Switch to english version here
ausblenden
ausblenden

»Kunst ist keine Bekenntnisplattform«

Ein Gespräch mit dem Komponisten, Songwriter und Popstar Albrecht Schrader.

Albrecht Schrader

Albrecht Schrader ist ehemaliger (Co-)Leiter des Rundfunk Tanzorchesters Ehrenfeld – bekannt aus Funk und Fernsehen –und damals zu seiner Zeit in Köln war er ein mehr als gern gesehener Gast im King Georg. Vor allem ist er aber ein grandioser Alleinunterhalter alter Schule, der wie die anderen Hamburger Größen (Carsten Erobique Meyer oder Rocko Schamoni) viel Bock auf Musik hat und auf verdammt gut gemachte Unterhaltung setzt. Wie eine Mischung aus Hans Albers und Hildegard Knef textet und singt er auch auf »Soft«, seinem dritten Solo-Album.
Am Rande seines exklusiven Auftritts im King Georg (sonst konnte man ihn vorerst nur in der Heimat und der Bundeshauptstadt erhaschen) führten wir dieses Interview.

Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Seit deinem letzten Konzert, 2019, ist es das erste Mal, dass du wieder in Köln ein Konzert gibst – ganz schön lang eingedenk der Tatsache, dass du hier fast 15 Jahre gewohnt hast. Nehmen wir diesen Tag zum Anlass darüber zu reden, was dich damals nach Köln verschlagen hat.

Ich bin 2005 aus Berlin – nach einem echt doofen Jahr dort – nach Köln zum Studieren gekommen. Ich hatte in Berlin bei ein paar Pop-Sachen mitgespielt; aus denen wurde aber nichts. Und ich wollte dann weg. Köln wurde es dann eigentlich eher aus Verlegenheit: Der Numerus Clausus passte. Obwohl ich niemanden kannte, schien mir das eine bessere Wahl als Hamburg, wo ich einfach nicht studieren wollte. Ich bin dort in den Elbvororten groß geworden und wollte damals einfach nicht mehr zurück, sondern nur weg. 

Wenn du Elbvororte sagst, dann muss man das aus Köln wo genau verorten?

Die psychosozialen Elbvororte beginnen hinter Bahrenfeld. Dann kommen hauptsächlich Ein-Familien-Häuser.

Du hast in Köln Musikwissenschaften, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften sowie Klassische Literatur auf Magister studiert. Da sieht man – nun mal abgesehen von der Klassischen Literatur – immer noch Kontinuitäten in deinem Leben. Dazu kommen wir gleich. Wir müssen vorher noch erörtern, wie es dich dann auf die Bühne verschlagen hat. Vielen wurdest du in der Kölner Szene durch deine »Galerie Decadence«-Abende in der Baustelle Kalk bekannt.

Das war damals eine Fortführung der »Galanacht der Langeweile«, die auch schon in der Baustelle stattgefunden hatte. 2013 war das eine, offen gestanden stark von Studio Braun-Abenden beeinflusste, Schnapsidee, die ich auf die Beine gestellt habe, während ich noch für meine Magisterprüfung gelernt habe. Diese Paukerei fand ich furchtbar frustrierend und empörend; und aus Wut und Langeweile habe ich diesen Abend mit zwei, drei Ideen entworfen.

Der Ort, an dem wir hier gerade sitzen, hatte auch seinen Anteil, oder?

Ja, genau. Ich war vorher im King Georg zu Gast gewesen und hatte mit der Filmemacherin Nicole Wegener, die damals den Do It Yourself-Kulturort Baustelle Kalk gemacht hat,  gesprochen. Ich erzählte ihr von dieser Idee und wider Erwarten war sie total begeistert. Sie hat sich dann mit ihrer Baustellen-Partnerin Meryem Erkus abgesprochen – und wir haben dann diesen unglaublich lustigen, improvisierten Abend auf die Beine gestellt. Das wollten wir aber nicht einfach wiederholen und haben stattdessen eine Reihe daraus gemacht: Die Galerie Decadence.

Wie meintest du damals das Wort Decadence? Bezog sich das auf dekadente Bonzen oder eher auf das Baudelaire’sche Wort von der Niedergangsgesellschaft, die den Rausch der Moderne vorhergesehen hat: Also irgendwo zwischen Stimmung und Morbidität?

Ich sag es mal so: Ich komme aus der Hafen- und Kaufmannstadt Hamburg. Diese Stadt lebt immer noch von den Widersätzen. Ich habe Bilder im Kopf von der Fahrt mit dem elterlichen Mercedes, wo man noch die Türen verriegelt hat, wenn man über die Reeperbahn gefahren ist. 
In der »Szene« äußert sich das eher dandyhaft: Man geht im Vintage-Anzug, schick gemacht, in irgendeinen runtergekommen, ranzigen Laden. Diese Gegensätze mag ich bis heute gerne – und diese beiden Pole waren dann auch die Grundidee für die Reihe.

Kann man bestimmte Aspekte deines neuen Albums »Soft« ebenfalls in diese Richtung deuten? Dort hat man häufig das Gefühl, dass du ein Milieu abbildest, das zwischen High (»Cardigan of Love«) und Depression (»Donnerstags 8 bis 9«) lebt und nicht ganz damit zufrieden ist, wie die Welt eingerichtet ist.

