel tut, muss ich fragen: Haben deine Zweifel auch mit deinem Frausein zu tun?
Ich glaube, der Ursprung meiner Zweifel ist sehr komplex, aber ich denke auch, dass das Frausein da teilweise mit reinfließt. Es ist nun mal für Frauen schwerer finanziell unabhängig zu sein beziehunsgweise zu bleiben und trotzdem Mutter zu werden. Außerdem ist mir bewusst geworden, dass mir vielleicht auch schlicht weibliche Vorbilder in meinem Werdegang gefehlt haben. Und noch komplexer wird es dann, wenn man an die Erziehung oder Sozialisation von Mädchen und Frauen in unserer Gesellschaft denkt beziehungsweise an meine Erziehung und Sozialisation. Das spielt sicherlich auch eine Rolle – wenn auch eher unterbewusst. Ich finde es super, dass es da gerade ein Umdenken gibt und vieles thematisiert und aufgearbeitet wird. Davon profitiere auch ich – auch wenn die Frage, wie und wann man Gerechtigkeit herstellt, sehr komplex ist.
Du hast gerade davon gesprochen davon »zu profitieren« – was meinst du damit? Und was sind so Probleme, mit denen du konfrontiert warst und bist?
In der Jazzszene findet gerade ein Umdenken statt. Man achtet mehr darauf, dass Frauen gezeigt und präsentiert werden. Ich fühle mich dadurch ermutigt mein Ding zu machen und mich zu zeigen. Ich habe das Gefühl, dass Frauen sich untereinander auch mehr stärken und ermutigen und weniger Konkurrenzgedanken herrschen. Und kein*e Veranstalter*in will sich Sexismus auf die Fahne schreiben. Da der Anteil von Jazzmusikerinnen bislang sehr unterrepräsentiert war, profitiere ich von diesem Umdenken.
Andererseits möchte natürlich kein*e Musiker*in gebucht oder ausgezeichnet werden wegen des Geschlechts, sondern wegen der künstlerischen Leistung. Ich will als Musikerin gebucht werden, nicht als Frau. Mich nervt es, wenn ich als »Frau im Jazz« angekündigt werde und nicht als »Musikerin«. Und gerade dann kommt auch schnell die Retourkutsche, wenn man so Sprüche hört wie: »Das hat sie ja nur bekommen, weil sie eine Frau ist«. Also ab wann ist denn nun Gerechtigkeit hergestellt und ab wann darf man denn als Frau mit Stolz von sich behaupten, dass man ein Konzert spielt oder ein Preis bekommt, weil man eine gute Künstlerin ist? Ich finde das sehr komplex. Auch die Frage, ob man eine Frauenquote einführen sollte oder nicht. Der Anteil von Frauen in diversen Kontexten soll im Idealfall ja nicht von einer Quote abhängen, sondern von der Leistung oder dem Können. Aber vielleicht braucht es die Frauenquote als Übergangslösung, um einen Zustand der Gerechtigkeit beziehungsweise eine Annäherung daran herzustellen. Ich glaube Gerechtigkeit ist ein Idealzustand, an den man sich unendlich annähern kann, der aber nie komplett erreicht wird. Und wir sind immer noch relativ weit davon entfernt, wenn ich so überlege was ich mir teilweise immer noch für Sprüche anhören darf nach Konzerten. Oft bekomme ich von meist männlichem Publikum im Anschluss an ein Konzert Rückmeldung, die sich auf mein Aussehen bezieht, meistens soll ich doch darauf achten mehr zu lächeln auf der Bühne. In einem Interview zu meinem ersten Album wurde ich gefragt, inwiefern meine Musik dadurch beeinflusst wird, dass ich eine Frau bin. Ich glaube, sowas müssen sich Männer nicht anhören.
Die Frage bezieht sich jetzt auf das Quartett, mit dem du am 8.4. auch im King Georg spielst: Wie ist eigentlich das Verhältnis von dir zwischen »live spielen« und »eine Platte aufnehmen«?
Für mich waren das lange zwei grundverschiedene Dinge, die ich aber immer mehr versuche in Einklang zu bringen. Letztendlich gibt es in beiden Situationen einen begrenzten zeitlichen Rahmen, in dem man zeigen möchte, was man kann. Im Konzert verpuffen die Momente aber wieder, was mir hilft, mehr den Moment zu genießen. Auf einer Aufnahme bleibt das für die Ewigkeit festgehalten. Natürlich kann man im Studio dafür mehrere Takes machen, bis man zufrieden ist. Aber das Bewusstsein darüber, dass es jetzt drauf ankommt und dass die Aufnahme dann für immer festgehalten und veröffentlicht sein wird, ist einfach ein anderes. Insofern war für mich die Aufnahme meines ersten Albums mit viel mehr Aufregung und Druck verbunden, als vor einem Konzert. Das war jetzt beim neuen Album zum Glück anders.
