Unermüdlich, unerschwinglich, unerreicht
Er sei der vielleicht beste Percussionist aller Zeiten, sagte Dizzy Gillespie über ihn. Am 3. Mai 2022 spielte Kahil El’Zabar zwei Konzerte bei uns im King Georg Jazz-Club.
Ich habe mich für eine Form der Kunst und des Entertainments entschieden, die nicht populär ist, nicht bei den Massen ankommt«. So reflektiert der 1953 in Chicago, Illinois, geborene Kahil El’Zabar im Film »Be Known – The Mystery of Kahil El’Zabar« sein eigenes Tun. Die gefeierte Dokumentation, die zeitweilig sogar vom Streaming-Riesen Amazon gepusht wurde, zeigt den nachdenklichen Percussionisten während seiner »Black History Month«-Tour im Jahr 2007. Im Mai war er bei uns zu Gast, um zwei Sessions zu spielen, einen der beiden Auftritt kann man mit Jahresabo in unserem Streamarchiv abrufen.
Der Künstler, der als als Clifton Blackburn getauft wurde, hat Recht: Massen erreicht er bis heute nicht. Sein Status hat sich dennoch in den letzten 15 Jahren seit den Filmaufnahmen erheblich geändert. Im Zuge verschiedener Re-Issue- und Wiederentdeckungswellen wurden auch El’Zabar neuerlich Ruhm und Ehre zuteil. Die PoC- und die weiße Jugend in den USA, genauso wie Plattensammler*innen hier feiern den alten neuen Geheimtipp. So ist mittlerweile auch ein ganzer Schwung seiner unzähligen und hinter etlichen Pseudonymen verstreuten Platten erheblich im Preis gestiegen und unerschwinglich geworden. Das nur am Rande.
Noch unter bürgerlichem Namen Clifton ging in den 1950ern und 60ern zu Schule, der Vater war Polizist, seine Mutter verkaufte Brautkleider. Er wuchs in behüteten Verhältnissen auf, kam dennoch früh in Kontakt mit »abgestürzten Seelen«, wie er heute sagt. Das hat ihn nachhaltig geprägt: Bis heute ist Kahil El’Zabar bekennend »tea-total« – frei von jeglichen Drogen oder anderen Verführungen. Er wechselte lieber aufs Lake Forrest College, einem sogenannten »liberal arts college«, statt zu feiern. Hier kam er erstmals in Kontakt mit Musiker*innen, die Teil des gerade gegründeten AACM waren. Der Association for the Advancement of Creative Musicians in Chicago. Clifton trat der Vereinigung 1970, mit 17 Jahren, bei. Er machte sich schnell einen Namen als formidabler Drummer – sein Vater hatte ihn am Schlagzeug gelehrt.
Intensive Auseinandersetzung mit verschiedenen Trommeln des afrikanischen Kontinents
Er formierte erste Gruppen, spielte mit Lester Bowie und Malachi Favors vom Art Ensemble of Chicago. Mit 22 traf er dann Harold Murray, genannt Black Harold beziehungsweise Atu Harold Murray. Den Beinamen hatte er nach fünf Jahren in Ghana angenommen. Murray vertrat die »Traditional African Music and Philosophy«, einen Ansatz, den er während seiner Zeit auf dem afrikanischen Kontinent entwickelt hatte. Auf Basis afrikanischer Rhythmen sollen eine inhärente spirituelle Beziehung zwischen dem amerikanischen Körper und den afrikanischen Seelen der Sklaverei-Nachkommen aufgebaut werden. Atu lehrte Clifton, der fortan Kahil El’Zabar heißen sollte.
Es begann eine intensive Auseinandersetzung mit verschiedenen Trommeln des afrikanischen Kontinents – klassisches Schlagzeug beherrschte er sowieso. Bis heute ist das Instrumentarium um zigfache Kesseltrommeln, Lamellophone (wie die Mbira) oder auch die brasilianische Cuica angewachsen.
Die Lehren des Teilzeit-Ghanaers fielen sowieso auf fruchtbaren Boden. El’Zabar hatte schon ein Jahr früher das Ethnic Heritage Ensemble ins Leben gerufen. »Transafrikanische Musik« hieß das Projekt, das in Chicago solche Wellen schlug, dass El’Zabar schnell zum Präsidenten der AACM gewählt wurde.
In Folge spielte er als der »vielleicht beste Percussionist aller Zeiten« (Dizzie Gillespie) mit etlichen Granden zusammen. Neben dem Trompeter mit den markanten Ballonwangen gehören Namen wie Stevie Wonder, Cannonball Adderley und Nina Simone dazu. El’Zabar war mit seinem einzigartigen Gefühl für den Einsatz afrikanischer Rhythmen der perfekte Begleiter für größere Ensembles. In der Zwischenzeit pflegte er seine eigenen Projekte. Ein eigenes Trio gehört da genauso dazu wie ein Quartett; das bereits erwähnte Ethnic Heritage Ensemble, das Infinity Orchestra und obendrauf das Ritual Trio – sie muss man alle erwähnen. Und dazu spielte er gleich hundertfach als Sideman.
Derweil ereilte ihn ein ähnliches Schicksal wie das seines guten Freunds und musikalischen Begleiters Pharoah Sanders – mit dem Aufkommen von Free Funk und (Neo-)Straight Ahead in den 1980ern wurden ihre Positionen weniger gefragt. Die eigene Melange aus Spiritual, Free und Avantgarde Jazz kam, wenn überhaupt, noch bei sogenannten World Music-Festivals aufs Tableau. Ausnahmen, wie Auftritte in Moers, bestätigen die Regel.
Einbremsen ließ sich El’Zabar jedoch nie: Gerade mit seinen Freunden vom AACM wie dem Art Ensemble, oder auch David Murray pflegte er seinen idiosynkratischen synkretistischen Entwurf immer weiter. Es sollte dennoch einige Jahrzehnte dauern bis es wieder ins Rampenlicht ging. Daran hat auch Jazz-Superstar Kamasi Washington seinen Anteil, outetet er sich doch vor ein paar Jahren als Fan des mittlerweile ganz leicht grau gewordenen Percussionisten. Spätestens seit dieser Adelung wurden Feuilletons, Musikzeitschriften und Jazz-Fans auf der ganzen Welt wieder aufmerksam auf dieses glänzende Juwel der Jazz-Kunst. In den letzten Jahren dann der Durchbruch mit mehreren besonderen Platten, die das Spätwerk El’Zabars einläuten, könnte man behaupten: »America The Beautiful«, eine kritische Auseinandersetzung mit der insgeheimen Nationalhymne der USA, muss man nennen. Genauso wie »A Time For Healing« aus diesem Jahr; für viele die beste Platte 2022 bisher.
Text: Lars Fleischmann