Ich sehe mich nicht in der Lage, das große politische Lied zu schreiben. Was mich bewegt, schreibe ich von daher eher im Kleinen, von mir aus. Meine Herangehensweise für meine Musik ist, dass ich textlich versuche möglichst klein zu bleiben und das Große über die Musik zu erzählen oder zu lösen. Ich habe dafür einen musikalischen Paten gefunden: Den hervorragenden (Broadway-)Komponisten Steven Sondheim, der vor ein paar Monaten leider gestorben ist. Er war ein Meister darin, die großen Themen nur erahnen und dem Publikum durch kleine, präzise Songtexte genug Raum für ihre eigene Emotionalität zu lassen.

»Soft« ist ein besonderes Album, da es fast anachronistisch in seinem Aufbau ist. Ich will jetzt nicht sagen, dass es in dem Sinne ein Konzeptalbum ist, aber es erinnert sehr an die große Zeit des Pop-Songs in den 1970er Jahren. Man hat viele Balladen, dazwischen Up-Tempo-Nummern und dann die opulenten Werke. Da hört man klassische LPs der Carpenters, Burt Bacharach oder des frühen Scott Walker raus, oder?

Die genannten höre ich sehr gerne und die haben mich ganz bestimmt beeinflusst. Ich würde dennoch nicht sagen, dass das ein »Masterplan« ist oder war. Mir passiert es schlicht und ergreifend in 60-70% der Fälle, dass ich eine Ballade schreibe.
Das Album davor, »Diese Eine Stelle«, das war mit seiner klaren Themensetzung »Herkunftsscham« stärker an ein Konzept angelehnt. Das hat Spaß gemacht, aber war nun mal auserzählt. Diesmal hatte ich einige Lieder geschrieben und eher unterbewusst ist dann »Soft« dabei rausgekommen.

Kommen wir aber nochmal zu deinem Werdegang zurück: Wie hatte sich dein Gig beim Rundfunk Tanzorchester, der Böhmermann’schen Haus- und Showband, mit dem du deutschlandweit bekannt wurdest, ergeben?

Jakob Weiss, der bei der »Galanacht« gefilmt hat, aber sonst bei der Fernsehproduktionsfirma Bild- und Tonfabrik arbeitete, schlug mir vor, dass ich mal zu einem Casting für eine Ensemble-Comedy-Show gehe. Beim Casting selbst war es ein wenig unangenehm, weil ich ja auch kein Schauspieler bin … dennoch hat sich dann daraus ergeben, dass ich mit Jan Böhmermann zusammen Lieder geschrieben habe. Er schrieb die Texte und ich die Musik.

Der Rest ist Geschichte: Das Rundfunk Tanzorchester Ehrendfeld sollte schnell nach seiner Einführung schon ikonischen Status mit seinen Neu-Interpretationen erreichen. Du hast das für eine 15-Personen-Big-Band arrangiert …

Ich und Lorenz Rohde, mit dem ich die Arrangements realisiert habe, haben uns da gut ergänzt. Wir haben zwar beide nie »Arrangement« gelernt, aber wir haben das einfach gemacht. Unsere Interessen – bei ihm Funk und Soul, bei mir eher jemand wie Scott Walker halt – passten perfekt zusammen.

Ihr wurdet durch YouTube mit euren Interpretationen bekannt – durch den ein oder anderen Coup in der Sendung natürlich auch der ganze Komplex –, und dann hast du 2019 aufgehört mit diesem »Traumjob«. Von außen war es eigentlich ein Schock.

Ich hatte schon im Sommer 2018 entschieden aufzuhören. Das wurde nach und nach körperlich und psychisch sehr anstrengend – und ich kam nicht mehr dazu meine eigene Musik zu schreiben und zu spielen. Ich habe dann noch die Tour im Februar 2019 mitgenommen und dann schweren Herzens aufgehört.

Und dann kam auch der Wegzug aus Köln, Richtung Heimat Hamburg …

Das war gar nicht geplant. Ich wollte eigentlich noch in Köln bleiben, erfuhr dann aber, dass neue Räume für Musiker*innen in Hamburg entstehen – und ich wollte endlich mal einen richtigen Musikraum zum Arbeiten. Den hatte ich nämlich in Köln nie. Und dann bin ich bereits im Herbst 2019 zurückgezogen.

Kein halbes Jahr später kam die Corona-Pandemie … was hat das mit dir gemacht?

Das war, gelinde gesagt, doof. Ich hatte das Album »Diese Eine Stelle« noch in Köln fertig produziert und wollte in Hamburg ankommen, ausgehen, Menschen und die Szene kennen lernen – und dann war alles dicht. Am Tage der Lockdown-Verkündung kam das Master meines Albums an; was macht man da?

Wir haben dann kurzerhand das Album-Release in den Sommer vorverlegt. Es wusste ja keiner, wie sich die Musik-Industrie entwickelt, was noch alles passiert. Und wir dachten, dass es keinen Sinn ergibt, dann damit zu warten, sondern sagten »Jetzt erst recht«.

Hat diese Zeit der Entsagung die Grundstimmung auf »Soft« geprägt? Du singst viel über Verletzlichkeit.

Das ist eine gute Frage. Die ersten Songs, die entstanden sind, waren über Menschen, die ich wegen Corona nicht mehr so oft oder gar nicht sehen konnte. So ging die Arbeit los. Und das Thema »Verletzlichkeit«, das wollte ich schon länger anpacken: persönlich und als Musiker. Aber das war lange nicht en vogue, hatte ich das Gefühl. Derzeit und in den letzten Jahren gibt es eine neue Offenheit gegenüber solchen Themen. Da bin ich sehr dankbar.

Das muss künstlerisch dennoch passen; das wurde mir schnell klar. Kunst ist keine Bekenntnisplattform. Aber: Das Wort »Psychotherapie« singen zu können, ohne gleich in totaler Befindlichkeit zu landen, das fand ich sehr großartig.

Interview: Lars Fleischmann.