Und jetzt erscheint deine zweite Platte »No Shining«. Wie war es bei der?
Da ging es mir persönlich deutlich anders. Nicht nur musikalisch ist seitdem in der Band viel passiert, sondern auch meine eigene Einstellung hat sich geändert. Ich bin deutlich gelassener in die Situation gegangen, was vielleicht auch mit unserer musikalischen Entwicklung zu tun hat. Seit der Aufnahme der ersten Platte haben wir als Band angefangen, immer öfter auch frei zu improvisieren und uns peu à peu zu lösen von vorher festgelegten Formen und Abläufen. Ich habe mich auch mehr gelöst von dem Anspruch, einer bestimmten Stilistik gerecht werden zu wollen oder so zu spielen, dass es anderen gefallen könnte. Ich spiele jetzt viel mehr das was mir selbst auch gefällt. Ich habe angefangen, verschiedene Klangmöglichkeiten meines Instruments und auch meine Stimme zu nutzen, auch mal bewusst »unschön« und »krachig« zu spielen. Da geht es dann nicht mehr um Perfektionismus und Bewertungskriterien, sondern viel mehr um Energie und Spielfreude. Und wenn ich frei improvisierend spiele habe ich keine andere Wahl als im Moment zu sein.
Und das konntet ihr für die zweite Platte ins Studio übertragen?
Genau. Ich hatte zwar drei, vier Kompositionen vorbereitet, die wir auch aufgenommen haben. Die sind aber letztendlich nicht auf der Platte gelandet.
Hat das für dich auch etwas mit Vertrauen zu tun?
Auf jeden Fall. Sowohl Vertrauen in den Prozess als auch Vertrauen innerhalb der Band. Wir spielen jetzt schon einige Jahre zusammen und wissen, wie wir als Kollektiv gut funktionieren. Dazu kommt das Vertrauen auch in einen selbst, dass es schon gut so ist wie man spielt.
Gab es daneben noch andere Einflüsse für die musikalische Entwicklung – weg vom European Modern Jazz, hin zu einem freien Jazz-Ansatz mit Pop-Appeal?
Die Einflüsse, die in den letzten Jahren hinzukamen, sind gar nicht mehr so sehr mit typischem Jazz assoziiert. Natürlich finde ich Jazzmusiker*innen wie die Saxophonistin Lotte Anker oder Peter Brötzmann großartig. Gerade während Corona haben mich aber vor allem Musiker*innen interessiert, die eher zum experimentellen Pop gehören wie beispielsweise Mija Milovic, JFDR oder Tirzah. Oder auch mal sowas wie peruanische Volksmusik oder zentralafrikanische Pygmy Musik. Das heißt ja nicht, dass ich dann genau so klingen will, sondern dass ich es mir gerne anhöre und mich das in meinem musikalischen Schaffen inspiriert.
Mit dem Quartett spielst du am 8.4. im King Georg. Was kann man dann eigentlich erwarten? Eine Wiederaufführung der Platte oder etwas, was gar nicht damit zu tun hat?
Die Frage haben wir uns im Vorhinein auch gestellt. Die frei improvisierten Aufnahmen aus dem Studio sind super geworden. Will man das dann reproduzieren, geht das überhaupt? Letztendlich kann beides passieren. Alles kann, nichts muss.
Am 22.4. spielst du mit einem anderen Projekt im King Georg. Wojcik / Klein. Was kann man da erwarten?
Szymon Wojcik und ich haben unsere eigene Klangästhetik gefunden, die nochmal ganz anders ist als das, was ich sonst so mache. Wir nutzen beide Electronics, arbeiten mit Laptops und Effektpedalen und erzeugen und verfremden Klänge. Szymon nutzt dazu seine Gitarre. Hier und da können auch songhafte Stücke entstehen. Ich nutze vor allem meine Stimme, weniger das Saxophon. Es ist jedenfalls ein komplett anderes Konzert als jetzt am Samstag und ich freue mich total auf beide Konzerte und auch die Abwechslung!
Interview: Lars Fleischmann