Spiritueller Balanceakt
Surya Botofasina, Nate Mercereau und Carlos Niño laden zu einer Reise in andere Sphären ein.
Finde eine Balance zwischen dem Klang und deinem Ego – so beschreibt Surya Botofasina seine Regel für die Improvisation. So handfest dieser Rat ist, so blumig spricht der in Kalifornien geborene Jazz-Pianist und Synthesizerspieler normalerweise. Wenn er über Musik spricht, dann geht es häufig um die Idee der universellen Liebe, der OneLove, die sich im Leben und in der Musik ausdrückt und verbreitet. Es geht auch um Töne, die im Kosmos nur darauf warten entdeckt zu werden. Und es geht um Pianos, deren Bestimmung es ist, irgendwann gespielt zu werden. Der irdische und überirdische Lauf, die Physik der Klangproduktion und die Metaphysik einer »versteckten« eigentlichen Melodie, Exoterik und Esoterik – immer befindet sich der Sohn der afro-kubanischen Harfenistin Radha Renee Reyes-Botofasina zwischen den Extremen.
Nicht denken … spielen!
Das hört man seiner Musik, so muss man recht schnell erkennen, gar nicht unbedingt an. Gerade auf seinem neuesten Album »Everyone’s Children« scheint alles im Fluss; man hört wenig von widerstreitenden Ansätzen oder Philosophien, sondern eher seine Ursprünge und die Kontexte in denen Surya Botofasina aufgewachsen ist. 1977 wurde er im Sai Anantam Ashram in Nord-Kalifornien geboren. Seine Mutter war – man würde heute sagen – spirituell veranlagt. Anfang der 1980er zog es die Familie nach Agoura Hills in den Ashram, den Alice Coltrane gerade gebildet und aufgebaut hatte. Dort wurde erst Radha Renee Reyes-Botofasina Schülerin der mittlerweile zum Medium und Guru aufgestiegenen Coltrane, die fortan nur noch Swamini Turiyasangitananda genannt wurde, einige Zeit später dann auch ihr Sohn Surya. Allerdings kann man nicht wirklich von Lehrerinnen-Schüler-Verhältnis reden, denn Swamini Turiyasangitananda lehrt nicht, stattdessen impft sie ein Gefühl ein: »Während ich probte, ließ sie nur die Akkorde fallen. A-Dur, G-Moll … Sie sagte, ich solle nicht denken, sondern spielen.« Nicht die einzige Lektion, die bis heute nachhallt. Ebenso sang man regelmäßig Bhajans, vedische Verse in Gesangsform. Na klar, man war halt in einem Ashram.
Der Kontakt mit diesen meist einfachen, spirituellen und transzendenten Liedern hört man bisweilen jetzt noch. »Everyone’s Children« ist dieser Tage bei Spiritmuse erschienen: Auf der Doppel-LP finden sich acht Stücke. Die kürzesten dauern etwas mehr als vier Minuten, der längste Track »Surya Meditation« währt fast 30 Minuten und reizt die technischen Möglichkeiten der Vinyl-Produktion aus.
So zart wie möglich
Die Musik hingegen ist zurückhaltender. Statt Bombast warten meditative Reisen zum Mittelpunkt der Erde und zum eigenen Ich: Botofasina spielt meist naive, spontane Melodien, intuitive Tonfolgen und Arpeggios. Darunter liegt ein Teppich an organischen Orgelsounds – schwerelos zwischen Vangelis und Laraaji segelnd. Als Co-Produzent und steter Begleiter tritt hier Carlos Niño auf. Der Kalifornier mit hispanischen Wurzeln hat sich in den 1990ern einen Namen als Radio-DJ gemacht, begann später dann ein Studium der Percussion-Instrumente. Niño gilt derzeit als einer der gefragtesten Percussionisten der amerikanischen und internationalen Jazz-Szene und ist ein gern gesehener Gast auf europäischen (Festival-)Bühnen, wo er in letzten Jahren vollkommen zurecht omnipräsent war. Seine Kunst besteht darin so wenig Percussion zu spielen, wie es eben möglich ist. Zart gestreichelte, vorsichtige Glockenspiele treffen dann auf langsam fließende Rainmaker; verhallte Schellen auf Shaker – gerade auf »Everyone’s Children« geht es eigentlich nie um einen Beat, sondern um klangliche Untermalung der glockengleichen Pianoläufe.
Bereichernde Klänge
Klassischere Jazz-Klänge findet man indes auch: Vor allen Dingen im Stück »Beloved California Temple«, das zwar sehr modern mit seinem starken Einsatz des Reverbs wirkt, aber dennoch an alte Ideen eines Pharoah Sanders anschließt. Neben Pablo Calogero am Saxofon glänzt hier dann auch Nate Mercereau – der Dritte im Bunde beim Konzert im King Georg am 17. November 2022.
Mercereau ist ein wirklich begnadeter Gitarrist und Songwriter, der neben seinen eigenen Projekten vor allen Dingen als Sideman auftritt: Seine Credits reichen mittlerweile von den amerikanischen Pop-Superstars Lizzo und The Weeknd bis zum Jazz-Sternchen John Baptiste.
Mit ihnen, aber eben auch mit Surya Botofasina, tritt er regelmäßig auf. Für »Everyone’s Children« verschrieb er sich der spirituellen Reise und spielt nur ein paar nötige, bereichernde Klänge, Geräusche. Auf diesem Album haben sich eben alle der Balance verschrieben und ihre Egos beiseite gepackt. So wie es der Bandleader vorlebt.
Text: Lars Fleischmann