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Ella, elle l’a

Die Legende der Ella Fitzgerald – was hinter einer der prägenden Stimmen des 20. Jahrhunderts und ihrem Gebrauch des bee-bop-bop-bah-ooo-bee-doo-bee steckt.

Ella Fitzgerald in het Concertgebouw, Amsterdam, februar 1961 Foto Ben van Meerendonk / AHF, collectie IISG, Amsterdam

Das amerikanische Musik-, Pop- und Rock-Magazin Rolling Stone hat vor wenigen Wochen eine Liste der wichtigsten 200 Sänger*innen aller Zeiten veröffentlicht. Diese Zusammenstellung wurde heftig diskutiert; einige Entscheidungen sind nachvollziehbar. Den großen Stimmen der afro-amerikanischen Musikgeschichte wird Ehre zu Teil; Aretha Franklin läuft – ganz sicher nicht zu Unrecht – auf Platz 1 ein. Derweil protestierten viele in den Online-Foren mit der gleichen Berechtigung über den Platz 45: Auf diesem fand sich nämlich die 1918 in Newport News (Virginia) geborene Ella Fitzgerald wieder. Ein Unding eingedenk der Tatsache, dass die Stimme Fitzgeralds die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt hat, wie kaum eine andere.

Mary Lou Williams, selbst eine der wichtigsten Komponist*innen des Jazz und des Great American Songbooks, berichtete einst von einer durchtanzten Nacht im Harlemer Savoy Ballroom. »Eine Stimme, die mir einen Schauer den Rücken rauf- und runtergehen ließ.« Weiterhin heißt es bei ihr, dass sie gar buchstäblich zur Bühne rannte, um herauszufinden, wem die Stimme gehörte.
Natürlich war es Ella Fitzgerald, die Band dazu Chick Webbs Swingband. Der Bandleader Chick Webb, der damals einflussreiche Swing-Bandleader, entdeckte Fitzgerald 1934 bei einem Gesangswettbewerb im Apollo; ebenfalls in Harlem befindlich. Der legendäre Club rühmt sich bis heute damit der Ort zu sein an dem »Ella« entdeckt wurde. SO will es jedenfalls die Legende.
Tatsächlich hat Webb die in den Anfangstagen oft schüchterne Fitzgerald erst ein Jahr später kennen gelernt; und sollte sie gar erst nach einigen Probemonaten fest engagieren.

Nichtsdestotrotz überzeugte sie schnell mit ihrer jugendlichen Stimme, die auch Jahrzehnte später klang, als wären die Stimmbänder in einen Jungbrunnen gefallen oder hätten einen Vertrag mit dem Teufel gemacht. Wie zum Beispiel diese Aufnahme aus dem Jahr 1968 – als sie bereits 50 Jahre alt war – der Gershwin-Ballade »Summertime« beweist:

Die Version kommt ihnen bekannt vor, liebe Leser*innen? Das ist ein bekanntes Phänomen im Zusammenhang mit Fitzgeralds Karriere. Als wichtigste Interpretin unzähliger Kompositionen – befeuert im übrigen durch ihr Engagement beim Label Verve, für welches sie etliche Songbooks eingesungen hat – könnte man behaupten, dass Fitzgerald diese Lieder »gehören«. Auf jeden Fall prägen ihre Interpretationen die Songs bis heute.

Mit Chick Webb sollte sie den Swing, der in der Prä-Weltkriegs-Ära die Staaten zum Tanzen brachte, anführen und zum Singen bringen. Nach Webbs Tod im Jahr 1939 übernahm sie dessen Band für einige Monate, was leider nicht aufging: Sie hatte als Autodidaktin nie Notenlesen gelernt und war als Arrangeurin vergleichsweise ungeeignet. Noch vor dem Tod feierten Webb, Fitzgerald und die Band einen Nummer-1-Hit in den Billboard Charts. »A Tisket A Tasket« war der große Durchbruch.

Zwar begeisterte ihre Stimme und so sehr sie mit ihrer jugendlichen Art das Publikum verzauberte, könnte vor allen Dingen eine bestimmte Technik besonders bedeutend im großen Bild der Musikgeschichte sein: Fitzgerald hob die Scat-Vokalisation, die ohnehin sehr wichtig war in der Emanzipation der Stimme als eigenes Instrument, auf ein neues Level.
Carmen Lundy erläutert in Joachim-Ernst Berendts »Das Jazz-Buch«: »Viele Scatsängerinnen verwenden die Silbe dwee sehr oft. Ella Fitzgerald benutzt demgegenüber nicht gerade oft das dwee. Sie gebraucht mehr das bee-bop-bop-bah-ooo-bee-doo-bee
Dieser Formenreichtum und die Vielfalt an Lauten war äußerst wichtig. Scat, der hier unter anderem das klanglich recht verwandte Saxofon ämuliert, wird vom Lückenfüller zum komplexen System aus verschiedenen Klangkomponenten.
Das erkennt man etwa hier:

Dadurch wurde Fitzgerald zur wichtigsten Vokalistin des Be-Bops, konnte sie doch besser als die meisten Kolleg*innen den neuen Ansprüchen an die Harmonik und an die Vokal-Improvisation genüge leisten. Der Rest ist Geschichte: Im Laufe der 50er wurde sie einem größerem Publikum bekannt – trotz Segregation in den Südstaaten und Auftrittsverboten. Anteil daran hatte auch Marilyn Monroe, vor allen Dingen aber ihr wunderbares Timbre, das zeitlebens Augen und Münder öffnete.
Und wie bereits erwähnt: Fitzgerald sammelte durch ihre ikonischen Interpretationen Songs, wie andere Menschen Briefmarken. Nach einer ereignisreichen Karriere starb sie 1996 in Los Angeles – überhäuft mit Würdigungen und Medaillen. Vielleicht sollte die Redaktion des Rolling Stone die Platzierung in ihren Top 200 nochmal gründlich überlegen.

Text: Lars Fleischmann, Foto: Foto Ben van Meerendonk / AHF, collectie IISG, Amsterdam