Sonny Rollins’ 90. Geburtstag
Er gilt vielen als größter noch lebender Jazz-Improvisator. Wohl dem, der ihn an einem seiner guten Tage live erleben durfte. Am 7. September 2020 feiert Sonny Rollins seinen Neunzigsten.
Am 7.9.2020 ist der 90. Geburtstag des Saxofonisten, Komponisten und Band Leaders Theodore Walter »Sonny« Rollins, der sich noch immer regelmäßig zu Wort meldet, aber leider seit einigen Jahren wegen Lungenproblemen nicht mehr öffentlich auftritt. Es gibt eine Vielzahl von Büchern über Sonny Rollins, z.B. John Abbott + Bob Blumenthal: »Saxophone Colossus: A Portrait of Sonny Rollins« und Eric Nisenson: »Open Sky«
Sonny Rollins wurde am 7. September 1930 in New York City geboren. Seine Eltern waren von den Jungferninseln eingewandert. Er spielte schon als Kind Klavier und Altsaxofon. Mit 16 wechselte er zum Tenor. 1949 wurde er Profi-Musiker. Hier »Audoban« mit J.J. Johnson 1949 (nur Audio):
und »52nd Street Theme« mit Bud Powell und Fats Navarro 1949 (nur Audio):
In dieser Zeit wurde er heroinabhängig und musste mehrfach ins Gefängnis. Trotzdem entstanden weiterhin bemerkenswerte Aufnahmen, so etwa die Stücke »Airegin«, »Oleo« und »Doxy« 1954 mit Miles Davis, Horace Silver, Percy Heath und Kenny Clarke (nur Audio):
1955 machte Rollins eine Entziehungskur mit Methadon-Programm und wurde die Sucht los. In der Folge entstanden exzellente Aufnahmen unter seinem Namen, darunter seine Prestige LP »Saxophone Colossus« mit Tommy Flanagan, Doug Watkins und Max Roach von 1956 (nur Audio):
und die LP »Way Out West« mit Ray Brown und Shelly Manne von 1957 (nur Audio):
Stand heute gibt es keinen Jazz Club auf der Welt, in dem mehr Live-Aufnahmen entstanden als im Village Vanguard, NYC. 1957 war Sonny Rollins der erste, der eine solche Live-Aufnahme im Village Vanguard einspielte und auf Blue Note als LP veröffentliche (nur Audio):
Schon 1958 nahm er Stellung zur amerikanischen Bürgerrechtsbewegung mit »Freedom Suite« mit Oscar Pettiford und Max Roach (nur Audio):
1959 tourte er im Trio mit Bassist Henry Grimes und den Schlagzeugern Pete LaRoca beziehungsweise Joe Harris in Europa:
Danach zog er sich bis 1961 gänzlich zurück und übte täglich stundenlang auf der Williamsburg Bridge. Auslöser war vermutlich die durch Ornette Coleman und andere in Gang gesetzte Entwicklung in Richtung Free Jazz, die Rollins als herausragenden Saxofonisten der 1950er Jahre zum Nachdenken brachte. Nach seiner kreativen Pause trat er selbst in die freieste Phase seiner Karriere. Hier ist er mit Don Cherry und Henry Grimes und Billy Higgins in Rom 1962:
1962 spielte er in der TV Serie Jazz Casual mit Jim Hall und Bob Cranshaw und Ben Riley, u.a. mit dem Stück »The Bridge«
In Dänemark spielt er 1965 im Trio mit Niels-Henning Ørsted Pedersen und Alan Dawson und 1968 mit Kenny Drew und Niels-Henning Ørsted Pedersen und Albert »Tootie« Heath:
1971 trat er mit Bobo Stenson und Arild Andersen und Jon Christensen beim Kongsberg Festival in Norwegen auf
1974 spielte er nochmal in Kongsberg, diesmal mit dem Dudelsackspieler Rufus Harley
Im gleichen Jahr trat er in Kopenhagen mit Rufus Harley auf
1975 brachte ihn zusammen mit Rahsaan Roland Kirk und McCoy Tyner, Stanley Clarke, Lenny White, George Benson, Freddie Hubbard, Hubert Laws, Bill Watrous und Airto in der Downbeat Readers Poll Award Session, unter anderem mit einem faszinierendem Duett mit McCoy Tyner über »In A Sentimental Mood« (mit Ansagen von Quincy Jones und Chick Corea)
1978 spielte er mit den Milestone Jazz Stars mit McCoy Tyner, Ron Carter und Al Foster in einer meiner liebsten Aufnahmen (nur Audio):
1980 trat er beim Jazz Jamboree in Warschau mit Al Foster u.a. auf, 1973 in Laren, Niederlande mit Walter Davis Jr. und anderen.
1981 war er Live under the Sky in Tokio mit George Duke, Stanley Clarke und Al Foster
1982 spielte er majestätisch beim Jazz Festival Prag
Im gleichen Jahr in Montreal
1985 trat er im Montmartre Jazz Club in Kopenhagen auf
1986 wurde er in der Dokumentation »Saxophone Colossus« portraitiert mit Interviews und Live-Aufnahmen:
1987 traf er Dizzy Gillespie mit Hank Jones + Rufus Reid + Mickey Roker:
1992 sah ich ihn in der Münchener Philharmonie mit seinem Sextett:
1998 spielte er mit Kevin Hays unter anderem beim Umbria Jazz Festival
2005 trat er in Juan-les-Pins auf
2010 kam es in NYC zum einzigen dokumentierten Zusammentreffen mit Ornette Coleman (nur Audio):
Hier äußert er sich im Kurzportrait zu seinem 80. Geburtstag 2010 zu seinem Verständnis von Jazz
Auch mit über 80 war er immer noch in der Lage, faszinierende Konzerte zu geben, hier in Vienne 2011
… und bei einem seiner letzten Auftritte in Detroit 2012
Superlative in der Kunst sind immer zweifelhaft. Trotzdem kann ich verstehen, warum Sonny Rollins häufig als der größte lebende Jazz-Improvisator bezeichnet wird. Diese Videos demonstrieren warum. Der verblüffende Grad der Verschmelzung von Musiker und Instrument und die Kombination aus Ideenfluss, Ausdrucksstärke, dramatischer Gestaltung und schierer Kraft wird jedem ein Leben lang in Erinnerung bleiben, der das Glück hatte, Sonny Rollins an einem guten Tag live zu erleben. Wünschen wir Sonny Rollins zum Neunzigsten, dass er das Leben noch einige Jahre genießen kann.
Text: Hans-Bernd Kittlaus, Foto: Creative Commons